Wer hätte damit gerechnet - England und Italien, die beiden schlechtesten Teams der Six Nations im Jahr 2021.
Die Six Nations 2021 sind seit Freitag-Abend Geschichte. Das traditionsreichste aller Rugby-Turniere enttäuschte auch in diesem Jahr nicht, obwohl erstmals von Anfang bis Ende keinerlei Zuschauer zugelassen waren. Dafür überzeugte die Action auf dem Feld umso mehr: Offensiv-Rugby und Spannung bis zum letzten Spiel, so kann es nach unserem Geschmack gerne weitergehen - wäre da nicht Sorgenkind Italien, dessen Aussichten immer trüber werden.
Offensiv-Rugby ist Trumpf
Die gute Nachricht vorneweg: Angriffs-Rugby ist auch in Europa wieder en vogue. Hatten wir im Herbst letzten Jahres noch Englands langweilige aber gleichwohl brutal effektive Kick-Taktik bedauert, wurde dieses Mal die Angriffslust von Frankreich, Wales und Schottland belohnt. Wales ist als Team mit den meisten Versuchen, derer 20 über die fünf Spiele hinweg um genau zu sein, am Ende auch in der Gesamtabrechnung vorne.
Insgesamt wurden über alle Partien hinweg 5,73 Versuche im Schnitt pro Spiel erzielt, ein neuer Höchststand im Vergleich zu den letzen Jahren und mehr als doppelt so viele, wie im Jahr 2013, als pro Partie nur 2,47 fünffach gepunktet wurde. Dabei bekamen die Fans an den Schirmen die gesamte Bandbreite an ovaler Offensivkunst zu sehen.
Von der puren Kreativ-Inspiration, wie bei Frankreichs 85-Meter-Konter gegen Schottland, bei dem Brice Dulin in der eigenen 22 den Angriff startet und Penaud vier Offloads später zu Versuch ablegt, über den puren Speed von Wales-Youngster Louis Rees-Zammit, bis hin zur kaum zu bändigenden Power von Duhan van der Merwe - bei den 86 erzielten Versuchen des diesjährigen Sechs-Nationen-Turniers war wirklich für jeden etwas dabei.
Aus neutraler Sicht bleibt eigentlich nur zu hoffen, dass dieser Trend bis zur WM 2023 anhält. Denn wie so vieles im Rugby kommen und gehen spielerische Trends. Englands Coach Eddie Jones hatte sich dem Vernehmen nach aufgrund des verlorenen WM-Finales gegen die Springboks von deren Kick-Taktik überzeugen lassen - vielleicht rückt der Trainer des Vizeweltmeisters nun davon ab und lässt sich vom walisisch-französischen Offensivgeist inspirieren.
Der vielleicht schönste Versuch des Turniers: Frankreich kombiniert sich trotz Dauerregen aus der eigenen 22 bis ins Malfeld der Schotten
Das Feld ist offener denn je
Hätte jemand den Schotten vor dem Turnierstart prognostiziert, dass sie auswärts in London und Paris gewinnen würden - zwei Kunststücke, die dem Team seit 1983 und 1999 nicht gelungen waren - wäre die Rugby-Nation in Ekstase verfallen. Dass es in der Endabrechnung dennoch nur zu Rang vier reichen würde, hätte ja keiner ahnen können.
Dabei hätte in der diesjährigen Konstellation ein einziger Straftritt gereicht, damit Schottland das gesamte Turnier gewinnt. Das direkte Duell mit dem Six-Nations-Sieger Wales in Runde zwei ging nach einer roten Karte gegen Schottlands Prop Zander Fagerson nur hauchdünn mit einem Punkt Unterschied für Wales aus. Hätten die Schotten einmal mehr über die Stangen gekickt, hätten die Bravehearts das Turnier vor Wales gewonnen, zum allerersten Mal in der Six-Nations-Ära.
Natürlich ist dies rein hypothetisch und klammert auch den darauffolgenden Turnierverlauf und inwiefern ein schottischer Sieg diesen beeinflusst hätte aus - jedoch zeigt dieses einfache Rechenexempel, wie offen die diesjährigen Six Nations unter dem Strich waren. Frankreich startete als Turnierfavorit, enttäuschte nicht wirklich und verlor dennoch zwei Spiele.
Für die kommenden Jahre kann dies nur gutes heißen, zumal im nächsten Jahr wieder Fans in den Stadien zugelassen sein dürften. Mehr Offensiv-Rugby und dazu unglaublich viel Spannung? Das könnte auch das beliebteste Rugby-Turnier der Welt noch ein wenig beliebter machen.
Italien ist hoffnungsloser denn je
Einzig bei Sorgenkind Italien ist keinerlei Besserung in Sicht. Seit dem Jahr 2000 sind die Azzurri nun Teil der Six Nations, 2015 konnte Italien zuletzt ein Spiel gewinnen und die Leistungskurve des Teams zeigt seit Jahren beständig nach unten. Hatten viele die 18-41 Auftaktniederlage gegen England, bei der die Azzurri sogar noch ein wenig Pech bei den Entscheidungen des Unparteiischen hatten, als positives Zeichen gewertet, ging es im Turnierverlauf weiter abwärts.
Mit -184 weist Italien in der Endabrechnung die schlechteste Punktedifferenz seiner mittlerweile 22-jährigen Teilnahmegeschichte bei den Six Nations auf. Im Schnitt verloren die Azzurri über alle fünf Partien hinweg mit 37 Punkten. Natürlich hat Italien ein sehr junges Team und mit Varney und Garbisi eine aufregende Spielmacher-Kombination, die den Azzurri in den kommenden Jahren noch viel Freude wird bereiten können.
Doch gerade die Defensive ist aktuell schlicht nicht gut genug. Gegen Schottland verpassten die Azzurri pro Minute, in der der Ball im Spiel war, ein Tackle. So kann man einfach kein Spiel gewinnen. Am frustrierendsten aber ist, dass Besserung kurzfristig nicht in Sicht ist. Da wäre es nur fair, zumindest eine Auf- und Abstiegsregelung zu schaffen. Georgien mag zwar auf Anhieb nicht direkt besser sein - aber die Lelos haben zumindest eine Chance verdient, so unwahrscheinlich dies aus ökonomischen Gesichtspunkten zu sein scheint.