Diskussionen um Ex-Azzurri-Star Castrogiovanni: Hätte er für Italien spielen dürfen?
Geschrieben von TotalRugby Team
Mittwoch, 3. August 2022
Castrogiovanni (Mitte) ist mit 119 Einsätzen für Italien immer noch auf Rang 2 der Liste der Allzeit-Rekordspieler der Azzurri.
In kaum einem anderen Sport ist das internationale Geschehen dermaßen wichtig, wie im Rugby. Auch deswegen sind die Diskussionen um die Frage, wer eigentlich für eine Nationalmannschaft auflaufen darf, dermaßen intensiv. Einer der größten Stars der Azzurri überhaupt, hätte zum Zeitpunkt seines Debüts wohl nicht für Italien auflaufen dürfen.
Martin Castrogiovanni ist eine der größten Legenden der Azzurri überhaupt. Der Erste-Reihe-Stürmer war zwischen 2002 und 2016 sprichwörtlich der Pfeiler des italienischen Gedränges und sammelte insgesamt 119 Einsätze für Italien. Zusammen mit Sergio Parisse prägte er eine Ära des Teams, während der Siege gegen Schottland, Irland, Frankreich und Argentinien gelangen und sich Italien so endgültig in der erweiterten Weltspitze etablierte.
Wie Rekordnationalspieler Parisse auch, wurde Castrogiovanni in Argentinien geboren. Das ist soweit nichts ungewöhnliches, denn je nachdem welchen Zahlen man traut, haben bis zu 50% der Bevölkerung Argentiniens italienische Wurzeln. Zahlreiche italienische Worte werden im örtlichen spanisch genutzt und insgesamt ist italienisch die am zweitmeisten gesprochene Sprache.
Dass Castrogiovanni für das Land seiner Vorfahren auflief, ist von daher nichts Ungewöhnliches. Vielmehr sorgte aber ein Interview der Rugby-Legende am gestrigen Dienstag für Aufsehen. „Castro“ erklärt in besagtem Interview nämlich, dass seine Urgroßeltern einst nach Südamerika ausgewandert seien und er den Weg seiner Familie im Jahr 2001 in umgekehrter Richtung absolviert habe.
Er gehört zu Italiens besten jemals und punktete beispielsweise beim Sieg über Frankreich 2013
Offensichtlich hätte "Castro" zum Zeitpunkt seines Debüts nie für die Azzurri spielen dürfen
Beide Details lassen den Schluss zu, dass der beste Prop, der je für Italien aufgelaufen ist, nie hätte für die Azzurri spielen dürfen. Denn zum Zeitpunkt seines Debüts hätte er demnach weder das Kriterium der Vorfahren erfüllt, nach welchem die Großeltern im Land geboren sein müssen, noch die damalige Regelung von drei Jahren dauerhafter Residenz im Land seiner Nationalmannschaft.
Das hat in den Medien und den sozialen Netzwerken für Zundstoff gesorgt. Jetzt könnte man meinen, dass die Diskussionen, die nun über die Azzurri-Legende ausgebrochen ist, zwei Dekaden zu spät kommen. Jedoch ist das Thema weiterhin hochrelevant, wie die erneute Disqualifikation der Spanier vor wenigen Wochen zeigt, die die WM wegen eines nicht spielberechtigten Nationalspielers zum zweiten Mal in Folge verpassen – auch wenn dieser nur einige wenige Minuten in einem bereits entschiedenen Spiel auf dem Platz stand.
Noch pikanter ist die Tatsache, dass sich Italien 2003 mit Castrogiovanni auf Kosten jener Spanier für die WM in Australien qualifizierte und dort dann als Gruppendritter die Quali für die WM 2007 eintütete. So manch ein Spanier dürfte sich heute fragen, was passiert worden wäre, wenn die Iberer in Australien gegen die All Blacks in der Gruppenphase hätte antreten dürfen.
Das Thema Spielberechtigungskriterien wird auch künftig ein brisantes bleiben
Nach mehreren Reformen der Spielberechtigungskriterien sind diese nun komplizierter als je zuvor. Der Weg über das sogenannte Residenzkriterium wurde erschwert und mittlerweile muss ein Spieler, der beispielsweise für Deutschland auflaufen will aber keine deutschen Wurzeln hat, ganze fünf Jahre mehr oder minder ununterbrochen im Land sein. Ein Wechsel ist dagegen mittlerweile relativ problemlos möglich.
Für den Rugbysport ist die internationale Bühne weitaus wichtiger, als für den Fußball und erst recht als das artverwandte Football-Spiel. Auch deshalb ist die Integrität des internationalen Wettbewerbs wichtig und deshalb wirkt der Fall Castrogiovanni auch dermaßen absurd. Der wohl zweitbeste Spieler, der jemals für Italien aufgelaufen ist, hätte dies zum Zeitpunkt seines Debüts gar nicht gedurft.