Nicht zu stoppen - Schottlands Duhan van der Merwe.
Was für ein Auftakt in das Six-Nations-Wochenende. Schottlands überragender Sieg in Twickenham, die bockstarke Italien-Leistung gegen Frankreich und die Debüts der beiden neuen Coaches - wir analysieren für euch das Geschehen am Wochenende.
Die Last-Minute-Trainerwechsel haben (noch) nichts gebracht
In Wales wurde wieder Hoffnung geschöpft. Der erfolgreichste Trainer der professionellen Ära, Warren Gatland, war zurückgekommen, um den glücklosen Wayne Pivac abzulösen. Mit Gatlands klarer und schnurgerader Spielidee, sowie seiner Erfahrung als Wales-Trainer mit den meisten Stars im Team hoffte man in Cardiff auf einen schnellen Turnaround.
Spätestens nach 21. Minuten am Samstag im Auftaktspiel des Turniers hatten sich diese Hoffnungen aber zerschlagen. Denn für die ersten 21 Zähler benötigten die Iren ebensoviele Minuten - gerade einmal sollte man dazu sagen. Obwohl die Gäste mit Prop Tadgh Furlong und Neuner Jamison Gibson-Park zwei Schlüsselspieler kurzfristig ersetzen mussten, überrollten sie Wales geradezu.
Defensiv fand das Team von Warren Gatland kein Mittel das schnelle Phasenspiel der Iren zu unterbinden, obwohl man mit Justin Tipuric und Jac Morgan zwei starke Balldiebe in der dritten Reihe hatte. Lediglich in den rund 20 Minuten nach der Pause konnten die Waliser Akzente setzen und zwischenzeitlich auf 10-27 herankommen.
Doch die Iren konnten sich wieder fangen und den Deckel auf eine schlussendlich einseitige Partie setzen. Der Gatland-Effekt ist verpufft und nächste Woche müssen die Waliser bei den selbstbewussten Schotten antreten. Auch der erfahrene Neuseeländer konnte aus seinem ehemaligen Team nicht über Nacht einen Titelkandidaten formen.
Englands neuer Trainer Steve Borthwick wiederum startete mit Marcus Smith und Owen Farrell. Scheinbar hatte das Spielmacher-Duo viele Freiheiten und war nicht in ein taktisches Korsett eingezwängt. So konnte Marcus Smith den ersten Versuch von Max Malins mit einem Cross-Kick quer über das Feld auflegen.
Teils übertrieb es der junge England-Verbinder aber auch, wie in der zweiten Hälfte, als er nur wenige Meter vor der Linie zu leichtsinnig in den Kontakt ging und ins Seitenaus getacklet wurde. Insgesamt sah England im ersten Spiel unter Borthwick bereits wie eine Einheit aus und lieferte sich mit Schottland ein großartiges Duell.
Schottlands Außen Duhan van der Merwe vermieste England-Coach Borthwick das Trainer-Debüt
Dass dieses am Ende an die Gäste ging, lag vor allem an Duhan van der Merwe. Der Schottland-Außen erzielte einen Doppelpack und speziell der erste Versuch war einer für die Ewigkeit. Fast sechzig Meter von der Mallinie entfernt erhielt er das Leder und fünf gebrochene Tackles später hatte er einen Run für die Ewigkeit produziert.
Ohne die individuelle Klasse des in Südafrika geborenen Blondschopfs hätten die Schotten nicht zum dritten Mal in 30 Jahren in Twickenham gewonnen. Immerhin hatte England zwischenzeitlich 20-12 im zweiten Durchgang geführt. Doch auch am Ende war es van der Merwe, der sich mit gut fünf Minuten auf der Uhr zum siegbringenden Versuch durchtankte.
Spannung und großartiges Rugby scheinen in diesem Jahr garantiert
Dass Frankreich, immerhin Grand-Slam-Sieger des Vorjahres und Titelfavorit, gegen Italien bis nach der 80 Minute warten musste, bis der Sieg gegen Italien feststeht, hätte so ziemlich kaum einer erwartet. Frankreich konnte das Azzurri-Paket tief in der eigenen 22 aber mit Mühe und Not verteidigen. Zuvor hatten die Zuschauer in der Sonne von Rom ein packendes Duell mit großartigen Spielzügen gesehen.
Auch die Partien in London und Cardiff hatten unglaublich viel gutes Rugby zu bieten und im Falle des Calcutta Cups auch Spannung bis in die Schlussphase. Dazu genau sechs Versuche pro Spiel - was will man sich als Rugby-Fan mehr wünschen? All dies verheißt im WM-Jahr viel Gutes - das traditonsreichste aller Rugby-Turniere wird bis zum 18. März noch für viel Entertainment bieten.
Kommende Woche treffen in Dublin die beiden großen Titelfavoriten aufeinander - Frankreich muss gegen die starken Iren in deren Festung an der Lansdowne antreten. Das Topspiel gleich am Samstag-Nachmittag wird bei weitem noch keine Entscheidung bringen, aber dürfte ein erster Indikator im Titelkampf sein.
Wer hätte damit gerechnet - Italien hat Frankreich am Rande einer Niederlage
Bella Italia auf dem Vormarsch
„Von diesen Italienern werden wir noch viel sehen“, so die Analyse von niemandem geringeres, als Brian O’Driscoll. Die irische Rugby-Legende war nach dem Sonntagsspiel voll des Lobes für die Leistung der Azzurri, die Frankreich über weite Strecken des Spiels mit ihrem Phasenspiel große Probleme bereitet hatten.
Der Sieg gegen Wales am letzten Spieltag des Vorjahres war ein Ausrufezeichen. Doch der sportliche Wert dieses Duells gegen eine schwache walisische Mannschaft war tendenziell geringer einzuschätzen, als die knappe 24-29 Niederlage gegen den amtierenden Grand-Slam-Champion.
Dabei mussten die Italiener auf einige Schlüsselspieler verzichten, darunter der so wichtige Verbinder Paolo Garbisi. Doch mehr und mehr macht sich das langfristig angelegte Investment von Ex-Trainer Conor O’Shea in den Nachwuchs bezahlt, das bereits vor rund zehn Jahren begonnen wurde.
Tatsächlich kann es dieses Team noch weit bringen. Kommende Woche in Twickenham scheint ein Sieg eher utopisch - es wäre der erste Sieg über England überhaupt. Aber warum sollten die Italiener nicht die letzten beiden Partien, daheim gegen Wales und in Schottland gewinnen? Das ist den Azzurri seit genau zehn Jahren nicht mehr gelungen - für die Six Nations insgesamt wäre eine konkurrenzfähige italienische Mannschaft eine riesige Bereicherung.