Vor dem Duell Tonga - Neuseeland: Fair geht anders
Geschrieben von TotalRugby Team
Donnerstag, 1. Juli 2021
Einer der vielen Pazifik-Spieler der All Blacks: Sevu Reece, auf Fidschi geboren. Foto (c) Perlich
All Blacks gegen Tonga wird das erste Länderspiel der Superstars aus Aotearoa in diesem Jahr werden. Es wird ein ungleiches Duell einer sehr unerfahrenen Tonga-Mannschaft gegen die in ihren eigenen Augen immer noch beste Mannschaft der Welt. Ein Teil dieser Ungleichheit ist hausgemacht: Neuseeland behandelt die Pazifik-Inseln mehr als Talent-Goldgrube, denn als gleichwertigen Partner. Das könnte sich künftig ändern.
Wenn am Samstag früh um 9:05 deutscher Zeit die All Blacks ihr Länderspieljahr 2021 beginnen, heißt der Gegner Tonga. Es wird erst der siebte Vergleich zwischen beiden Ländern sein, die für Pazifik-Verhältnisse quasi Nachbarn sind. Zum Vergleich: Gegen Australien hat Neuseeland 170 Mal gespielt - dabei ist man mit dem Flieger schneller in Tongas Hauptstadt Nuku’alofa, als in Sydney.
Doch abgesehen von dieser Ungerechtigkeit den direkten Nachbarn die finanziell lukrativen Spiele zu verweigern, hat ein Team wie Tonga noch ganz andere Hürden zu überkommen. Das wird in allererste Linie direkt am Samstag sehen. Während die All Blacks ihr komplettes Top-Team zur Verfügung haben werden, muss Tonga mit einer zusammengewürfelten Truppe spielen.
Mit seinen Europa-Profis ist Tonga auch gegen große Teams konkurrenzfähig
Noch bei der WM 2019 hatten die Seeadler Frankreich in der Vorrunde einer Niederlage (21-23 aus Tonga-Sicht), doch die Mannschaft, die in Auckland auflaufen wird, hat wenig mit der damaligen gemein. Stars wie Leicester-Flanker Kalamafoni, Bristol-Innen Siale Piutau, oder Julius Nostadts Castres-Kollege Maama Vaipulu fehlen - auch weil sie wegen der strengen Einreisebedingungen nicht nach Neuseeland dürfen.
Stattdessen werden 13 Debütanten Tonga im Mount Smart Stadium vertreten. Tongas Trainerteam war so verzweifelt auf der Suche nach Spielern, dass man sich in neuseeländischen Amateurklubs nach Spielern mit tongaischen Wurzeln umgesehen hat. Einer davon ist Zweite-Reihe-Stürmer Harrison Mataele, der den Traum vom Rugby-Profi vor Jahren wegen vieler Verletzungen aufgegeben hatte.
Aus dem Raucherraum ins Stadion gegen die All Blacks
Vor zwei Jahren begann der 27-jährige wieder Klub-Rugby in Auckland zu spielen und findet sich nun plötzlich im Tonga-Team wieder, das gegen die Nummer zwei der Weltrangliste antritt. „Das muss ich erstmal verdauen, vor ein paar Wochen war ich bei der Arbeit im Raucherraum und habe Nasi Goreng zum mitnehmen gefuttert“, so Mataele gegenüber neuseeländischen Medien, nun bereite er sich deutlich professioneller auf sein Duell mit dem dreifachen Weltmeister vor.
Läuft bald Dank des Olympia-Schlüpflochs für Tonga auf: Ex-All-Black Malakai Fekitoa
Nur wenige waschechte in Europa spielende Tonga-Profis werden auflaufen, wie Bordeaux-Prop Ben Tameifuna und Toulon-Neuner Solatane Takalua - beide haben Medienberichten zufolge selbst für die Flüge und die Quarantäne-Kosten in Höhe von mehreren tausend Dollar bezahlt. Unter anderem auch, weil es direkt im Anschluss für Tonga gegen Samoa um die WM-Quali geht.
Ex-All-Black Malakai Fekitoa, der kürzlich durch das „Olympia-Schlüpfloch“ seine Spielberechtigung für Tonga erlangte, konnte es nach dem Qualiturnier von Monaco nicht rechtzeitig in die zweiwöchige verpflichtende Quarantäne schaffen. Nur zu gerne wäre Fekitoa in den Farben seines Geburtslandes gegen die All Blacks aufgelaufen.
Potenzial der Insel-Teams ist riesig
Doch sein Beispiel zeigt: Das Potenzial Tongas und der anderen beiden Inselteams Samoa und Fidschi ist weitaus größer als das, was sie aktuell auf den Platz bringen können. Einer, der dem Tonga-Team hätte sofort helfen können, ist Vaea Fifita. Der 1,96 m Hüne ist in Tonga groß geworden und wäre mit seiner Dynamik und Power eine echte Waffe im Tonga-Sturm. Doch Fifita wurde bereits als Gymnasiast von neuseeländischen Scouts entdeckt und mit einem Stipendium nach Aotearoa gelockt.
Für den Mann aus dem bitterarmen Inselstaat, wo der Durchschnittsverdienst nur ein Zehntel dessen ist, was in Neuseeland im Schnitt verdient wird, war dies eine riesige Chance. Tatsächlich ergriff er Sie beim Schopf und schaffte es 2015 in das Super-Rugby-Teams der Hurricanes. Allerdings blieb es nicht beim Einsatz für die Hurricanes: 2017 wurde er erstmals für die All Blacks nominiert und spielte insgesamt elf Spiele für das Team seiner Wahlheimat.
Doch einmal für Neuseeland aufgelaufen, verwirkte Fifita jede Chance, jemals sein Geburtsland zu repräsentieren - stattdessen sitzt er dieser Tage im Flieger von Neuseeland nach England, wo er ab nächste Saison für die Wasps auflaufen wird. Die einzige Chance wäre die Olympia-Quali 2024 - aber dann wird Fifita bereits 32 Jahre sein und die besten Jahre seiner Karriere ohne internationales Rugby verbracht haben.
Tonga könnte ein deutlich stärkeres Team aufbieten, erst recht wenn man bedenkt, welche Superstars des internationalen Rugby noch für die Insel-Nation spielberechtigt wären. Die Vunipola-Brüder, Neuseeland-Innen Laumape oder Bristol-Superstar Charles Piutau - sie alle könnten für Tonga auflaufen.
Vorbild Rugby League, wo Tonga zur konkurrenzfähigen Mannschaft wurde
Das internationale Rugby League ist normalerweise kein Vorbild für das Fünfzehner-Rugby. Seit Jahrzehnten dominiert Australien alles, es gibt keine regelmäßigen Wettbewerbe und nur zwei Teams konnten überhaupt mit den Kangaroos (Spitzname der League-Nationalmannschaft Australiens) mithalten.
Doch wo Rugby League es geschafft hat, eine fairere Lösung zu finden, ist in Sachen Spielberechtigung für kleinere Teams. Tonga hat davon insbesondere profitiert: Mit Kangaroos-Superstars wie Jason Taumalolo und Micheal Jennings haben gleich mehrere tongaisch-stämmigeAustralier die Seiten gewechselt.
Im Rugby League ist Tonga dank der Überläufer konkurrenzfähig und konnte Neuseeland mehmals schlagen
Das Resultat ist, dass in den letzten Jahren ein echter Hype um das Tonga-Team entstanden ist, das nun plötzlich mit den Top-Teams im League mithalten kann. Auch in Neuseeland meint man die Zeichen der Zeit verstanden zu haben und wird zwei Pazifik-Teams ins Super Rugby aufnehmen - immerhin hat jeder Achte in Neuseeland Pazifik-Vorfahren und in Auckland fast jeder Zweite.
Auch im Rugby werden Forderungen nach der Möglichkeit eines Team-Wechsels immer lauter, jedoch nur in eine Richtung von den großen Verbänden zu den Tier 2 Teams. Das könnte auch die WM künftig noch spannender machen und selbst Deutschland könnte von so einer Regelung profitieren. Ein gewisser Toby Flood hatte öffentlich geäußert gerne für Deutschland, das Geburtstland seiner Mutter, auflaufen zu wollen.
Übertrag bei Rugbypass
Das Spiel, sowie die beiden gegen Fiji in den Wochenenden dadrauf, wird bei Rugbypass für 10 € pro Spieltag im Stream auch für Dtl. angeboten.
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Prinzipiell stimme ich dem Bericht zu, der auf eine jahrzehntelange "Ausbeutung" von Talenten aus den armen pazifischen Inselstaaten hinweist. Die Frage ist nur, welche Alternativen gibt es? Für diese Jungs ist es der einzige Weg, Geld für meist vielköpfige Familien zu verdienen und sportlichen Ruhm zu erlangen. Australien, England und Frankreich haben dort ja ebenfalls ihre Scouts installiert. Zu diesem Match haben die ABs allerdings nicht ihre stärkste Formation nominiert. Vier Debütanten kamen zum Einsatz. Die 3.Reihe (ohne Debütanten) kam bislang zusammen auf gerade mal 6 Caps. Superstars Wie Brodie Retallick, Aaron Smith, Atdie Savea, Cody Taylor waren nicht mal im Kader. Trotzdem muss man den sportlichen Wert hinterfragen, angesichts eines 102:0 Endergenisses gegen zwar aufopferungsvoll kämpfende Tongaer, die aber individuell und im System heillos überfordert waren. Der junge Will Jordan hat schon unglaublich viel Potential. Mal sehen, ob den All Blacks der Generationenwechsel gelingt. Aus meiner Sicht ist die Tiefe des Kaders aus den letztes Jahrzehnten weiterhin da, aber nicht mehr auf dem gleich hohem Level.
Juli 03, 2021
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Letzte Aktualisierung ( Donnerstag, 1. Juli 2021 )