Rein französisches Finale im Champions Cup - Wachablösung in Europa?
Geschrieben von TotalRugby Team
Montag, 3. Mai 2021
Feier mit den Fans vor dem Stadion - La Rochelle ist erstmals im Europacupfinale.
Am 22. Mai wird im Londoner Twickenham Stadium das Finale des Champions Cups ausgetragen, vielleicht sogar vor einer limitierten Zuschauerzahl. Doch die Fans in der englischen Hauptstadt werden dabei keine heimischen Teams zu sehen bekommen, nicht Mal ein irisches. Denn zwei französische Vertreter haben sich das Ticket für das Spiel um Europas Rugby-Krone gesichert. Ist dies schon eine Art Wachablösung in Europas Rugby-Beletage?
Über fast zehn Jahre lang galten drei Teams im European Rugby Champions Cup als die absolut dominanten Daueranwärter auf die Rugby-Krone des Kontinents, die neun der letzten zehn Europacup-Titel unter sich ausmachten: Toulon, Saracens und Leinster, die zu ihrer Zeit drei besten Vereinsteams aus Frankreich, England und Irland.
Während Toulon schon seit einigen Jahren im Neuaufbau befindlich und im Champions Cup dementsprechend kein Titelkandidat mehr ist, mussten Saracens wegen Finanzdopings den Zwangsabstieg und damit das Europacup-Aus hinnehmen - bliebe da noch Leinster - allerdings nur bis zur gestrigen Demontage an der französische Atlantikküste durch La Rochelle.
Die Dubliner sind in der multinationalen Liga Pro 14 eine Macht und stellen an einem guten Tag mehr als die Hälfte des irischen Nationalteams. Kein Wunder, dass die Blauen seit 2009 gleich vier Mal den Henkelpott in die Höhe recken konnten. Auch der beeindruckende 34-22 Sieg beim Titelverteidiger Exeter im Viertelfinale des diesjährigen Wettbewerbs deutete darauf hin, dass auf dem Trikot der Dubliner bald der fünfte Stern prangt.
Die Niederlage beim Klub, den Robert Mohr einst als Kapitän in der Top 14 aufs Feld führte, hatte für Leinster fast schon historische Ausmaße. Wohl selten wurde ein Leinster-Sturm derart dominiert - La Rochelle mit Frankreich-Kapitän Gregory Aldritt und Australien-Gigant Will Skelton überwältigte die Gäste über 80 Minuten.
Kein Wunder, dass es eben jene Sturmasse Aldritt und Skelton waren, die jeweils mit unglaublich viel Power über die Linie kamen. Leinster hatte zwar den besseren Start und war über den sich wieder Lions-Form nähernden Tadhg Furlong in Front gegangen, fand dann aber kein Mittel gegen die schnell aufrückende La-Rochelle-Verteidigung.
Erst drei Minuten vor dem Ende erzielte Leinster den zweiten Versuch durch Sexton-Ersatz Ross Byrne, der es mit einem cleveren Dummy über die Linie schaffte. Fünf zwischenzeitliche Straftritte von La Rochelles neuseeländischem Verbinder Ihaia West hatten die Gelben aber zu diesem Zeitpunkt schon uneinholbar in Front gebracht.
So stand unter dem Strich ein 32-23 für La Rochelle auf der Anzeigetafel des Stade Marcel Deflandre. Einziger Wermutstropfen: Draußen warteten La Rochelles Fans auf ihre Helden, die sich auch für ein paar gemeinsame Momente nach dem Abpfiff vor das Stadion wagten. Der treue Anhang des Traditionsklubs wird das historische Finale in Twickenham nur vor dem Schirm verfolgen können.
Die Freude kannte bei Spielern und Fans keine Grenzen
Toulouse überwältigt Bordeaux
Bereits am Samstag hatte es das erste rein französische Halbfinale gegeben, in dem Toulouse Bordeaux mit Power, aber auch Spielwitz niederrang. Im Gegensatz zum sonnigen Sonntag in La Rochelle fand das erste Semifinale im Dauerregen von Toulouse statt. Das hielt Frankreichs Rekordmeister Toulouse aber nicht davon ab, ein wenig zu zaubern.
Der erste Versuch kam nach einem wunderbaren Überpass von Frankreich-Verbinder Ntamack auf Veteran Maxime Medard, der das glitschige Leder wie einen Volleyball weiter beförderte, bevor sich Mattis Lebel gleich mehrere Verteidiger entledigte und den ersten Versuch für Toulouse erzielte.
Wenn man sich über die Tiefe im französischen Rugby bewusst werden will: Lebel ist 22 und aktuell mit 13 Versuchen in nur neun Spielen Topscorer in der laufenden Top-14-Saison, wurde aber bisher noch nicht für die Nationalmannschaft berufen.
In der Folge war die Partie im Regen der südfranzösischen Airbus-Metropole nicht immer ein Hingucker. Straftritte auf beiden Seiten durch die beiden Frankreich-Verbinder Mathieu Jalibert und Romain Ntamack sorgten für ein 14-9 mit noch zehn Minuten auf der Uhr.
Die Entscheidung kam durch einen ebenso schönen Versuch acht Minuten vor Ende: von der Mittellinie kombinierte sich Toulouse über mehrere Offloads bis ins Malfeld zum 21-9. Der schöne Spielzug wurde von niemandem Geringeres abgeschlossen, als von Antoine Dupont, dem wohl besten Spieler Frankreichs momentan.
In knapp drei Wochen heißt es dann im Londoner Twickenham Stadium La Rochelle gegen Toulouse - entweder wird es der fünfte Europacup-Titel für Toulouse, oder die Premiere für La Rochelle. In Großbritannien wird man bis dahin fast nur noch über die kommende Lions-Tour sprechen, obwohl eventuell die ersten Fans im Twickenham Stadium zurück sein könnten.
Doch ganz klammheimlich scheint es in Europa eine Wachablösung gegeben zu haben. Einige der finanzstarken französischen Klubs hatten den Europacup jahrelang nur als Zubrot zur Top 14 verstanden. Das scheint nun eine Sache der Vergangenheit zu sein - die alteingesessenen Topklubs Europas sollten sich warm anziehen, wie Leinster gestern schmerzlich erfahren musste.