Drei TR-Thesen zum Auftakt der Six Nations: England auf dem Boden der Tatsachen, Dupont Weltklasse
Geschrieben von TotalRugby Team
Montag, 8. Februar 2021
Frankreichs Dupont ist weltklasse, England enttäuscht so sehr wie nie, spannend bleibt es allemal - unsere Erkenntnisse des ersten Spieltags der Six Nations.
Es war ein Six-Nations-Auftakt der Lust auf mehr gemacht hat. Alle drei Spiele konnten jeweils auf ihre Art zu faszinieren - Frankreich mit Spielzwitz und toll herausgespielten Versuchen, Schottlands unbändiger Willen gegen den vermeintlich übermächtigen Gegner und schließlich die Rugby-Achterbahn von Cardiff. Wir haben die aus unserer Sicht wichtigsten Erkenntnisse des ersten Spieltags in drei Thesen zusammengefasst.
Antoine Dupont ist weltklasse und klar Europas bester Spieler
Er ist mit seinen 24 Jahren schon ein erfahrener Frankreich-Nationalspieler und dabei theoretisch noch lange nicht am Zenit seines ovalen Schaffes angelangt. Schon als Antoine Dupont im November 2014, genau eine Woche vor seinem 18 Geburtstag, sein Profi-Debüt für Castres in der Top 14 gab, war vielen klar, dass dieser junge Mann nicht nur irgendein Debütant ist. Nur wenige Wochen später machte er das erste Mal richtig von sich Reden, als der nur 1,73 m große Dupont beim Spiel gegen Stade Français sein Gegenüber Dupuis schlicht überrollte.
Mit gerade Mal 18 Jahren sorgte Dupont in Frankreich bereits für Aufsehen, sechs Jahre später ist er ohne jeden Zweifel weltklasse
Sieben Jahre später hat Dupont nicht nur einen französischen Meistertitel, 28 Einsätze für Frankreich, sowie die Ehre als Spieler der Six Nations 2020 auf dem Konto - er ist mittlerweile der beste Spieler Europas. Am Samstag in Rom bewies Dupont die gesamte Bandbreite seines Könnens und war verdientermaßen Man of the Match. Das Standard-Repertoire eines Neuners beherrscht Dupont sowieso aus dem FF. Doch dazu bringt der quirliger Gedrängehalb dem Team noch so viel mehr. Symptomatisch war dafür eine Spielsequenz in der 29. / 30. Minute des Spiels mit Italien.
Die Azzurri hatten es gerade mit einem cleveren Überkick auf Außen Monty Ioane erstmals an die französische 22 geschafft und wollten das Spiel schnell machen. Verbinder Paolo Garbisi hatte die von ihm aus rechts bestehende 4-zu-2-Überzahl erspäht und den Ball schnell rausgefeuert. Dupont hatte die Gefahr aber ebenso erkannt und ist selbst der Linie herausgesprintet, um Italien-Schluss Trulla zu stoppen. Nicht nur gelang ihm das, Dupont schaffte es den 15er nach dem Kontakt locker acht Meter zurückzuschieben und machte einen wahrscheinlichen Versuch für Italien zunichte.
Dupont sprang direkt danach auf, während Italien sich weit hinter der Vorteilslinie sortierte und machte im Anschluss noch das folgende nächste Tackle. Der vielversprechende Azzurri-Angriff war unterbunden und nur zwei weitere Phasen später nutzte Dupont einen aufdopsenden Italien-Pass, um den Ball nach vorne zu kicken. Frankreich-Außen Villière erreichte den Ball zuerst und wer lief Unterstützung? Natürlich Dupont, der dessen Offload annahm und Innen Vincent mit einem Jahrhundert-Offload, No Look hinter den eigenen Rücken, zum Versuch bediente.
Anatomie eines Versuchs: Nicht nur Duponts Weltklasse-Offlaod führte zum Versuch, sondern vor allem seine unermüdliche Arbeit zuvor
Das Offload wird es in jede Highlight-Sammlung des Turniers schaffen, Duponts stetige Arbeit abseits des Balles und in der Defensive zuvor aber nicht. Jedoch macht genau dies Dupont zu dem großartigen Spieler, der er in jungen Jahren schon ist. Die spektakulären Aktionen für die Highlights, aber auch seine unermüdliche Arbeitsethik: Er läuft immer mit, ist immer anspielbar und in der Defensive für seine Größe unglaublich stark.
Genau deshalb kann es sich Frankreich nicht erlauben ihn zu verlieren. Während Verbinder Romain Ntamack aktuell von Mathieu Jalibert gut vertreten wird und Louis Carbonel auf Einsätze drängt, hat Trainer Galthié keinen gleichwertigen Ersatz für Dupont. In zwei Jahren steht für das Team die Heim-WM an, dann zählt es für Frankreich. Die goldene Generation soll nach drei Vizeweltmeistertiteln (1987, 1999, 2011) endlich den Webb-Ellis-Cup holen. Dupont wird einer der Schlüssel auf dem Weg zum allerersten WM-Titel der XV de France.
England ist hart auf dem Boden der Tatsachen gelandet
Vizeweltmeister, Six-Nations-Titelverteidiger und zuletzt Sieger im Autumn Nations Cup. England war am Samstag nicht umsonst mit gehörigem Selbstbewusstsein in die Partie gegen Schottland gegangen. Ben Youngs hatte die Schotten im Vorfeld vor einer „Welle der weißen Trikots“ gewarnt, die sie wegspülen werde. Nach 80 Minuten auf dem heiligen Rasen von Twickenham war von englischer Überheblichkeit dann aber nicht mehr viel zu spüren.
Englands Weltmeister-Coach von 2003, Sir Clive Woodward, nannte diese Partie, die das Team seiner Meinung nach eigentlich hätte mit 30 Punkten verlieren müssen, „das schlechteste England-Spiel aller Zeiten“ - und er müsse es schließlich wissen, beobachtet er des Team seit den 1970ern doch genau.
Ex-England-Coach Sir Clive Woodward ließ in seiner Zeitungs-Kolumne kein gutes Haar an der Leistung seines ehemaligen Teams
Soweit muss man vielleicht nicht unbedingt gehen, hat das englische Rugby-Nationalteam doch immerhin gerade erst sein 150-jähriges Bestehen gefeiert. Aber zumindest seit langem hat sich ein England-Team nicht dermaßen ideenlos und bieder präsentiert, wie am Samstag (TR berichtete). Gegen schottische Underdogs war England über 80 Minuten schicht unterlegen und kam mit seiner sehr kicklastigen Taktik kein Stück weiter.
Das hat sicherlich viele Gründe. Auch dass die Saracens-Asse, die in den letzten Jahren das Rückgrat des Teams bildeten, nach dem Abstieg keinerlei Spielpraxis haben. Bei Verbinder Owen Farrell führte das zu einer seiner schwächsten Partien für England. Achter Billy Vunipola wirkte derweil völlig unfit und meilenweit von seiner Topform der letzten Jahre entfernt. Lediglich Zweite-Reihe-Hüne Maro Itoje, der ebenso beim Londoner Klub unter Vertrag steht, kam an seine Normalform heran.
Der einzige Saracens-Profi, der Normalform zeigte: Maro Itoje
Am meisten Kritik bekommt aber Coach Eddie Jones ab. Dessen Spielplan sei „ultrakonservativ, talentunterdrückend“ und garantiere, dass das Team weiter unter seinem Potenzial verbleibe, so das gnadenlose Urteil von Ex-Trainer Sir Clive Woodward. Dazu habe sich Jones als beratungsresistent bewiesen - das gelte dabei nicht nur in taktischen Fragen.
Zu lange halte Jones an seinen Lieblingen im Kader fest, so die fast einhellige Meinung. Während Farrell und Vunipola weit unter den Erwartungen blieben, glänzten wenige Kilometer weiter die Londoner Harlequins-Profis Marcus Smith und Alex Dombrandt erneut. Der Verbinder und Achter gehören zu den vielen hochtalentierten Spielern, die Jones trotz immer lauter werdender Forderungen diesen Spielern eine Chance zu geben, geflissentlich ignoriert.
Die gute Nachricht aus englischer Sicht: Mit Italien kommt am kommenden Wochenende der einzige Aufbaugegner des Turniers ins Twickenham Stadium. Diese Partie dürfte England auch in der derzeitigen Form gewinnen, was England aber auch in trügerischer Sicherheit wiegen könnte. Aber spätestens zwei Wochen danach, wenn der Vizeweltmeister in Cardiff gegen Wales antritt, wird man sehen, ob die Pleite gegen Schottland ein Ausrutscher, oder Zeichen einer auf dem Abstieg befindlichen Mannschaft war.
Das Turnier ist spannender denn je
Italien hat zuletzt nicht mehr rechtfertigen können, warum sie bei den Six Nations mitspielen, so BBC-Experte Sam Warburton im Britischen öffentlich-rechtlichen TV. Deswegen, so der ehemalige Wales- und Lions-Kapitän, plädiere er für eine Auf- und Abstiegsregelung mit der Rugby Europe Championship. Abseits der Italiener aber, ist das Turnier spannender denn je. Irland und England, beide zuvor als Turnierfavoriten gehandelt, mussten bereits zum Auftakt die erste Pleite einstecken.
Frankreich gilt zwar nun als Favorit, muss aber direkt am Sonntag in Dublin antreten, wo für les Bleus erhebliches Stolperpotenzial besteht. Gleichwohl ist England noch lange nicht aus dem Rennen - man denke nur an das Vorjahr, als England gegen Frankreich unterlag, aber mit einem damals glücklichen Defensiv-Bonus, der ihnen von den Franzosen unnötigerweise geschenkt wurde, am Ende das Turnier gewannen.
Auch der Vizeweltmeister ist noch lange nicht aus dem Rennen und mit Schottland hat sich ein neuer Geheimfavorit etabliert. Die Bravehearts spielen drei ihrer vier ausstehenden Spiele daheim, müssen lediglich in Paris auswärts antreten. Aber was würde gegen einen Turniersieg mit vier Siegen sprechen? Es wäre für die Schotten der allererste Turniersieg seit 1999, es wäre ihnen zu gönnen. Irland und auch Wales haben weiter Titelchancen.
Kurz gesagt: Bis auf Italien kann jeder dieses Turnier gewinnen und gerade das macht es so dermaßen attraktiv. Es mag zwar nicht dasselbe sein, wie vor vollen Rängen mit singenden Zuschauermengen, doch die Six Nations bleiben die Six Nations. Eine Tradition, die niemand im ovalen Universum missen möchte auch oder gerade während einer globalen Pandemie nicht.
Die Tabelle nach dem 1. Spieltag - das Rennen ist völlig offen