TR-Review Six Nations: England mit Sensations-Comeback, Wales auf Kurs Grand Slam
Geschrieben von TotalRugby Team
Montag, 15. März 2021
England konnte mit der besten Turnierleistung Frankreich niederringen. Foto (c) Perlich
Es war ein Six-Nations-Wochenende, das jedem Rugby-Fan noch einmal verdeutlicht, warum dieser Sport dermaßen gut ist. Zwei unglaublich spannende Partien, mit großartigem Rugby. Harte Hits und geniale Spielzüge, sowie Partien, die bis zum Ende offen waren. Und dann war da noch das Italien-Spiel, das immerhin einige tolle Versuche produzierte. Nach den Ergebnissen des Wochenendes läuft alles auf einen Showdown zwischen Wales und Frankreich am nächsten Wochenende hinaus.
Die Tabelle nach Spieltag 4
Rang
Team
Spiele
Siege
Punkte
Differenz
1.
Wales
4
4
19
63
2.
Irland
4
2
11
34
3.
Frankreich
3
2
10
39
4.
England
4
2
10
5
5.
Schottland
3
1
6
1
6.
Italien
4
0
0
-142
*das Spiel Frankreich-Schottland musste nachgeholt werden und wird voraussichtlich am 26. März nachgeholt
Italien 7 - 48 Wales
Zu schnell, zu stark, zu clever und abgezockt - Wales war den Azzurri in jeder Facette des Spiels überlegen, fuhr am Ende einen hochverdienten Sieg ein und kann nun in Paris am nächsten Samstag den wohl überraschendsten Grand Slam der jüngeren Rugby-Geschichte einfahren. Italien dagegen, noch im Herbst fast auf Augenhöhe mit Wales, hat seit dem England-Spiel nirgends mehr mithalten können bei den diesjährigen Six Nations.
Der Azzurri-Albtraum begann schon mit dem Ankick, den der junge Verbinder Paolo Garbisi zu weit setzte und Wales somit zu Ballbesitz mit Gedränge an der Mittellinie verhalf. Dann bescherte Italiens Kapitän Luca Bigi, eigentlich der erfahrenste Italiener, den Walisern gleich doppelt Punkte. Erst durch ein Ruck-Vergehen, was zu einem Biggar-Straftritt und drei Zählern führte, sowie wenig später, als er Gedrängehalb nach einem schnell angekratzten Straftritt zu früh tacklete und Gelb kassierte.
Wales nutzte die Überzahl umgehend, als Verbinder Dan Biggar nach einem Gedränge per Überpass Außen Josh Adams bediente, der in der Ecke ablegen konnte. Noch bevor Italien wieder zu fünfzehnt auf dem Rasen war, konnte Wales nachlegen: Phase um Phase, ohne dass die Azzurri Wales in Schach halten konnten, bis schließlich Achter Faletau in der Ecke zum Versuch ablegte.
Schon zu diesem Zeitpunkt schienen italienische Hoffnungen auf ein respektables Abschneiden im letzten Heimspiel vergebens und es sollte nur wenige Minuten dauern, bis es im Italien-Malfeld erneut klingelte. Wieder war ein italienischer Regelverstoß vorausgegangen und wieder kickte Wales zur Gasse - aus der 22 schob sich der Wales-Sturm dann mit Ken Owens am Ende des Pakets zum Versuch.
Noch bevor die erste halbe Stunde gespielt war, dann fast das Déjà-Vu auf der anderen Seite, wieder das Paket, wieder Hakler Owens mit den Punkten. Der Bonuspunkt war bereits in der Tasche, bevor Italien den ersten gefährlichen Angriff gespielt hatte. Der erste vielversprechende Angriff der Gastgeber sollte tatsächlich noch vor der Pause kommen, als sich Flanker Sebastian Negri in die 22 vorarbeitete, doch nach mehreren Phasen rettete Jonathan Davies, indem er den Ball im Tackle rausriss.
Die Video-Highlights des walisischen Kantersiegs in Rom
Wer aus Italo-Sicht in Durchgang zwei auf Besserung hoffte, wurde nach nur 100 Sekunden enttäuscht, als Jonathan Davies seinen ungewohnten Innen-Partner George North mit einem großartigen Offload-Pass durch die Lücke steckte. Aus 30 Meter Entfernung wusste der gelernte Innen, was zu tun war: Er nahm die Beine in die Hände und zeigte den Speed, der ihn zu einem der weltbesten Winger gemacht hat und legte den wohl schönsten Wales-Versuch des Tages.
Der einzige italienische Versuch sollte dem aber in nichts nachstehen. Italien konnte Wales selten über mehrere Phasen unter Druck setzen, aber in der 51. Minute ließen die Italiener zumindest einmal ihr Können aufblitzen. Nach einem Offload ging es schnell über viele Hände von Seite zur Seite, bis Wales den Italien-Vorstoß 25 Meter vor der Mallinie zum Stehen brachte.
Gefahr vermeintlich gebannt, aber Außen Monty Ioane konnte rund zwei Meter Platz auf der kurzen Seite neben dem Offenen nutzen, um sich freizulaufen und dann per Kick über Schluss Williams ins Malfeld zu kommen. Ein großartiger Versuch, der aber nichts an den Kräfteverhältnissen änderte, wie ein Versuch von Callum Sheedy wenige Minuten später zeigte.
Italien kassierte den letzten Versuch dann, als es gerade nach dem zweiten Azzurri-Versuch roch. Doch tief in der walisischen 22 übertrieb es Zwölfer Carlo Canna mit einem doppelten Überpass, der bei Außen Louis Rees-Zammit landete, dem wohl schnellsten Spieler des Turniers. Der Teenager setzte zum lockeren 90-Meter-Sprint unter die Stangen an und besorgte so den leistungsgerechten Endstand.
Wales geht so mit sehr viel Rückenwind in das letzte Six-Nations-Wochenende und in der Gewissheit: Mit einem Sieg über Frankreich ist ihnen der Turniersieg nicht mehr zu nehmen. Jedoch dürfte dem Team von Coach Wayne Pivac auch klar sein, dass der Gang nach Paris kein einfacher wird. Für neutrale Fans jedenfalls wird dieses Spiel zum Samstag-Abend ein absolutes Highlight.
England 23 - 20 Frankreich
Es war Englands beste Leistung des Turniers, vielleicht sogar die beste Leistung seit dem WM-Halbfinale gegen Neuseeland im Oktober 2019 in Japan. Dennoch sah das Team von Eddie Jones über weite Teile des Spiels gegen Frankreich wie der Underdog aus, der sich zwar im Spiel hielt aber lediglich immer mit einem Lucky Punch zum Sieg hätte kommen können. Genau dies sollte am Ende auch eintreten - die Tatsache, dass England in der Schlussphase überhaupt noch im Spiel war, hatte das Team seiner verbesserten Disziplin zu verdanken.
Frankreich war das über weite Strecken spielfreudigere Team und brauchte für den ersten Versuch gerade einmal eine Minute. Mit kraftvollen Sturmphasen und blitzschnellen Händen spielten les Bleus Außen Teddy Thomas frei, der mit einem Überkick Richtung Malfeld den Versuch von Antoine Dupont auflegte. Der nicht sonderlich großgewachsene Neuner war zuerst am Leder und jonglierte den Ball noch im Sprint, bevor er zum 5:0 ablegen konnte.
Was für ein Start der Franzosen, doch England ließ sich davon nicht beeindrucken. Der Vizeweltmeister fand eine bessere Balance aus taktischen Kicks und längeren Phasen mit Ball in der Hand. So kamen die Gastgeber auch zu ihrem ersten Versuch, als die Stürmer Frankreichs-Defensive Phase um Phase beschäftigten, bis Innen Slade halb durch die Lücke kam. Ein toller Pass von George Ford auf Außen Anthony Watson brachte den 5:7 Anschluss.
In der Folge neutralisierten sich beide Teams auf hohem Niveau, zwei Straftritte für England und einer für Frankreich später und es stand 13:10 für die Heimmannschaft. Dann aber der zweite Geniestreich der Franzosen. Ein eingeplanter Spielzug mit einer überworfenen Gasse brachte den Erfolg: Der Ball direkt von Hakler Marchand auf Fickou, dessen angetäuschter Innenpass und die schnelle Richtungsänderung beschäftigte eine Reihe von England-Verteidiger - den Platz auf Außen nutzte Verbinder Jalibert mit einem tollen Pass über zwei Verteidiger hinweg.
Französische Spielfreudigkeit trifft auf englische Effektivität - mit dem besseren Ende für den Vizeweltmeister
Noch vor der Pause verpasste Frankreich es, die Führung weiter auszubauen. Erst Mathieu Jalibert, dann Teddy Thomas und Antoine Dupont spielten mit Englands Defensive Katz und Maus, so dass sich Frankreich in der Schlussminute vor der Pause bis an Englands Linie vorarbeiten konnte, da war allerdings Schluss, als Tom Curry den Ball aus dem Offenen stibitzte - dass er sich überhaupt an den Ball traute war mutig, da er selbst der Tackler war und Haouas nie loszulassen schien - ein Frankreich wohlgesonnenerer Schiedsrichter hätte auf Straftritt und Gelb entschieden, das dies zwei Meter vor der Linie nach einem langem Konter geschah.
So blieb England zur Pause im Spiel und Frankreichs nächste Punkte sollten erst nach dem Pausentee und einem Vergehen von Maro Itoje folgen, der auf der falschen Seite des Rucks lag. 20:13 und Frankreich wähnte sich mit 30 Minuten auf der Uhr auf der Siegerstraße. Doch nun war es Frankreich, die vom irischen Schiedsrichter Brace bestraft wurden - ein Frankreich-Maul schien dem Iren nicht sauber abgelaufen zu sein und so konnte Farrell auf 16:20 verkürzen. Dabei sollte es bis vier Minuten vor dem Ende bleiben.
Die Entscheidung kam, als England einen Straftritt zur Gasse tief in Frankreichs 22 kickte. Das Paket konnte Frankreich noch stoppen, aber Englands Itoje konnte mit einem clever getimeten Pick and Go Frankreichs Defensive aushebeln. Bleus-Achter Aldritt wurde gerade beim Ballklau-Versuch weggecleaned - Itoje nutzte die sich ergebenden Lücke und streckte seine langen Arme zum Versuch aus. Mit Farrells Erhöhung führte England nun erstmals in der 78. Minute des Spiels.
Frankreich machte sich aber noch Mal auf den sicher geglaubten Sieg doch noch zu holen und kombinierte sich bis an die 22. Dort aber dann der Fehler vom bis dahin überragenden Antoine Dupont, der am Ende eines Offenen über einen Fuß stolperte und einen Vorball produzierte. Das war 14 Sekunden vor dem Schluss gleichbedeutend mit dem Spielende. Frankreich hatte trotz spielerischer Überlegenheit am Ende verloren, ohne dabei die Titel-Chancen vollends einzubüßen.
Zwei Siege, gegen Wales am nächsten Samstag und gegen Schottland daheim im Nachholspiel wären gleichbedeutend mit dem Titel. England dagegen zeigte, zu was das Team imstande ist, wenn man nur ein wenig disziplinierter und cleverer auftritt. Denn vom Spielermaterial her ist dieses Team fast unverändert gegenüber der Mannschaft, die noch im Herbst 2019 knapp am WM-Titel vorbeigeschrammt ist.
Schottland 24 - 27 Irland
Schottlands Negativserie gegen Irland hält trotz einer bravourösen Leistung der Bravehearts an. Mit der zweiten knappen Heimniederlage gegen keltische Rivalen müssen die Schotten jegliche Hoffnungen auf den Turniersieg begraben. Irland erspielte sich im Nieselregen von Edinburgh früh Vorteile und konnte diese auch in Punkte ummünzen, als Schottland einen Cross-Kick von Sexton in das riesige Malfeld des schottischen Nationalstadions nicht unter Kontrolle brachte.
Van der Merwe und Stuart Hogg bedrängten sich gegenseitig, Irlands Earls schaufelte den Ball zurück, wo Robbie Henshaw nur noch seine Hände auf den Ball klatschen musste. Doch Schottland konnte ebenso durch irische Unfähigkeit per Versuch antworten. Nach einem Turnover war Ringroses erster Instinkt den Ball wegzukicken, was sich rächen sollte. Schottland-Kapitän Hogg blockte den Kick, dribbelte ihn mit dem Fuß und unfreiwilligerweise mit dem Gesicht, so dass Verbinder Finn Russel zum Versuch ablegen konnte - 10:8 für Schottland.
Doch zwei Sexton-Straftritte und ein Stürmerversuch durch den überragenden Tadhg Byrne brachten Irland in Front. Die Erhöhung und ein weiterer Straftritt von Sexton brachten Irland mit 24:10 gefühlt uneinholbar vorne, da nur noch 20 Minuten auf der Uhr waren. Während sich Schottland-Teams in der Vergangenheit wohl ihrem Schicksal ergeben hätten, machten die Bravehearts nun ihrem Namen alle Ehre.
In der 60. Minute der erste Streich: Eine schnelle Seitenverlagerung von Russel, über Hogg auf den eingewechselten Huw Jones, der dann beschleunigte und an James Lowe, Hugo Keenan und Garry Ringrose vorbei ins Malfeld sprintete. Eine großartige Kombination und ein tolles Finish bei schwierigen Bedingungen. Sieben Minuten vor dem Schluss dann der Ausgleich und wieder war eine heroische Leistung dafür nötig.
Schottland rannte minutenlang gegen die irische Defensiv-Wand bis schließlich Hamish Watson das Wunder-Finish gelang. Er drehte sich einen Meter vor der Linie aus dem Tackle und platzierte den Ball irgendwie zwischen mehreren irischen Körpern auf der Mallinie - 24:24 und nur noch fünf Minuten zu spielen. Schottland hatte nun jegliches Momentum, verlor es aber direkt mit dem Ankick, als Irlands Zweite-Reihe-Stürmer Beard den Boxkick von Ali Price blockte.
Price konnte selbst noch kurz vor der Linie retten, war aber so isoliert, dass er wegen holding on einen Straftritt hergab. Sexton ließ sich nicht zwei Mal bitten und verwandelte den Kick zum 27:24. Schottland hatte noch Zeit für einen Angriff, aber ein Vorwurf beendete schottische Hoffnungen für das großartige Comeback belohnt zu werden. Diese Niederlage beendet auch schottische Titelträume, während Irlands Trainer Andy Farrell wieder ein wenig beruhigter schlafen kann.