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Deutsches Rugby: Reaktionen II
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Geschrieben von Max Joachim   
Samstag, 14. Februar 2009

Wir sind am Ende unserer Serie “Deutsches Rugby” angekommen und zum Abschluss konnten wir uns mit einem echten Experten des Herren- und Nachwuchsrugby in unserem Land unterhalten. Lest selbst, was der RGH-Cheftrainer und langjähriger Nachwuchserfolgtrainer Thomas Kurzer über das deutsche Rugby denkt.

Wie siehst du die Wild Rugby Academy? Wird sie hilfreich sein für das deutsche Rugby?
Kurzer: Die Wild-Academy kann zum Heilsbringer werden. Aber die Sache verhält sich wie mit einem Kugelfisch: Wenn die Köche ihn richtig zubereiten, kann er uns wohl bekommen. Wenn nicht, dann werden wir uns alle, im besten Fall, nur den Magen verderben. Wir haben schlechte Strukturen, aber sie haben uns immerhin dahin gebracht, wo wir sind. Besser schlechte Strukturen, als gar keine. Unser Vereinsgefüge ist sensibel, unsere Spielerdecken sind dünn. Alles ist zerbrechlich, empfindlich – ehrenamtlich eben. Wir brauchen Spielbetrieb und nicht nur für die Toptalente. Dafür sorgen die Vereine. Die Vereinsvielfalt muss erhalten bleiben. Die WRA betreibt professionelle Talentförderung. Ich sehe das als einen richtigen Weg, wenn dabei einige wichtige Faktoren nicht aus den Augen verloren werden.
Unser deutsches Schulsystem birgt einige Eigenheiten: Zwei versetzungsrelevante Fremdsprachen im Gymnasium, Sitzenbleiben etc. Folglich ist die außersportliche Betreuung von großer Bedeutung. Die Eltern müssen überzeugt werden. Die Talentförderung muss so gestaltet werden, dass es für den einzelnen Spieler nicht „entweder oder“, sondern „sowohl als auch“ heißt. Dadurch erhalten wir Masse und fördern Klasse! Wenn wir bestehende Strukturen einreißen und sich die Professionellen, bei nicht schnell genug eintretendem Erfolg zurückziehen, dann haben wir richtig versagt. Es sind die Köche (DRV, DRJ, WRA,…), die es in der Hand haben, daraus eine Erfolgsstory zu machen!

Die RG Heidelberg ist traditionell stark im 7er-Rugby. Kann dies auch einer der Gründe sein, warum ihr im 15er-Rugby so erfolgreich seid?
Kurzer: Nein, die RGH ist deshalb so stark, weil das Konzept, das die RGH seit fast 40 Jahren verfolgt, sich in dieser schlechten Gesamtstruktur als das beste erwiesen hat. Früher hieß es: Väter trainieren Söhne, inzwischen heißt es: Eltern trainieren ihre Kinder. Die Kinder wirken als Kristallisationspunkte in ihrem sozialen Umfeld und bringen ihre Freunde aus dem Kindergarten und der Schule mit. Auch wenn Uli Byszio, nach seiner Aussage in einem totalrugby-Bericht, von mir so viel abgekupfert hat. Ich kann nichts dafür, Uli, es war die RGH! Dieses Konzept hat Generationen von guten 7er und 15er Mannschaften hervorgebracht.

Als wie wichtig siehst du organisierte Jugendarbeit an?
Kurzer: Ich halte organisierte Jugendarbeit für sehr wichtig! Wie so etwas aussehen kann, haben uns schon andere Sportarten vorgemacht. Die Soll-Zustände existieren im Handball, Hockey usw. Um zu diesen Soll-Zuständen zu kommen, müssen wir aber unseren Ist-Zustand kennen. Das beste Navi bringt mich nicht zum Ziel, wenn es meinen Standort nicht ausmachen kann!
Unseren Ist-Zustand analysiere ich so: Um eine Organisation aufzubauen, braucht man Mitarbeiter, die sich mit ihrem Aufgabengebiet identifizieren. Das tun bei uns Eltern, weil sie damit das Umfeld ihrer Kinder mitgestalten können. Sie verstehen nichts vom Rugby, sind aber für die organisatorischen Dinge von großer Bedeutung. Problematisch wird es, wenn sie ausschließlich für die Belange ihrer eigenen Kinder sorgen. Die Eltern müssen sich vom Rugby prägen lassen, sonst prägen sie unser Rugby. Das muss nicht schlecht sein, kann es aber. Mit diesen Kräften schafft man es, wenn man Glück hat, den Organisationsbedarf des eigenen Vereins zu decken. Leute zu finden, die sich im Verband engagieren, dazu gehört schon ein kleines Wunder! Leute, mit der nötigen gespaltenen Persönlichkeit (Verein-Verband) zu finden, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Meines Wissens ist diese Problematik überall sehr ähnlich. So, jetzt kann das Navi arbeiten! Vielleicht ist es ein Joint-Venture Produkt von Wild und DRV

Könnte man hier über Landesverbände hinweg besser zusammenarbeiten?
Kurzer: Die Situation ist doch so: ein föderalistisches System, in dem jedes Bundesland ein eigenes Kultusministerium hat, unzureichende Strukturen und unterschiedliche Interessen innerhalb von Vereinen und Verbänden, fehlende Funktionäre mit Visionen und große Leistungsunterschiede.
Man könnte besser zusammenarbeiten, aber nur, wenn durch persönliche Kontakte und dem Willen, etwas zu bewegen die widrigen Bedingungen entschärft werden. Diese Aktivitäten haben in der Vergangenheit viele Strukturschwächen abgedeckt. Professionellere Strukturen müssen auf dem Bestehenden aufbauen und es nicht zerstören.

Wenn wir das im Hinterkopf behalten, denkst du, dass es kontraproduktiv ist, ausländische Spieler zu verpflichten oder kann dies auch Vorteile bringen?
Kurzer: Ausländische Kräfte zu verpflichten ist immer von Vorteil. Dies muss aber zahlenmäßig begrenzt und flächendeckend geschehen, um das Niveau insgesamt anzuheben. Hierzu fehlt aber das Regelwerk. Guter Wettbewerb hebt das Niveau, Monopolstellungen killen ihn. Wenn der Wettbewerb nicht gegeben ist, wird die Liga uninteressant. Also hilft nur Aufrüsten, fertige Spieler holen. Von den eigenen Talenten nehmen einige den Kampf auf, andere hören auf. Die Spielerfluktuation nimmt zu, die Identifikation der Legionäre mit ihrem Verein ist anzuzweifeln! Die Leistungssteigerung hat einen hohen Preis. Ich bin für eine Begrenzung ausländischer Spieler, weil mir dieser Preis zu hoch ist! Ich liebe unser Rugby und halte es für steigerungsfähig ohne den Verlust unserer Rugby-Kultur! Sie ist reformbedürftig, aber nicht reif für den Abdecker.

Wo siehst du die 15er-Nationalmannschaft in 6 Jahren?
Kurzer: Ich habe keine Ahnung! Noch drei-, vier-, fünfmal Wild-Academy, mit den richtigen Köchen, und wir können uns in der Weltrangliste auf den Plätzen zwischen 15 bis 20 befinden, Tendenz steigend. Wenn nicht, dann bleibt es, wie es ist, Mitte 20. Wenn wir unseren Stall kaputt hauen, ist die Tendenz fallend …

Wird die RGH bei den Hannover Sevens dieses Jahr sein, um das deutsche Team zu unterstützen? Bist du auch dabei?
Kurzer: Ich werde bei den Hannover Sevens sein. Die RGH hat schon immer die deutschen Teams, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, unterstützt und wird auch bei der EM in Hannover keine Ausnahme machen. Die „Hannover Sevens“ waren schon im vergangenen Jahr das überragende Ereignis der deutschen Rugby-Szene. Dieses Jahr wird sich zeigen, ob das Produkt „Sevens“ zieht. Die britischen Mannschaften werden nicht da sein und auch nicht deren Fans. Ich hoffe, dass trotz dieses Handycaps mehr Zuschauer die Attraktivität des Spiels entdecken. Das wird die Nagelprobe.

Vielen Dank!

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