Showdown um den Halbfinaleinzug: Vier enge Viertelfinalspiele stehen uns bevor
Geschrieben von TotalRugby Team
Freitag, 13. Oktober 2023
Er ist zurück: Frankreich-Superstar Dupont ist rechtzeitig zum Viertelfinale fit geworden. Foto (c) World Rugby
Wohl noch nie hat es beim Rugby World Cup vier derart ausgeglichene Viertelfinalduelle gegeben. Samstag und Sonntag entscheidet sich, welche vier Teams im Titelrennen bleiben. 300.000 Zuschauer im Stade de France und im Velodrome, dazu hunderte Millionen weltweit werden dabei sein, wenn es um den Einzug ins Halbfinale geht. Der einzige Wermutstropfen vor diesem großartigen Rugby-Wochenende: Vier Top-Teams und mindestens zwei der besten vier Teams der Weltrangliste werden aus dem Turnier ausscheiden. Alle Spiele gibt es bei den Kollegen von ProSieben Maxx und Ran.de zu sehen.
Im ersten Viertelfinalspiel des Wochenendes stehen sich am Samstag um 17 UhrWales und Argentinien gegenüber. Hätte man einem Experten oder selbst einem Wales-Fan vor einem knappen Jahr nach der Pleite gegen Georgien davon erzählt, dass das Team ungeschlagen nach einem Rekordsieg über Australien und als Favorit im Viertelfinale steht, wäre man wohl ausgelacht worden.
Die Entwicklung, die das walisische Team unter dem alten neuen Trainer Gatland gemacht hat, ist erstaunlich. Die oftmals verspottete Warren-Ball Spielart hat zumindest gegen Australien und Fidschi funktioniert und könnte nun für den nächsten Halbfinaleinzug der Waliser sorgen: Intelligent kicken, den Gegner massiv unter Druck setzen und in dessen Hälfte einschnüren und wenn sich die Chance ergibt eiskalt zuschlagen.
Dieses Erfolgsrezept ist altbekannt und dennoch schwer zu stoppen. Mit Dan Biggar (rechtzeitig fit nach Blessur) als Strippenzieher einem Sturm um Kapitän Jac Morgan, der es mit allen Weltklasse-Teams aufnehmen kann und Finishern wie Louis Rees-Zammit ist Wales kein angenehmer Gegner. Doch auch Argentinien ist alles andere als Fallobst.
Das Team von Trainer Micheal Cheika will den dritten Halbfinaleinzug der Geschichte einfahren. Im Stade Velodrome dürften unter den knapp 70.000 wieder viele Anhänger von los Pumas sein. Mit Achter Facundo Isa und Neuner Tomas Cubelli kommen zwei Spieler überraschend zum Zuge, die im bisherigen WM-Verlauf nur eine Nebenrolle spielten.
Wenn Argentinien dieses Spiel gewinnen will, müssen besonders die massiven Stürmer um Kapitän Matera und Hüne Kremer die Oberhand gewinnen. Diese Plattform benötigt die Hintermannschaft mit Verbinder Santiago Carreras und besonders der spektakuläre Außen Mateo Carreras, um ihre Stärken auszuspielen. Coach Micheal Cheika jedenfalls stapelt zunächst tief und schiebt die Favoritenrolle den Walisern zu.
Am Samstag-Abend um 21 Uhr folgt dann das erste vermeintlich vorgezogene Halbfinale. Neuseeland spielt wie schon 2019 gegen Irland im Stade de France. Nur anders als vor vier Jahren ist die Favoritenrolle dieses Mal nicht klar verteilt - im Gegenteil: Selbst die neuseeländischen Buchmacher sehen die All Blacks als Underdog, erst zum fünften Mal in den letzten 30 Jahren.
Denn fünf der letzten acht Spiele zwischen beiden Teams gingen an Irland. Da mag manch ein Ire vergessen, dass Irland noch nie über das Viertelfinale einer WM hinausgekommen ist und Neuseeland wahrscheinlich Position für Position individuell stärker besetzt ist. Doch die irische Mannschaft funktioniert als Team vielleicht besser als jede andere.
Das Team hat spätestens seitdem Andy Farrell das Team übernommen hat, noch einen Schritt weiter gemacht. Seit anderthalb Jahren ist das Team ungeschlagen und hat sich mit dem Grand Slam im Frühjahr, sowie dem Gruppensieg über Titelverteidiger Südafrika Selbstbewusstsein geholt. Kapitän und Verbinder Johnny Sexton ist mit 38 Jahren nicht nur die graue Eminenz, sondern auch das Gehirn dieses Teams.
Vor vier Jahren konnte Neuseeland gegen Irland einen Kantersieg feiern - dieses Mal ist die Ausgangslage umgedreht
Wenn Irland sein gnadenloses Phasenspiel über Minuten aufbaut, die All Blacks unter massiven Druck setzt und dabei so wenig Fehler produziert, wie zuletzt, sind die Boys in Green kaum zu schlagen. Doch die All Blacks sind nun mal die All Blacks - der dreimalige Weltmeister hat in allen Mannschaftsteilen Weltklasse aufzubieten und wenn Spieler wie Rieko Ioane, Will Jordan, Ardie Savea und Beauden Barrett einmal in ihren Rhythmus kommen, sind die All Blacks noch immer eine Klasse für sich.
Was an diesem Samstag-Abend durchaus ein Faktor werden könnte, ist die Unterstützung der irischen Fans. Bei allen Auftritten des irischen Teams waren die Ränge klar von grünen Trikots dominiert. Die Euphorie, die diese Mannschaft gerade trägt, könnte endlich für den Einzug unter die besten vier Teams der Welt reichen. Angesichts der Tatsache, dass Irland das ganze Jahr über hinweg auf Rang eins der Weltrangliste ist und den Titelverteidiger geschlagen hat, wäre dies nur gerecht.
Das erste Viertelfinale am Sonntag folgt dann um 17 Uhr erneut aus dem beeindruckenden Stade Vélodrome in der Mittelmeer-Metropole Marseille. England trifft ausgerechnet auf Fidschi. Beide Teams standen sich bekanntermaßen im letzten Vorbereitungsspiel vor der WM gegenüber - die Flying Fijians sicherten sich in Twickenham einen historischen ersten Sieg über das Mutterland.
Nach dem Viertelfinaleinzug sind die Insulaner, die mit dermaßen viel Talent gesegnet sind, keineswegs ein krasser Underdog. Am späten Sonntag-Nachmittag starten zehn der 15 Fidschianer, die England bezwingen konnten. Die Hoffnungen der Fidschianer ruhen vor allem auf der unfassbar spielstarken Hintermannschaft mit Kapitän Nayacalevu, XXL-Innen Tuisova und Außen Radradra.
Vor rund einem Monat feierte Fidschi einen historischen Sieg über England
Für Fidschi wird es darauf ankommen im Sturm bei den Standards mitzuhalten, mit den starken Botia, Mata und Tuisue über die Vorteilslinie zu kommen, um dann mit der Hintermannschaft Vorteile zu erarbeiten. Dabei muss das Team von Trainer Simon Raiwalui wieder zur Form der Duelle gegen Wales und Australien kommen, nachdem man gegen Portugal und Georgien zuletzt durchwachsene Leistungen gezeigt hatte.
Englands Trainer Steve Borthwick steht derweil vor einem Duell, das über seine berufliche Zukunft entscheiden könnte. Nach dem glücklichen Sieg über Samoa flog ausgerechnet George Ford aus dem Team, der die Engländer als Man of the Match gegen Argentinien und Japan erst auf Kurs Viertelfinale gebracht hatte.
Jedoch will auch Borthwick Verbinder und Kapitän Owen Farrell in jedem Fall spielen lassen. Nachdem das Experiment mit der Doppel-Zehn gegen Samoa mehr oder minder gescheitert ist, läuft Farrell als Verbinder auf und Tuilagi kann damit auf die angestammte Zwölfer-Position zurückkehren. Überraschenderweise gibt Borthwick Marcus Smith die Chance auf der Schlussposition.
Neuseeland war zuletzt mit einem gelernten Verbinder als Schluss mit Beauden Barrett erfolgreich. Jedoch wird Smith nun vor allem unter dem hohen Ball seine Qualität beweisen müssen. Sollte das Experiment schiefgehen, werden sich alle Kritiker des englischen Verbands und Trainers bestätigt fühlen.
Sonntag-Abend tritt dann Gastgeber Frankreich um 21 Uhr gegen Südafrika an. Die wohl wichtigste Nachricht vorneweg: Frankreich-Kapitän Antoine Dupont wird spielen und zwar von Beginn an. Als ich der wohl talentierteste Rugbyspieler der Welt im Gruppenspiel gegen Namibia den Wangenknochen brach, war die Grande Nation in Sorge. Doch der Held der XV de France läuft nur gute drei Wochen später mit einer Metallplatte im Gesicht auf.
Immerhin sind er und sein Team auf historischer Mission. Selten hatte Frankreich ein derart talentiertes Team zu bieten und eine weitere Heim-WM wird diese goldene Generation des französischen Rugby nicht erleben. Trainer Fabien Galthié bietet neben Dupont eine wenig überraschende Mannschaft auf: Anthony Jelonch startet in der dritten Reihe, nachdem er erst zum Spiel gegen Uruguay nach langer Verletzung ins Team zurückgekehrt war.
Dazu startet der erst 20-jährige Louis Bielle-Biarrey, die Entdeckung der WM-Vorbereitung, auf der kurzen Ecke. Darüber hinaus laufen mit Danty, Penaud, Baille, Alldritt, Ollivon und Jalibert die üblichen Verdächtigen auf. Mit Sekou Macalou hat Galthié dazu einen Spieler für die Bank gewählt, der in der dritten Sturmreihe, aber dank seiner Geschwindigkeit auch auf Außen auflaufen kann.
Für einige Überraschungen sorgte derweil das Trainerteam der Boks. Erasmus und Nienaber delegierten mit Faf de Klerk eines der bekanntesten Gesichter dieser Bok-Mannschaft auf die Bank. Der ebenso spielstarke Cobus Reinach ersetzt ihn und bildet mit Manie Libbok die Spielmacher-Paarung. Für Pollard und de Klerk, die den Boks 2019 den WM-Titel bescherten, bleibt nur der Platz auf der Bank.
Rassie Erasmus, auf dem Papier lediglich der Sportdirektor, begann in der abschließenden Pressekonferenz seine bekannten Psychospielchen. Die Franzosen würden zur Simulation neigen, so Erasmus, der sich bewusst ist, dass sein Team gegen einen eingespielten Gegner und 80.000 Fans im Stade de France bestehen muss.