Bei seinen letzten Six Nations spielt der Maestro noch einmal groß auf.
Was für ein Six-Nations-Wochenende! Drei packende Spiele, 18 Versuche und vor allem ein Spiel in dem Rekorde reihenweise gefallen sind, dazu die Gewissheit: Am Super Saturday wird der Titel zwischen Frankreich und Irland entschieden.
Englands Demütigung, Frankreichs Rekord-Triumph
Es war ein regnerischer Nachmittag für die Geschichtsbücher. Die 82.000 im Londoner Twickenham-Stadion erlebten an diesem regnerischen Samstag ein in vielerlei Hinsicht denkwürdiges Spiel. Sieben zu eins Versuche und nach 80 packenden Minuten ein 53-10 auf der Anzeigetafel des sich schon früh leerenden Rugby-Tempels der englischen Hauptstadt. Antoine Dupont gab nach Abpfiff zu Protokoll, dass er in Jahrzehnten noch mit seinen jetzigen Teamkollegen über dieses Spiel bei einem Bier diskutieren würde.
Seit 2004 hatte Frankreich nicht mehr in Twickenham gewonnen und war angesichts des schwachen Auftritts in Dublin nicht unbedingt als Favorit in das Viertrunden-Spiel der Six Nations gegangen. Zumal das Wetter den Gastgebern in die Karten spielen sollte. Englands heutiger Co-Trainer Nick Evans hatte das Mutterland einst als das weltbeste Team im Regen bezeichnet.
Davon war aber nichts, aber auch überhaupt nichts zu sehen. Frankreich fuhr einen Rekordsieg ein, in mehrerlei Hinsicht: Noch nie hat England zur Pause so hoch zurückgegeben und daheim so hoch verloren, noch nie konnte Frankreich in den insgesamt 110 Duellen mit einem so hohen Abstand gegen England gewinnen und seit knapp 20 Jahren konnten les Bleus bei den Six Nations keinen dermaßen deutlichen Sieg einfahren.
Über dieses Spiel werde man in Jahrzehnten noch reden, so Frankreich-Superstar Dupont nach dem Spiel
Die Diskussion im Anschluss drehte sich vor allem um die Frage, ob Frankreich dermaßen gut, oder England dermaßen schlecht war. Die Antwort darauf dürfte irgendwo in der Mitte liegen. Die Defizite des England-Teams korrelierten mit den Stärken der Franzosen. Zuallererst wäre da das Duell auf der Neun zu nennen.
Weltspieler Antoine Dupont ließ sich von einem vermeintlichen Formtief nichts anmerken und bot seinem fünf Jahre jüngeren Gegenüber Jack van Poortvliet eine lehrreiche Lektion. Dupont lieferte den Ball nicht nur deutlich schneller an seine Kollegen, er fand auch immer wieder das richtige Timing und baute clevere Kicks ein, von denen einer direkt zum Versuch führte, sowie ein 50-22, welcher Frankreich den Ballbesitz vorm zweiten Versuch in Englands 22 bescherte.
Dupont schien darüber hinaus mit dem englischen Schmuddelwetter keinerlei Probleme zu haben, ganz im Gegensatz zu einigen Stars der Gastgeber. Nachdem Eddie Jones jahrelang an Ben Youngs festgehalten hat, steht England auf der Halb-Position nun ziemlich blank da. In der dritten Sturmreihe dominierte Frankreich das gesamte Spiel über hinweg.
Auf der Zehn enttäuschte Marcus Smith auf ganzer Linie. Ihm gelang es selten das englische Angriffsspiel auf seine typisch dynamische Weise anzukurbeln, während Romain Ntamack und Toulouse-Vereinskollege Ramos sich die Spielmacheraufgabe aufzuteilen wussten. Englands fortwährende Diskussion darüber, wer England als Verbinder zur WM führen soll, wird weitergehen.
Noch besorgniserregender dürfte aus englischer Sicht das Duell im Sturm gewesen sein. Während das englische Gedränge sogar zeitweise die Oberhand hatte, waren die Franzosen im offenen Spiel in allen Belangen überlegen. Die dritte Sturmreihe um den stark aufspielenden Gregory Aldritt und Ex-Kapitän Ollivon hatte die Hoheit über die Kontaktpunkte und machte dazu mit dem Leder unter dem Arm immer wieder wichtige Meter.
Dazu zeigten sich die Franzosen trotz des seifigen Spielgeräts über das ganze Spiel hinweg kombinations- und passsicher. Fast jedes Offload saß und mehrere Versuche wurden blitzsauber herausgespielt, während Zweite-Reihe-Stürmer Flamant und Ollivon drei Mal per Brechstange ins England-Malfeld eintauchten.
Frankreich muss nun am abschließenden Six-Nations-Wochenende vorlegen, wenn es daheim gegen Wales geht. In der jetzigen Form dürfte das eine klare Angelegenheit werden. Ob dies für den Titel reicht, hängt einzig und allein davon ab, wie das letzte Spiel des Turniers ausgeht. England muss am Saint-Patrick’s-Day-Wochenende nach Dublin reisen und könnte les Bleus Schützenhilfe auf dem Weg zum Titel geben.
Dort zu bestehen scheint für das Team mit der Rose auf der Brust eine schier unlösbare Aufgabe - selbst wenn Irland personell angeschlagen in das letzte Turnierwochenende geht. Das Selbstbewusstsein der Engländer dürfte erheblich unter der Demütigung gelitten haben. Eine zweite deftige Pleite in Folge wäre mit Blick auf die in nicht einmal sechs Monaten startende WM ein Albtraum.
Italien: Zwei Schritte nach vorne, einer zurück
Die Erwartungen an die Azzurri waren seit langem nicht mehr so hoch. Gegen ein zuletzt desolates Wales-Team sollte der erste Heimsieg seit genau zehn Jahren eingefahren werden. Die über 60.000 in Rom gingen optimistisch durch die Drehkreuze des Olimpico und, sofern sie es mit den Gastgebern hielten, enttäuscht wieder hinaus.
Italien zeigte beim 17-29 viel, ließ aber teils noch mehr zu wünschen übrig. Mehr als 750 Meter legten die Männer von Coach Kieran Crowley mit dem Ball in der Hand zurück, wussten aber zu selten, mehr Kapital aus ihren Gelegenheiten zu schlagen. Die beiden Versuche von Negri und Brex nach der Pause kamen jeweils viel zu spät, nachdem in Durchgang eins zu viel gute Feldposition verschwendet wurde.
Bereits zur Pause hatten die Gastgeber mit 3-22 zurückgelegen und daran hatte vor allem ein Rückkehrer Schuld. Rhys Webb war mit seinen 34 Jahren und sechs Jahre nach seinem letzten Start-Einsatz bei den Six Nations der Antreiber der Waliser. Sein völlig unvorhersehbar versprungener Boxkick ermöglichte Außen Dyer den ersten Versuch.
Mit viel Hoffnung gestartet, am Ende war es aber dennoch zu wenig: Italien dürfte die Six Nations wohl als Letzter beenden
Italiens Antwort blieb aus, was vielerlei Faktoren hatte unter anderem die mangelnde Disziplin. Zwei gelbe Kartons, dazu ein Strafversuch in Durchgang eins waren nicht wieder wettzumachen. Immerhin konnte Italien Moral unter Beweis stellen und sich im Spielverlauf erheblich steigern.
Unter dem Strich scheint Italien besser dazustehen, als noch vor zwei oder drei Jahren. Gleichwohl auch nicht auf dem Niveau aus dem letzten Jahr, als man immerhin Wales und Australien schlagen konnte. Man könnte sagen, dass Italien zwei Schritte nach vorne und zuletzt wieder einen zurück gemacht hat.
Kommendes Wochenende müssen die Italiener dann nach Edinburgh reisen. Kaum jemand würde den Azzurri in der schottischen Hauptstadt eine Sensation zutrauen. Aber vielleicht hilft den Italienern ja genau diese Konstellation, um befreit aufzuspielen und vielleicht den ersten Sieg gegen Schottland seit 2015 zu holen.
Irland besteht den Charaktertest in Edinburgh
Als rund eine Stunde gespielt war und beide Teams nur ein Versuch trennte schien Irland in den Seilen. Mit zwei verletzten Haklern, sowie weiteren Ausfällen und keinen Möglichkeiten mehr im Sturm zu wechseln, gegen ein schottisches Team, das mit Huw Jones den wohl formstärksten Innen im Wettbewerb hat, roch es nach der ersten Irland-Pleite seit der Neuseeland-Tour.
Doch Irland schaffte es mit dem Rücken zur Wand noch einmal eine Schippe drauf zu legen, während es den Schotten am nötigen Selbstvertrauen zu fehlen schien. Hogg und Steyn hatten zwei dicke dicke Chancen vergeben, als sie sich nach tollen Angriffen an der Eckfahne hatten ins Aus tacklen lassen. Eine weitere Einladung benötigte Irland nicht: In nur fünf bockstarken Minuten überrannte Irland die Schotten - angeführt von den Veteranen Sexton und O’Mahoney, sowie dem von der Bank hereingebrachten Neuner Gibson-Park.
Irland stand mit dem Rücken zur Wand und konnte sich mit unfassbar viel Willen in Edinburgh durchsetzen
Erst war es James Lowe der nach unzähligen Phasen in der Ecke ablegte und dann legte kurz darauf Jack Conan mit brachialer Gewalt nach. Beide Kicks, jeweils aus schwierigem Winkel, verwandelte Johnny Sexton. Damit brachte der Altmeister seinem Team bei seinen letzten Six Nations - der 37-jährige hatte unter der Woche verkündet, dass für ihn nach der WM definitiv schluss sei - den Matchball. Wenn die Iren am kommenden Samstag daheim gegen England gewinnen wäre das gleichbedeutend mit dem erst vierten Grand Slam in der 140-jährigen Geschichte dieses Turniers.
Auch wenn Irland vermutlich eine Reihe von Topspielen fehlen wird, müsste es schon mit dem Teufel zugehen, damit Irland kommenden Samstag den Saint Patrick’s Day nicht mit der Trophäe in der Hand feiern kann. Johnny Sexton kann dann auch persönlich noch ein Stück Geschichte schreiben: Heute zog er mit seinem Vorgänger als Irland-Verbinder, Ronan O'Gara gleich, als Spieler mit den meisten Punkten in der Turniergeschichte. Schon ein Straftritt würde Sexton zur Nummer eins machen - es wäre ein würdiger Abschied für die lebende Legende Sexton.
Die Tabelle nach 4 von 5 Spieltagen
Rang
Team
Spiele
Siege
Punkte
Differenz
1.
Irland
4
4
19
+66
2.
Frankreich
4
3
15
+46
3.
Schottland
4
2
10
+10
4.
England
4
2
10
-22
5.
Wales
4
1
5
-50
6.
Italien
4
0
1
-48
Die Ausgangslage vor dem letzten Spieltag, drei mögliche Szenarien:
Irland gewinnt daheim gegen England, spielt unentschieden, oder holt zwei Bonuspunkte (vier Versuche und Niederlage mit weniger als sieben Punkte). Dann gewinnen die Iren die Six Nations, unabhängig vom Ergebnis in Paris.
Irland verliert daheim gegen England und holt dabei nur einen Bonuspunkt, während Frankreich gegen Wales mit Offensiv-Bonuspunkt siegt / bzw. Irland holt keine Punkte und Frankreich gewinnt ohne Offensiv-Bonus. Dann ist die Punktedifferenz der Tiebreaker und da liegen die Iren derzeit mit 20 Punkten vorne. Frankreich müsste also gewinnen und die bleibende Differenz gutmachen, die natürlich vom England-Spiel abhängt. Sollten beide Teams dieselbe Punktedifferenz aufweisen, dann zählen die erzielten Versuche, was in diesem Fall für Frankreich sprechen würde.
Frankreich kann die Six Nations ohne Rechnerei gewinnen, wenn les Bleus mit Offensiv-Bonus siegen und Irland daheim gegen England verliert, ohne einen Punkt zu holen. Nur dann kann Frankreich sicher den Titel verteidigen.