Seit 2017 aus dem Wolfpack nicht mehr wegzudenken: John Dawe (c) Perlich
John Dawe (29) hat sich in den fünf Jahren im Einsatz für das Wolfpack zu einem der wichtigsten Spieler der deutschen Siebener-Nationalmannschaft entwickelt. Der Deutsch-Engländer mit der Hannoverer Mutter ist auf dem Feld vor allem für seine Stärke an den Kontaktpunkten bekannt. Im ausführlichen TR-Interview erzählt der gerade in der Reha befindliche Dawe von seinen turbulenten letzten Monaten - inklusive der WM-Quali, seiner Knieverletzung und der Flucht aus Russland, wo er bis Februar als Rugby-Profi unter Vertrag stand - und blickt auf die kommenden Aufgaben.
TotalRugby: Vielen Dank John, dass du dir die Zeit für uns nimmst. Direkt Mal vorneweg: Wie geht es deinem Knie?
John Dawe: Es könnte schlimmer sein. Aber leider ist das hintere Kreuzband beschädigt und ich befinde mich gerade in der Reha.
TR: Wie sieht es mit dem World-Series-Qualiturnier für dich aus und wie ist es genau geschehen?
JD: Das wird sehr eng*, wir werden sehen. Es ist beim Spiel gegen Georgien passiert, dem ersten bei der WM-Quali in Bukarest. Die haben den Rasen dermaßen gewässert, dass er trotz Hitze sehr tief war. Nach rund zehn Minuten etwa gab es eine Situation in einer Gasse, bei der ich im Rasen hängen geblieben bin.
TR: Wie war es für dich, fast das gesamte Turnier zuschauen zu müssen?
JD: Das hat mich einiges an Nerven gekostet. Ich hätte lieber jede einzelne Sekunde des restlichen Turniers in der Hitze gespielt, als zum Zuschauen verdammt zu sein, ohne einen Einfluss auf den Ausgang zu haben.
TR: Besonders das Spiel gegen Wales (12:10 für Deutschland)…
JD: Das war so unfassbar eng, aber auch eines der Spiele, wo die Jungs wirklich das allerletzte Prozent rausgeholt haben, um am Ende das Malfeld so lange wie möglich sauber zu halten. Als der walisische Kicker dann die Erhöhung verpasst hat und noch eine Minute zu spielen war, das war unglaublich spannend. Ich war ultranervös an der Seitenlinie und konnte mich kaum zurückhalten.
John Dawe vor der beeindruckenden Kulisse von Hongkong 2018
TR: Dann gegen Italien habt ihr es ja deutlich gemacht. Wer hat beim Abpfiff am lautesten gejubelt?
JD: Jack Hunt ist ziemlich ausgerastet, aber für viele der älteren Jungs war es fast eher Erleichterung nach so vielen Anläufen, bei denen es knapp nicht gereicht hat. Die Erwartungen waren immer da und jetzt hat es endlich auch gepasst. Eine Erleichterung, aber es ist eine Ehre zugleich, bei der WM dabei sein zu dürfen.
TR: Die Feier danach soll ja auch nicht so schlecht gewesen sein, obwohl es für dich mit der Kniegeschichte ein bittersüßer Moment gewesen sein muss.
JD: Leider war meine Nacht nicht dermaßen lang, wie bei einigen der anderen Jungs. Aber ein paar entspannte Bier trinken und zu realisieren, was wir geschafft haben, war großartig.
TR: Die Quali war die Belohnung für Jahre der harten Arbeit, aber auch der intensiven Vorbereitung der letzten Monate. Wie war es für euch mit dem neuen Trainer Phil Snyman zu arbeiten?
JD: Er hat sicher noch einmal frischen Wind hereingebracht, wir spielen jetzt wieder mehr in die Breite und das fühlt sich gut und richtig an. Er hat schon ziemlich andere Vorstellungen vom Spiel, als Damien McGrath zuvor – aber das passt sehr gut zu uns.
TR: Wo sind die größten Unterschiede?
JD: Phil und Damien haben wirklich sehr verschiedene Ansichten. Phil will, dass wir mehr auf Ballbesitz aus sind und dabei die gegnerische Defensive von Seitenlinie zu Seitenlinie in die Breite ziehen. Tatsächlich ist es dem Stil von Vuyo Zangqa (Ex-Trainer und Vorgänger von Damien McGrath) sehr ähnlich – vielleicht ist das auch einfach die südafrikanische Art Siebener zu spielen. Es passt einfach gut zu unseren Charakteren und Talenten.
„Wir brauchen nicht nur sieben, oder zwölf Spieler, sondern die Anstrengung des gesamten Kaders, um erfolgreich zu sein"
TR: Zuletzt hat man vermehrt auch wieder neue Gesichter im Team gesehen. Jakob Dipper zum Beispiel war bei der EM und der Quali dabei. Was für einen Unterschied hat das gemacht, nachdem das Team jahrelang sehr ähnlich aussah?
JD: Ich finde das großartig für uns. Das war auch einer der ersten Sachen die Phil Snyman betont hat: Wir brauchen nicht nur sieben, oder zwölf Spieler, sondern die Anstrengung des gesamten Kaders, um erfolgreich zu sein. Den Kader weiterzuentwickeln ist wichtig. Es kommen junge Spieler nach, die Druck auf die älteren Spieler wie mich machen, was uns wiederum auch antreibt. Es gibt einen richtigen Konkurrenzkampf um die Plätze und das ist extrem wichtig für uns.
TR: Der Blick richtet sich ja jetzt auf die World-Series-Quali in Chile. Mit dem Erfolg von Bukarest im Rücken, mit welcher Einstellung geht ihr jetzt in dieses Turnier?
JD: Wir wollen wirklich nur von Turnier zu Turnier denken und das ist jetzt der nächste Schritt. Aber klar, wir wollen einen weiteren Erfolg feiern und auf die Series kommen. Nachdem wir mehrmals dermaßen nah dran waren, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt zu beweisen, dass wir auf dieses Top-Level gehören. Wir werden die Sache positiv angehen und hoffentlich den Sprung endgültig schaffen.
TR: Dieses Mal geht ihr, anders als in den Jahren zuvor, erstmals als Favoriten in dieses Qualiturnier. Was ändert das und kann man sich so leicht an diese Rolle gewöhnen?
JD: Ich denke, dass das in unseren Köpfen keine dermaßen große Rolle spielen darf. Im Siebener und in diesem Turnier kann jeder an einem guten Tag jeden schlagen. Da es nur ein einziges Turnier ist, das über den Aufstieg entscheidet, muss man von Beginn an zu 100% da sein. Wir hatten nach Bukarest ein paar Tage frei, arbeiten jetzt an unserem Spiel und bereiten uns dann bald auf unsere Gruppengegner Uruguay, Uganda und Litauen vor.
TR: Nach dem Qualiturnier in Chile spielt ihr ja wenige Wochen wo ganz anders gegen Chile. Denn die Südamerikaner werden euer erster Gegner bei der WM sein. Solltet ihr gewinnen, geht es in der Night Session gegen Südafrika vor 60.000 in Kapstadt. Wie klingt das für dich?
JD: Als die Auslosung herauskam, sagen wir so, die Jungs waren begeistert. Für uns als relativ kleines Rugbyland gegen Südafrika in Kapstadt anzutreten, das ist großartig. Ich kenne ja auch ein paar Jungs, die auf der World Series spielen – da hört man auch immer wieder, dass es keine bessere Stimmung gibt, als in Kapstadt gegen Südafrika zu spielen. Aber natürlich müssen wir erstmal Chile schlagen, um gegen die Boks spielen zu dürfen.
TR: Jetzt mal zu einem ganz anderen Thema. Du hast ja bis Anfang des Jahres noch in Sankt Petersburg unter Vuyo Zangqa bei Narvskaya Zastava als Profi in Russland gespielt. Die Tage zu Kriegsbeginn im Februar müssen ja auch für dich turbulent gewesen sein…
JD: Es waren ein paar Monate, die ich nicht vergessen werde. Zu Kriegsbeginn in Petersburg zu sein, das hat sich zunächst sehr normal angefühlt, die Menschen haben einfach ihr Leben weitergelebt. Aber auf einmal konnte man aber nicht mehr soziale Medien wie Facebook, oder Twitter erreichen. Insgesamt war es schwer, sich ein Bild davon zu machen, was genau passiert ist. Ich habe nur aus Nachrichten von meinen Eltern und Freunden erfahren, was so richtig mit dem Krieg vor sich ging. Es war ein bizarre Situation, obwohl das Leben in Russland irgendwo relativ normal weiterging.
TR: Du hast dich dann entschieden, zu gehen?
JD: Wir hatten zahlreiche Meetings mit dem Trainer, Klubverantwortlichen und auch dem Besitzer des Klubs (Dmitry Morozov, Pharmaunternehmer und Produzent des Sputnik-Impfstoffs; Anmerkung der Redaktion). Dem Klub kann ich keinerlei Vorwurf machen, die haben sich mirgegenüber absolut korrekt verhalten und ich habe es auch immer genossen, für Zastava zu spielen. Wir haben dann aber als Gruppe von internationalen Spielern uns gemeinsam entschieden zu gehen. Wir mussten uns irgendwann entscheiden, es gab immer weniger Flugverbindungen aus Russland heraus und ich musste beispielsweise über die Emirate fliegen, um nach England zu kommen. Wenn es nicht zu dieser Situation mit dem Krieg gekommen wäre, würde ich sicher noch in Petersburg sein – es war bis dahin eine tolle Erfahrung, die ich nicht bereue.
Aber am Ende meiner Zeit war es schon wirklich bizarr, mir fällt schlicht kein besseres Wort dafür ein. Niemand wollte darüber sprechen, was da vor sich geht. Niemand hat sich getraut etwas zu sagen, aber man hat schon das Gefühl bekommen, dass viele gegen den Krieg sind, ohne dass sie es explizit gesagt haben.
TR: Hat irgendjemand überhaupt das Wort Krieg benutzt?
JD: Das wird dort sehr sehr streng gehandhabt. In den sozialen Medien wird alles ziemlich genau kontrolliert und ich glaube nicht, dass sich Spieler oder sonstjemand trauen wird, sich da aus dem Fenster zu lehnen – leider.
TR: Durch diese ganze Episode bist du jetzt in Heidelberg gelandet und bist Spieler beim SCN.
JD: Clemi (Nationaltrainer Clemens von Grumbkow; Anmerkung der Redaktion) und das Team-Management waren durchgehend im Kontakt mit mir und haben sich dafür eingesetzt, eine Lösung für mich zu finden. Das weiß ich sehr zu schätzen – jetzt bin ich in Heidelberg und wohne in einer WG mit Ex-Wolfpack-Kollege Sebi Fromm und genieße die Stadt. Heidelberg ist großartige – ich sage immer Heidelberg ist eine große Kleinstadt: Wirklich schön, es passiert viel, aber die Distanzen sind nicht allzu groß und die Leute sind nett.
TR: Wenn ihr es in die World Series schaffen solltet, wird der Terminplan ja wirklich eng werden. Sieht man dich trotzdem im Königsblau in der Bundesliga?
JD: Sicherlich wird es eng, aber ich hoffe ein paar Spiele in der Bundesliga spielen zu können. Ich habe schon lange kein Fünfzehner mehr gespielt, zuletzt vor Corona in England. Es wird langsam Mal wieder Zeit…
TR: Eine Frage noch zum Abschluss. Du wirst jetzt bei der WM und bei der World-Series-Quali wieder die Chance haben, ein paar Highlight-Videos zu produzieren. Bisher bekommt man vor allem ein Video zu sehen, wenn man nach deinem Namen sucht…
JD: (lacht) das wird mich wohl für immer verfolgen!
TR: Musst du dir deswegen noch immer etwas anhören?
JD: Ständig (lacht) überall. Es ist mein meistgesehens Highlight-Video mit ein paar hunderttausend Views. Dabei war die Situation für den Spielausgang eigentlich egal. Die Uhr war abgelaufen und wir waren in Vancouver 7-28 gegen Kanada im Rückstand. Aber scheinbar war ich nach 14 Minuten komplett fertig und in meinem Gehirn kam kein Sauerstoff mehr an. Irgendwie muss ich mir gedacht haben diese Punkte brauchen wir.
Diese Szene wird mich bis an mein Lebensende verfolgen - John Dawes Passversuch im Malfeld bei den Canada 7s in Vancouver
TR: In Kapstadt bei der WM hast du ja dann die Chance etwas zur Highlight-Sammlung hinzuzufügen, das vielleicht noch mehr Views bekommt…
JD: Hoffentlich ein Versuch gegen die Blitzbokke, damit kann ich dann spätestens Wiedergutmachung betreiben.
TR: Vielleicht der Versuch zum Sieg in der Nachspielzeit?
JD: Dann werde ich ganz sicher nicht mehr versuchen zu passen!
TR: John, vielen Dank für das Gesprächm, gute Besserung mit dem Knie und natürlich viel Erfolg in Chile und Kapstadt!
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