2022 erwachte der Rugbysport hierzulande endgültig aus der Corona-Schockstarre. Alle Teams von Rugby-Deutschland und alle Ligen waren wieder im Einsatz - für einige deutsche Teams gab es in diesem Jahr Highlights zu feiern. Auch international war 2022 ein spannendes Rugby-Jahr. Wir blicken für euch auf die Highlights des Jahres zurück und haben euch die zehn Momente zusammengestellt, die unserer Meinung nach aus deutscher Rugby-Sicht die wichtigsten waren.
Wolfpack WM-Premiere in Kapstadt
Es war nicht die perfekte Saison des deutschen Wolfpacks, besonders die verpasste World-Series-Quali in Südamerika war enttäuschend und dennoch gab es für die Siebener-Herren von Rugby-Deutschland im Jahr 2022 einen historischen Erfolg zu verbuchen: Die erste Teilnahme einer deutschen Herren-Nationalmannschaft bei einer Weltmeisterschaft überhaupt.
Das Qualiturnier in Bukarest im Sommer war der wohl souveränste Auftritt des deutschen Teams im gesamten Jahresverlauf. Vier Siege, darunter ein dramatischer gegen Wales waren gleichbedeutend mit dem Ticket für Kapstadt. Dort wartete ein Auftritt in einer der bekanntesten Rugby-Arenen weltweit - auch für das erfahrene Team trotz Turnieren in Hongkong ein Novum.
Dramatischer hätte der Start bei der WM in Kapstadt kaum ausfallen können - das Duell mit Chile wurde in der Verlängerung entschieden
In Kapstadt selbst verpasste das deutsche Team äußerst unglücklich ein Duell gegen den Gastgeber und Mitfavoriten im Achtelfinale durch eine Pleite gegen einen alten Rivalen. Eine Führung mit zwei Versuchen gegen Chile reichte in doppelter Unterzahl nicht, auch weil Niklas Koch kurz vor Ende nur wenige Zentimeter vor der chilenischen Linie noch von den Beinen geholt wurde - so mussten unsere Jungs zusehen, wie sich die Chilenen mit Südafrika duellierten.
Dass die Chilenen dann per Straftritt in der Verlängerung zum Sieg kamen, machte die Pleite umso bitterer. Trotzdem, unter dem Strich bleibt die historische erste WM-Teilnahme, die dem Team um Kapitän Carlos Soteras-Merz niemand mehr nehmen kann. Auch angesichts des Weges, den dieses Team in der letzten Dekade aus der europäischen Zweitklassigkeit bis in die erweiterte Weltspitze absolviert hat.
Frankfurt 1880 bleibt die unangefochtene Nummer eins bei den Herren
Als hätte es noch irgendwelche Zweifel gegeben: Bei den Herren ist und bleibt Frankfurt 1880 das Maß aller Dinge. Die Rugger aus der Bankenmetropole konnten ihren Titel aus dem Jahre 2019 zwei Jahre lang aufgrund der Pandemie nicht verteidigen, holten die 80er dies im Sommer aber in eindrucksvoller Manier nach.
Nur ein einziges Spiel gaben die 80er im Saisonverlauf ab und das war im Herbst 2021. Seitdem hat das Team von Meistertrainer Byron Schmidt nicht ein Spiel mehr abgegeben. Das Endspiel wurde gegen exakt denselben Gegner, wie 2019, mit 29:17 gewonnen. Die Frankfurter sind derzeit nicht nur dem Handschuhsheimer Dauerrivalen, sondern auch dem Rest von Rugby-Deutschland in Sachen Spielstärke, Sturmstärke und vor allem taktischer Disziplin voraus.
Der Traditionsklub scheint an der Schwelle zu sein eine Ära zu prägen, wie zuvor der HRK, der zum Serienmeister mutierte. In der laufenden Saison hat Frankfurt nur zwei Bonuspunkte liegenlassen, aber alle Spiele gewonnen. Mit neuen Stars, wie dem Tonga-WM-Teilnehmer Halaifonua ruht sich Frankfurt nicht auf seinen Lorbeeren aus.
Oskar Rixen schafft bei Brive auf Anhieb den Durchbruch in der Top 14
Man kann gar nicht oft genug betonen, wie hoch diese Leistung einzuschätzen ist. Oskar Rixen ist erst 20 und hat in weniger als zwei Jahren den Sprung aus dem Berliner Jugendrugby bis in die Top 14 geschafft, als Stammspieler. Sehr viele Deutsche haben es vor dem Berliner Hünen versucht und eine derart zentrale Rolle bei seinem Klub hat außer Robert Mohr, der bei La Rochelle zur Vereinslegende wurde, keiner gespielt.
Gerade die sturmbetonte knüppelharte Top 14 ist für Neulinge aus dem Ausland kein einfaches Pflaster, zumal der Zweite-Reihe-Stürmer aus der Hauptstadt noch unter die Ausländer-Regelung fällt und erst übernächste Saison als Rugby-Franzose gilt. Dann dürfte Rixen für Top-14-Klubs noch wertvoller sein, als er das jetzt schon ist.
Sollte Rixen seinen Arbeitsethos aufrechterhalten und von schweren Verletzungen verschont bleibt, steht ihm eine große Karriere in der vielleicht besten Liga der Welt bevor. Aus deutscher Sicht kann man dem sympathischen Berliner nur die Daumen drücken.
Deutschlands Siebener-Damen bleiben bei der EM erstklassig
Die Zeit als Fahrstuhlteam scheint für die deutschen Siebener-Damen vorerst vorbei. Das Team von Trainer Cieran Anderson musste zwar beim letzten EM-Turnier lange um den Klassenerhalt zittern, schaffte ihn am Ende aber dennoch, da man in der EM-Endabrechnung Wales und Rumänien hinter sich lassen konnte.
Nach zwei schwierigen Pandemiejahren blickt man nun wieder optimistischer in die Zukunft. Die deutschen Damen werden kommendes Jahr zum dritten Mal in Folge in der erstklassigen Grand-Prix-Series. Mit einer zunehmend verjüngten und talentierten Mannschaft ist es nun an der Zeit, sich endgültig unter Europas Top-Teams zu etablieren.
Der SCN entthront die RGH im Siebener
Jahrelang waren das Kürzel RGH und das olympische Siebener-Rugby quasi Synonyme. Die Orange Hearts hatten sich sechs Titel in Folge gesichert und der siebte schon schon vor dem Turnier im Heidelberger Rugby-Wohnzimmer ausgemachte Sache zu sein. Doch ausgerechnet der Lokalrivale SCN wurde bei der Krönungszeremonie zum Spielverderber.
Dabei hatte sich Königsblau noch an Tag eins des Turniers gegen Germania List eine heftige 0:31 Abfuhr eingehandelt und lag nach der ersten Halbzeit des Endspiels mit 0:10 zurück. Doch bis zum Abpfiff der regulären Spielzeit konnte sich das erstmals von Curtis Bradford betreute Team den Ausgleich holen.
Als Routinier Oliver Paine dann in der Verlängerung per Dropkick die Nerven behielt und zum 13:10 Sieg verwandelte, kannte der königsblaue Jubel keine Grenzen. Der erst zweite Siebener-Titel nach der Premiere 1996.
Klub-Damen kommen am stärksten aus der Pandemie-Pause
Jahrelang hallte es über die deutschen Rugby-Plätze deutscher Meister wird nur der HRK! Damals waren die Herren des Klubs Abomeister und während das nicht mehr der Fall ist, sind die Klub-Frauen aktuell sportlich über jeden Zweifel erhaben. Nach einem perfekten Jahr ohne eine einzige Niederlage gilt: Die HRK-Frauen sind das Maß aller Dinge im Frauen-Fünfzehner. Noch vor Corona war der HRK nicht einmal im Finale und musste mit ansehen, wie der SC Neuenheim den Titel gegen Köln verspielte. Jetzt dominieren die Zebras die Konkurrenz nach Belieben.
München überrascht als Aufsteiger
Am Ende mag dem Liganeuling im Spätherbst ein wenig die Puste ausgegangen seien. Doch was der Münchner Aufsteiger in den ersten Wochen abbrannte, trotzte so einigen Respekt ab. Schon lange hat kein Aufsteiger in der knüppelharten Südstaffel der Bundesliga für derart viele Überraschungen gesorgt.
Siege gegen die etablierten Bundesligisten Heusenstamm, RG Heidelberger und den Heidelberger RK. All dies reicht am Ende für Rang fünf in der Jahresabrechnung. Der direkte Abstieg scheint bei 13 Zählern Vorsprung auf den HRK sowieso kein Thema. Wenn die kombinationsfreudigen Himmelblauen vom italienischen Coach Umberto Re noch ein Team aus dem Trio RKH, RGH und Offenbach hinter sich lassen, spielt der MRFC auch kommendes Jahr zum Jahreswechsel noch erstklassig.
Das würde gut ins Bild passen, denn das Münchner Rugby boomt weiterhin mit konstanten Wachstumszahlen im zweistelligen Prozentbereich. Wenn dann kommendes Jahr noch wie geplant die Oktoberfest 7s zurückkehren, dann dürfte es auch für das Münchner Rugby weiter bergauf gehen.
Frankreichs perfektes Jahr
Erst zum dritten Mal in der professionellen Ära hat eine Nationalmannschaft eine perfekte Saison hingelegt. Frankreich gewann alle seiner 10 Spiele, holte den ersten Grand Slam bei den Six Nations seit über einer Dekade und konnte dazu in den letzten 14 Monaten alle Top-Ten-Teams im internationalen Rugby schlagen. All dies mit French Flair, also Spielwitz und unendlich viel Power.
Die goldene Generation der Franzosen um Damien Penaud, Antoine Dupont und Romain Ntamack ist noch nicht mal in den besten Rugby-Jahren, dominiert das Geschehen aber bereits jetzt, wie kaum ein zweites Team. Bisher scheint die jungen Wilden aus der Grande Nation nichts zu betrüben, auch nicht, dass man neuerdings fast immer als Favorit in die Duelle geht.
Frankreich ist seit über einem Jahr die beste Mannschaft im Welt-Rugby
Derart viel Rückenwind vor einer WM hatten zuletzt die All Blacks 2015 und sie wurden damals den Ansprüchen gerecht. Frankreich hat dazu den Luxus kommendes Jahr daheim auflaufen zu dürfen. Gleich im Auftaktspiel der WM warten les Blacks, wie die All Blacks auf der anderen Rheinseite genannt werden. So wie das Team von Trainer Fabien Galthié derzeit aufspielt, dürfte die XV den France auch in Deutschland viele Sympathisanten haben.
Unsere Adler sind wieder erstklassig
Nach drei Jahren in der zweitklassigen Rugby Europe Trophy spielt die deutsche Nationalmannschaft künftig wieder erstklassig. Das Abenteuer Championship ist dem Team zugegebenermaßen ein wenig in den Schoß gefallen. Nach den beiden Februar-Länderspielen - eine Niederlage mit Defensiv-Bonus gegen Belgien sowie ein Sieg mit Offensiv-Bonus gegen die Schweiz - lag das deutsche Team punktgleich mit Polen bei besserer Punktedifferenz.
Wegen der knappen Pleite im November des Vorjahres, der wohl ärgerlichsten seit dem Abstieg 2019 gegen Portugal, galt der direkte Vergleich gegen Polen aber als verloren. Das Resultat: Polen schaffte den Aufstieg direkt und das deutsche Team würde ein weiteres Jahr unterklassig Spielen. Doch durch die Disqualifikation der Russen, die wegen des brutalen Angrifskrieges des Landes aus allen internationalen Wettbewerben in fast allen Sportarten ausgeschlossen sind, rückten unsere Adler unerwartet nach.
Das Team von Mark Kuhlmann und Kapitän Jörn Schröder will die Gelegenheit beim Schopfe packen. Der Auftakt könnte kaum härter sein, denn der erste Gegner lautet Georgien. Eben jene Lelos, die noch im November Wales schlagen konnten. Trotz der ungewöhnlichen Umstände, für das deutsche Rugby ist dieser Aufstieg eine Chance.
Die Black Ferns krönen sich daheim
Für das Frauen-Rugby war es ein großartiges Jahr, für die Black Ferns die Krönung. Der sechste Titel in der Geschichte der neuseeländischen Frauen war der erste daheim. Vor knapp 43.000 im vollen Eden Park konnten die Gastgeberinnen den ärgsten Rivalen in einem packenden Endspiel mit 34-31 schlagen.
Ein Endspiel für die Ewigkeit
Noch mit der letzten Aktion des Spiels musste Neuseeland eine Fünf-Meter-Gasse der Ladies aus dem Mutterland verteidigen und hielt dabei das eigene Malfeld sauber. Der Jubel der 43.000, darunter Ministerpräsidentin Jacinda Ahern, kannte keine Grenzen. Der Lohn war der wohl emotionalste Titel in der Geschichte des Teams.