Für die Menschen in Georgien ist der bewaffnete Konflikt eine keineswegs ferne Realität. Foto (c) Perlich
Dieser Tage dominiert der bewaffnete Konflikt an der russisch-ukrainischen Grenze die Schlagzeilen und Nachrichtensendungen rund um den Globus, ein veritabler Krieg in Europa scheint wahrscheinlicher denn je. Auch im Rugby schlägt sich dieser Konflikt bereits nieder, spätestens am Sonntag in Tbilisi.
Als der georgische Rugby-Verband gestern sein Team für das EM-Duell am Sonntag in der Dinamo-Arena von Tbilisi gegen Russland bekannt gab, dürfte der eine oder andere Fan des Teams gestaunt haben. Denn in den sozialen Medien wurde die Mannschaft unisono in ukrainischer Sprache bekannt gegeben, obwohl in Georgien nicht einmal 1% der Bevölkerung überhaupt ukrainisch spricht oder versteht.
Doch wer sich mit der jüngeren Geschichte beider Länder auseinandersetzt, versteht den Zusammenhang. Sowohl die Ukraine, als auch Georgien sind ehemalige Teilrepubliken der Sowjetunion, die Anfang der 1990er-Jahre ihre Unabhängigkeit von Moskau erlangten. Beide Länder befinden sich noch heute im Konflikt mit Russland, das sowohl Teile des georgischen, als auch des ukrainischen Staatsgebietes besetzt hat, ohne dass dies von der internationalen Gemeinschaft völkerrechtlich anerkannt wird.
Der georgische Rugby-Verband setzt ein Zeichen der Solidarität
Man fühlt sich in Georgien quasi im selben Boot und will mit der Verkündung der eigenen Mannschaft gegen Russland in ukrainischer Sprache ein Zeichen der Solidarität setzen, nachdem russische Panzer seit gestern trotz der einhelligen Verurteilung der Weltgemeinschaft im Donbas rollen. In Georgien ist der dortige Konflikt mit dem einstigen Machthaber auch 14 Jahre, seitdem die Waffen schweigen, allgegenwärtig. 20% des international anerkannten georgischen Staatsgebietes stehen heute unter russischer Kontrolle und russische Soldaten stehen rund 60 km vom Boris Paisadze Stadion, wo beide Teams am Sonntag aufeinander treffen.
Die Duelle mit Russland sind für Georgien immer eine emotionale Angelegenheit
Bis zur letzten WM spielte bei den Lelos mit Giorgi Begadze auch noch ein Veteran aus dem georgisch-russischen Krieg 2008 im Team mit, der Tackles gegen den einstigen Kriegsgegner setzte und nicht mehr mit Waffen vorging. Am Sonntag dürften sich all diese Emotionen rund um den Rugbyplatz auf den Tribünen des größten Stadion des Landes erneut entladen, was die Dramaturgie um das Duell der Kaukasus-Nachbarn nur noch mehr erhöht.
Zum Glück sind derartige Konflikte im Rugby eher selten, während es im Fußball Spiele der verfeindeten Balkanstaaten, bspw. zwischen Serbien und dem Kosovo, immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen auf und neben dem Feld kommt. Generell muss man sich die Frage stellen, inwiefern Sport und Politik heutzutage überhaupt zu trennen sind und ob sich Sportler für das Handeln ihrer Regierungen verantworten sollten. Die Georgier setzen ein Zeichen der Solidarität, was auf der anderen Seite aber sicherlich als Provokation aufgenommen wird.
Der große Sport als Bühne für autokratische Regime
Russland wiederum nutzt die sportliche Bühne seit Jahren ähnlich wie die Chinesen und Katar, um sein Image aufzupolieren, siehe die olympischen Winterspiele in Sotschi oder die Fußball-WM 2018. Sogar Pläne zur Ausrichtung einer Rugby-WM in Russland soll es seitens des russischen Verbands geben. Jedoch wurden in Russlands Sportpolitik immer wieder Grenzen überschritten, man denke nur an das staatlich organisierte Doping-Programm historischen Ausmaßes, welches für das IOC Grund genug war, die Russen nicht unter eigener Fahne bei Olympia starten zu lassen.
Georgiens ehemaliger Neuner Giorgi Begadze: 2008 noch als Soldat im Konflikt mit den Russen, dann bis zur WM 2019 bei den Lelos
Der Boykott Südafrikas als historisches Vorbild im Rugby könnte zum Vorbild werden, sollte Russland noch weiter auf ukrainisches Territorium vorrücken, auch wenn die Rugby-Auswahl um Kapitän Vasili Artemyev wenig für das Vorgehen ihres Präsidenten kann. In den 1970er- und 1980er-Jahren waren die Springboks vom internationalen Rugby wegen der Rassenpolitik ihres Landes de facto ausgeschlossen und durften auch nicht bei den ersten beiden Weltmeisterschaften 1987 und 1991 teilnehmen.
Schon jetzt sieht sich die UEFA Forderungen konfrontiert, das Finale der Fußball Champions League statt wie geplant in Sankt Petersburg, anderswo austragen zu lassen. Beim Fußballklub Schalke 04 will man prüfen, ob das Sponsoring durch den russischen Konzern Gazprom angesichts der Entwicklungen der letzten Tage noch tragbar ist. Ob es auch im Rugby Konsequenzen geben wird, bleibt fraglich. Derzeit scheint es so, als würde die russische Sbornaja die erneute WM-Quali verpassen, zumal das Team in Tbilisi als Underdog antreten wird. Jedoch wird immer klarer, dass Politik und Sport immer schwerer voneinander zu trennen sind.
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