Das Berliner Derby Grizzlies-BRC wird es in der Form zumindest auf Sicht nicht mehr geben.
Die Berlin Grizzlies werden künftig nicht mehr in der Rugby-Bundesliga spielen. In den letzten knapp fünf Jahren hatte man sich im Norden an den Namen des dritten Berliner Bundesligisten gewöhnt. Mit der zweiten Spielabsage am Samstag folgt nun bereits in der Hinrunde der Zwangsabstieg, eventuell löst sich der Klub vorher bereits auf - jedoch steckt hinter dem Kollaps des Vereins weit mehr, als lediglich ein paar Kaderprobleme, welche zu Spielabsagen führten.
Das Ende des einst ambitioniert gestarteten Projekts in der Rugby-Bundesliga war weitaus weniger spektakulär, als die frühen Versprechen in den Anfangsjahren. Gegen den Berliner RC konnten die Grizzlies vergangenen Samstag keine Mannschaft mehr stellen. Die verbliebenen Spieler wollten sich selbst noch ein Abschiedsspiel ermöglichen und dem Berliner RC das lange geplante Herbstfest, dessen Hauptattraktion das Hauptstadt-Derby sein sollte, nicht mit einer Absage vermiesen.
So absolvierte man die Partie beim BRC noch außerhalb jeder Wertung und musste den Kader vom Gegner auffüllen lassen. Vor rund zehn Jahren hatte der starke Mann hinter den Grizzlies, Mick Schmidt, noch ganz andere Visionen für sein Projekt, das er mit seiner Initiative Rugby Revolution managte. Diese steckte schon hinter ebenso hochtrabenden Projekten, wie den Karlsruher Falken, deren Ende damals ebenso jäh kam.
Das letzte Spiel der Grizzlies war außerhalb jeder Wertung und dennoch untermauerte es den Spirit unseres Sports
Schmidts Vision war es, mit den Grizzlies einen professionellen Rugby-Klub in der Hauptstadt etablieren. Als Zeichen dafür, wie ernst es ihm damit war, plante er das damals wohl beste Vereins-Team der Welt, die Queensland Reds, zu einem Spiel in die Hauptstadt einfliegen zu lassen, wie mehrere Weggefährten bestätigen. Ein Kontakt zu den Reds, die in Schmidts Wahlheimat Brisbane daheim sind, kam durchaus zustande, das Spiel selbst freilich nicht.
Was im Nachhinein angesichts der zuletzt bescheidenen Realität der Grizzlies in den vergangenen Jahren im Oranienburger Exil geradezu grotesk wirkt, ist ein gutes Beispiel für den Modus Operandi des in Australien lebenden Grizzlies-Gründer. Große Versprechen, aber relativ wenig bis gar nichts dahinter.
Der Digital-Pranger erreichte viele nicht rechtzeitig
Auf Twitter existiert unter dem Handle @BerlinGrizzlies noch immer ein Account, der wohl einst als offizielles Konto des Vereins begann, dann vom Konto-Administrator aber als digitale Warnung vor den Geschäftspraktiken des Vereinsbosses umgewandelt wurde und seither für alle lesbar online abrufbar ist.
So ist dort noch immer für alle einsehbar auf Englisch zu lesen: „Die gebrochenen Versprochen dieses Vereins und seines Gründers Mick Schmidt könnte man von Berlin bis München aufreihen“, oder „wenn ihr Teil der Grizzlies werdet und mit Mick Schmidt zu tun habt, ACHTUNG: Lasst euch alles schriftlich geben und vertraglich absichern!“
Diese Warnung wurde von zahlreichen aktuellen und ehemaligen Spielern der Grizzlies leider nicht rechtzeitig gehört. Zu rosig klangen die Worte, zu groß waren die Versprechen des Vereinsgründers, zu verlockend die Angebote für Geld in der trendigen Metropole Berlin Rugby zu spielen.
Viele von Ihnen fanden sich nach der Ankunft in Berlin entgegen vorheriger Versprechen über eine ordentliche Unterkunft in einem Party-Hostel wieder, dessen Logo noch immer als Sponsor auf der Webseite des Vereins prangt und dem der Verein aktuell wohl einen signifikanten Betrag schuldet.
Wir von TotalRugby haben mit mehreren Aktiven und ehemaligen Spielern, sowie zwei Ex-Coaches und einem Vereins-Offiziellen der Grizzlies gesprochen und natürlich auch Mick Schmidt selbst die Chance gegeben, sich zu den Vorwürfen zu äußern.
Der letzte Grizzlies-Trainer Mike Jackson erhebt schwere Vorwürfe
Mike Jackson war bis vor einer Woche noch Coach der Berlin Grizzlies und hat so einiges über die fragwürdigen Praktiken des Vereins und vor allem seines Gründers zu berichten. Dabei war auch Jackson mit viel Optimismus und voller Tatendrang nach Berlin gekommen: Selbst eigene Zweifel ob des übertriebenen „Sales Talks“ seitens Schmidts, schreckten Jackson davon nicht ab.
Dieser hatte zuvor bereits in mehreren Ländern gecoacht, zuletzt in Manchester gelebt war schließlich nach Berlin gezogen. Er ist laut eigener Aussage daran gewöhnt, dass Vereins-Offizielle in rosigen Worten über den eigenen Verein sprechen und gerne auch die Regeln zum eigenen Vorteil biegen. Die Vorgehensweise bei den Grizzlies übersteige aber jedes gesunde Maß.
Jackson kam nach Berlin und trat den Job an, obwohl ein von Schmidt eingefädeltes Treffen mit einem potenziellen Sponsor, der plötzlich Geld vom künftigen Trainer sehen wollte, die Zweifel mehrten. „Er [Mick Schmidt] hat die Grizzlies als aufstrebenden Klub mit eigenem Gym, einem bald im Bau befindlichen Stadion beschrieben und das Niveau der Liga irgendwo zwischen der englischen Championship und National 1 verortet“, so Jackson im Gespräch mit TR.
Natürlich war all dies weit entfernt von jeglicher Realität und zu allem Überfluss blieben auch die Gehaltszahlungen an Jackson weit unter dem, was dem in der Karibik aufgewachsenen Briten versprochen wurde. „Er hat mich seitdem ich hier 2020 angekommen bin nicht ein einziges mal pünktlich bezahlt und schuldet mir mittlerweile über 6.000€“, so Jacksons Anschuldigung Schmidt gegenüber.
Vereinsgründer Schmidt: „Haltlose Anschuldigungen eines Ex-Mitarbeiters“
Dieser nutzte die Bitte seitens TR, auf die zahlreichen Vorwürfe einzugehen, um mit einer langen E-Mail zu antworten, die eher einem Rundum-Schlag gleichkam. Darin weist Schmidt jegliche Schuld von sich, nennt zwei ehemalige Spieler, die ihm bis heute für sein Engagement dankbar seien und verkündet schlussendlich den eigenen Rückzug als Präsident der Grizzlies. Nicht Jackson und die Spieler seien die Geschädigten, er selbst habe dem Verein einen 200.000€ Kredit gegeben, der natürlich jetzt fällig würde.
Jackson sei lediglich ein „verärgerter Ex-Mitarbeiter“, der einen Rachefeldzug ihm gegenüber im Sinne habe, so Schmidt gegenüber TR. Tatsächlich hatte Vereinspräsident Schmidt Jackson am Sonntag den 17.10. entlassen, jedoch hatte dieser uns bereits lange zuvor mehrfach über die dubiosen Praktiken Schmidts in Kenntnis gesetzt, als er noch in Amt und Würden war.
TR hatte darüber hinaus die Chance mit weiteren aktuellen und ehemaligen Spielern der Grizzlies zu sprechen. Drei von ihnen hoffen noch immer darauf, ausstehende vereinbarte Zahlungen von Schmidt im drei- oder vierstelligen Bereich zu erhalten und wollten deshalb zunächst nur ohne die Nennung ihrer Namen zitiert werden.
Fehlende Lizenzen, ständig neue Spieler und sonstige Tricks
Generell habe man sportlich zuletzt mindestens im Graubereich operiert, so die einhellige Darstellung der Beteiligten. Fehlende Trainer und Schiedsrichter-Lizenzen, die eigentlich für die Lizenz benötigt habe, seien von Schmidt mit Verbands-Offiziellen wegverhandelt worden. Vor der ersten Spielabsage habe Schmidt die Anweisung gegeben, mit der Mindestanzahl an Spielern aufzulaufen und Verletzungen vorzutäuschen, um eine Verschiebung des Spiels zu erreichen und die Lizenz nicht zu gefährden.
Generell sei die Verfügbarkeit von Spielern ein großes Thema gewesen: So berichtete uns Ex-Trainer Jackson weiter davon, dass während seiner Amtszeit fast jede Woche neue Spieler eingeflogen worden seien, um im letzten Jahr überhaupt einen spielfähigen Kader zu haben. „Wir hatten Woche für Woche neue Spieler, die oftmals nur für ein oder zwei Spiele kamen und dann realisierten, worauf Sie sich eingelassen haben“.
Viele von diesen warteten immer noch auf versprochene Zahlungen. Besonders perfide sei Schmidts Vorliebe für Spieler aus Ländern mit schwieriger Wirtschaftslage, wie Argentinien oder Südafrika. Diese ließen sich aus dessen Sicht besonders einfach mit einer Chance auf ein geregeltes Einkommen und den Traumberuf Rugby mit falschen Versprechen locken.
Spieler ohne Deutsch-Kenntnisse kommen in rechtliche Schwierigkeiten
Eine Reihe von Spielern war von Schmidt in einer Berliner Mietwohnung untergebracht worden, was angesichts der Lage auf dem Wohnungsmarkt der Hauptstadt einem Segen gleichkam. Unterschiedliche Arrangements waren vereinbart worden: Einige Spieler überwiesen eine anteilige Miete an Schmidt, andere sollten qua Vereinbarung komplett umsonst wohnen.
Schmidt wiederum überwies die Miete für die Wohnung aber nicht in vollem Umfang an den Vermieter. Während sich viele ausländische Spieler ohne Deutsch-Kenntnisse von Schmidt einfach vertrösten und mit weiteren Versprechen ködern ließen, wählte der Vermieter besagter Wohnung den Rechtsweg.
Die Folge: Die Spieler sahen sich nun einer Räumungsklage ausgesetzt, ohne zu realisieren, wie sie überhaupt in diese Lage gekommen waren und ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Zwei weitere Spieler aus Südafrika, die per Touristenvisum nach Deutschland eingereist worden waren, ließen sich davon überzeugen, dass sich Schmidt um ein reguläres Arbeitsvisum kümmere.
Dazu kam es natürlich nie und so bescherte dies besagten Spielern bei der Ausreise Probleme. Aus Sicht des Vereins hat diese illegale Konstruktion aber fast nur Vorteile: Die Spieler begeben sich in ein Abhängigkeitsverhältnis, da sie legal anderswo gar kein Geld verdienen können. Versprochene Zahlungen können gar nicht erst eingeklagt werden. Da ist das Risiko aufzufliegen fast schon vernachlässigbar.
Zumal Schmidt laut Ex-Trainer Jackson sowieso mehrmals damit geprahlt habe, in Brisbane sitzend weitestgehend immun vor der deutschen Strafverfolgung zu sein. Denn seit Jahren hatte Schmidt das Projekt Grizzlies aus dem Bundesstaat Queensland gemanagt, ohne überhaupt selbst in Berlin gewesen zu sein.
Ob sich dies in den kommenden Monaten bewahrheiten wird, bleibt abzusehen. Es dürfte noch einiges rechtlich zu klären sein und Schmidt wird sich durchaus zu verantworten haben, auch wenn er nun vom Amt des Grizzlies-Präsident zurückgetreten ist.
Lektionen für das deutsche Rugby
Für den ovalen Ballsport in der Hauptstadt wird der Zusammenbruch der Grizzlies ein Rückschritt sein, denn Rugby hat in der Hauptstadt durchaus drei Erstligisten verdient. Die beiden Erstliga-Lokalrivalen dürften zunächst profitieren, da der eine oder andere Spieler bereits beim BRC und RK 03 angeklopft hat und bald auch für diese Klubs auflaufen dürfte.
Doch mittelfristig hätte eine starke Konkurrenz durchaus das Geschäft belebt und tatsächlich haben die Grizzlies ja auch talentierte Spieler nach Deutschland gelockt, von denen einige zu anderen Vereinen sind, wenn auch mit falschen Versprechungen und dubiosen Methoden.
Einige der verbliebenen Grizzlies-Spieler wollen den Verein retten und einen Neustart wagen. Doch ohne die finanziellen Zuwendungen Schmidts, der zwar weitaus weniger investierte als er versprach, jedoch trotzdem beträchtliche Summen in den Verein steckte, dürfte die sportliche Perspektive zunächst trübe sein.
Ein nachhaltiger Aufschwung bei den Grizzlies dürfte viele Jahre dauern. Zu wünschen wäre es, denn ohne die Grizzlies steht der gesamte Südosten Berlins ohne Rugby-Klub da. Doch angesichts der Ausmaße dieses Skandals ist dies wohl nur ein Kollateralschaden.
|