Vor dem Six-Nations-Start: Unsere TR-XV der fehlenden Superstars
Geschrieben von TotalRugby Team
Mittwoch, 27. Januar 2021
All diese Six-Nations-Stars werden die 2021er-Ausgabe, oder zumindest einen Großteil des Turniers verpassen.
Noch genau zehn Tage sind es bis zum Six-Nations-Start (Link zu unserem TR-Plan zum Turnier). Die Vorfreude auf das traditionsreichste Rugby-Turnier der Welt steigt. In den letzten Tagen haben alle Teams ihre Kaderlisten bekanntgegeben, mit mehr oder minder großen Überraschungen. Wir haben uns zusammen mit den Kollegen vom Rugby-Podcast die Eierköpfe zusammengesetzt und sind über die Listen der sechs Nationalteams gegangen. Heute haben wir euch das Team mit den fehlenden Superstars - die XV mit den größten Namen, die ihr aus verschiedenen Gründen nicht bei den Six Nations sehen werdet. Wir meinen: diese XV hätte locker das Zeugs dazu, das Turnier zu gewinnen.
1. Joe Marler (familiäre Gründe)
Englands Loosehead-Prop machte erst gestern in allerletzter Minute einen Rückzieher aus dem Six-Nations-Kader des Vizeweltmeisters. Der kräftige Erste-Reihe-Stürmer gab persönliche Gründe für seinen freiwilligen Verzicht an. Schon einmal hatte sich der Harlequins-Profi im Jahr 2018 eine Auszeit vom Nationalteam genommen, um sich mehr seiner Familie widmen zu können - in der Vergangenheit hatte Marler darüber hinaus bereits des öfteren über Motivationsprobleme und Depressionen gesprochen. Marlers England-Karriere dürfte damit leider höchstwahrscheinlich zu Ende sein, obwohl er mit 30 Jahren immer noch einige Jahre auf hohem Niveau vor sich hätte.
2. Stuart McInally (verletzt)
Wenn Schottland auf einer Position dünn besetzt ist, dann auf Hakler. Als schottischer Rugby-Fan wird man sich die Tage gefragt haben: warum muss sich unser bester Hakler ausgerechnet im Gym eine Nackenverletzung zuziehen? Ob der Edinburgh-Profi im Turnierverlauf ins Geschehen eingreifen kann, steht noch nicht fest. In Schottland ist die Hoffnung noch immer groß, dass der mobile und spielstarke Hakler im späteren Turnierverlauf für die Bravehearts auflaufen kann. Denn immerhin fehlt mit Fraser Brown auch die andere erfahrene Option auf der Zweier-Position.
Ball geblockt, 65 Meter zum Versuch gesprintet - Stuart McInally ist tatsächlich Erste-Reihe-Stürmer, fehlt den Schotten nun aber
3. Kyle Sinckler (Sperre nach verbalem Aussetzer) / Samson Lee (nicht berücksichtigt)
Die Qualitäten des englischen Tighthead-Props sind unbestritten, ebensosehr ist Sinckler aber auch für sein Temperament bekannt. Der ehemalige Harlequin, der seit der laufenden Saison im Trikot der Bristol Bears seine Brötchen verdient, musste den Rugby-Rasen schon mehrfach auf Geheiß des Unparteiischen frühzeitig verlassen.
Auch dieses Mal ist es Sincklers Gemüt, das ihm den Platz im England-Kader kostet. Der Vizeweltmeister, dessen Gedränge-Stärke genauso wenig in Frage steht, wie seine Fähigkeiten im offenen Spiel, hatte sich im Premiership-Duell mit Exeter einen unnötigen Platzverweis eingehandelt (TR berichtete).
Dieser zog außerdem eine Sperre von zwei Pflichtspielen nach sich - allerdings könnte Eddie Jones Nichtberücksichtigung von Sinckler auch ein taktischer Schachzug sein. Denn als Teil des England-Kaders hätte der Rotsünder nicht für seinen Klub im Duell am Freitag gegen Bath auflaufen können. Jetzt aber, ohne im England-Aufgebot zu stehen, könnte er das und sitzt bereits am Freitag das erste von zwei Spielen Sperre ab.
Damit könnte der Erste-Reihe-Kraftprotz bereits am 13. Februar beim Spiel England-Italien wieder im weißen Trikot Englands auflaufen. Dann dürfte Eddie Jones aber mit viel Gegenwind rechnen, da er Sincklers Sperre per Bauerntrick verkürzt hat. Aber Jones hält bekanntermaßen nicht viel von Journalisten- und Fan-Meinungen. Dann rückt Wales-Veteran Samson Lee in unsere XV nach, der sich trotz ansprechender Leistungen im Herbst keinen Platz im Kader von Wales-Coach Wayne Pivac erarbeiten konnte.
4. Joe Launchbury (verletzt)
Wasps-Sturmsass Joe Launchbury ist ein ausgemachter Gasse-Experte, ein hervorragender Ballträger und bombensicherer Tackler - kurzum, ein insgesamt großartiger Zweite-Reihe-Stürmer. Kein Wunder, dass es der Blondschopf bereits auf insgesamt 69 Einsätze für England gebracht hat. Die letzten beiden Jahre liefen für Launchbury aber durchwachsen. Kleinere und größere Verletzungen warfen den 29-jährigen Engländer immer wieder zurück.
Eigentlich wäre Launchbury Teil von Eddie Jones Kader gewesen, ein Haarriss im Bein, den er sich im Einsatz für seine Wasps in der Premiership zugezogen hat, wird ihn jetzt aber bis Ende März außer Gefecht setzen. Das bringt ihm innerhin einen Platz in unserer XV der fehlenden Stars sein.
5. Sam Skinner (nicht berücksichtigt)
Wie es Sam Skinner bisher nur auf sieben Einsätze für die schottische Nationalmannschaft geschafft hat, ist vielen Beobachtern ein Rätsel. Der Exeter-Profi hat kürzlich erst mit seinem Verein das Double aus Europacup und englischer Meisterschaft gewonnen. Als variabel einsetzbarer Zweite- und Dritte-Reihe-Stürmer sollte Skinner eigentlich einer der ersten Namen auf jeder Kaderliste sein, nicht so dieses Jahr.
Was im zweiten Corona-Jahr gegen den 25-jährigen Chief spricht, ist die Tatsache, dass er im Süden Englands spielt und nicht bei einem der beiden schottischen Pro-14-Teams. Bei 50-50-Entscheidungen habe man sich für die einheimischen Spieler entschieden, um die COVID-sichere Blase nicht zu gefährden, so Schottland-Trainer Townsend nach der Verkündung seiner Kaderliste. Denn während die England-Profis in den spielfreien Wochen zu ihren Klubs zurückkehren müssen, kann Townsend die Spieler aus Edinburgh und Glasgow direkt in der „Blase“ behalten.
6. Dan Leavy (nicht berücksichtigt)
Er sollte der nächste große Star der Iren in der dritten Sturmreihe werden. Dan Leavy aus der Leinster-Talentschmiede galt als der künftige Dauer-Inhaber des irischen Siebener-Trikots und das auf absehbare Zeit. Der Dubliner setzte sich seit seinem Six-Nations-Debüt 2017 mehr und mehr im Nationalteam fest - doch dann vor knapp zwei Jahren erlitt er eine absolute Horror-Verletzung im irischen Pro-14-Derby gegen Ulster. Leavy verletzte sich am Kontaktpunkt und erlitt einen Totalschaden im Knie - er riss sich unter anderem beide Kreuzbänder.
Mehr als anderthalb Jahre brauchte der am Kontaktpunkt unglaublich starke Ire, um wieder aufs Feld zurückzukehren - und wie ihm das gelang. Bei seinem ersten Start-XV-Einsatz im November 2020 gegen Edinburgh sicherte er sich nicht nur einen Versuch, sondern direkt auch die Auszeichnung als Man of the Match. In der Form war es nur eine Frage der Zeit, bis man ihn im Grün Irlands wiedersieht. Nicht so schnell denkt sich aber Irland-Coach Andy Farrell, der Leavy zunächst den Platz im Kader verwehrt.
7. Sam Underhill (verletzt)
Eigentlich hatte an dieser Stelle im ersten Entwurf des Artikels der Name Jack Willis gestanden. Der wohl profilierteste Balldieb der englischen Premiership wurde bei der England-Nominierung erneut von England-Coach Jones übersehen. Jones hat in der dritten Sturmreihe die Qual der Wahl und entschied sich für altbewährtes Personal. Dann folgte am heutigen späten Nachmittag die Meldung: Sam Underhill hat sich in letzter Minute an der Hüfte verletzt und wird durch Willis ersetzt.
Damit machen wir in unserer XV den umgekehrten Wechsel und nehmen den Vizeweltmeister in unser Team derjenigen, die nicht bei den Six Nations dabei sein werden. Underhills Fähigkeiten als großartiger Tackler, Balldieb in den Offenen und dynamischer Ballträger im Spiel machen ihn zu einem Weltklasse-Spieler. In unserer XV komplettiert er mit Dan Leavy die Doppel-Sieben in der dritten Reihe.
8. Gregory Aldritt (verletzt)
Er war die Entdeckung der letztjährigen Six Nations. Frankreich-Achter Gregory Aldritt - der Franzose mit irisch-schottischen Wurzeln verkörpert alles, was man von einem modernen Achter erwarten würde und noch mehr. Mit erst 23 ist er unglaublich routiniert, durchsetzungsstark und dazu noch ein Spieler, der immer für einen Versuch gut ist.
Auch am vergangenen Wochenende legte Aldritt für sein Team La Rochelle gegen Bayonne in der Top 14 wieder zwei Versuche, musste dann aber mit einer Knie-Verletzung vom Feld - es handelt sich wohl um eine wieder aufgebrochene ältere Verletzung. Im Frankreich-Kader wurde er direkt von Cameron Woki ersetzt, der bereits im Autumn Nations Cup eine gute Figur als Ersatzmann für Aldritt machte. Ob dieser im Turnierverlauf wieder in das Geschehen eingreifen darf, wird sich erst in einigen Tagen zeigen.
9. John Cooney / Rhys Webb (beide nicht berücksichtigt)
In Belfast ist Gedrängehalb John Cooney unter den Ulster-Fans der absolute Publikumsliebling. Kicker, Versuche-Sammler und dazu ein sympathischer Kerl. John Cooney hatte lange auf den Durchbruch gewartet, nachdem er in Leinster und Connacht zu wenig Spielzeit erhielt und erst mit Ende 20 zum Stammspieler in der Pro 14 wurde. Doch während Cooney in Ulster zum absoluten Leistungsträger heranwuchs, war er weder bei Irlands Ex-Trainer Joe Schmitt, noch bei seinem Nachfolger Andy Farrell erste Wahl. Im aktuellen Kader findet man außer dem gesetzten Conor Murray den gebürtigen Neuseeländer Jamison Gibson-Park und den blutjungen Craig Casey aus Munster wieder. Cooney ist in unserer XV der fehlenden Stars der Antreiber und Kicker - auf der Bank wartet mit dem erfahrenen Waliser Rhys Webb noch ein weiterer Superstar-Neuner, der es nicht in den Nationalkader geschafft hat.
10. Joe Simmonds (Nicht berücksichtigt)
Joe Simmonds MBE - wie man bereits am Namen erkennt, geht es hier nicht um einen x-beliebigen Rugby-Spieler. Seit dem Jahreswechsel trägt Exeter-Spielmacher Simmonds das MBE-Kürzel auf dem Briefkop, das für "Member of the Most Excellent Order of the British Empire“ steht. Denn Simmonds wurde vom englischen Königshaus der Ritterorden für sportliche Errungenschaften verliehen.
Während also die Queen Joe Simmonds Leistung im Exeter-Trikot zu würdigen weiß, ignoriert ihn der englische Nationaltrainer Eddie Jones weiter beharrlich. Je mehr Experten, Kommentatoren und ehemalige Spieler die Nominierung des 24-jährigen Verbinders fordern, umso mehr scheint sich Jones auf die Konkurrenz festzulegen. Simmonds wartet trotz seines kühlen Kopfes und seines großartigen Game-Managements weiter auf sein England-Debüt. Für unsere XV der Abwesenden ist Simmonds allemal gut genug.
11. Jacob Stockdale (verletzt)
Ist er ein Außen oder ein Schluss? Die ewige Diskussion, zugleich geführt von irischen Fans, Kommentatoren und vermeintlichen Experten, führte bisher zu keinem Ergebnis. Jahrelang hatte Stockdale als Außen für Furore gesorgt, unter anderem mit einem großartigen Versuch gegen die All Blacks, Irland-Coach Andy Farrell wollte ihn zuletzt dringend zum Schluss umfunktionieren. Neben tollen Offensivaktionen fiel Stockdale in seiner neuen Rolle aber auch immer wieder durch Defensivschwächen auf.
Für die diesjährigen Six Nations aber erübrigt sich die Diskussion. Nach einer Knie-Verletzung, erlitten am 2. Januar gegen Munster, fällt Stockdale noch wochenlang auf. Derweil wird sich wohl Hugo Keenan, Ex-Irland-Siebener-Star als Schluss versuchen dürfen. In dieser Rolle hatte der Leinster-Spieler in der Pro 14 zuletzt immer wieder geglänzt.
Was Irland in diesem Jahr fehlen wird: Die herausragenden Finisher-Qualitäten von Jacob Stockdale
12. Manu Tuilagi (verletzt)
Die Dampframme auf der Zwölf unserer XV ist niemand geringeres, als Manu Tuilagi. Der durchbruchsstarke Innen der Engländer hatte sich im November im Einsatz für seinen Klub Sale Sharks an der Achillessehne verletzt - die damalige Prognose lautete, dass er mindestens für sechs Monate ausfallen werde. Achillessehnenrisse sind tückisch und die Rückkehr ein langwieriger Prozess - für die Six Nations ist Tuilagi deshalb kein Kandidat mehr. Im englischen Nationalteam wird man den Innen, der mit dem Ball unter dem Arm fast schon garantiert über die Vorteillsinie kommt, schmerzlich vermissen. Für unsere XV der fehlenden Superstars ist der Engländer mit samoanischen Wurzeln der allererste Anwärter auf das Zwölfer-Trikot.
13. Virimi Vakatawa (verletzt)
Der französische Fidschianer bringt viel vom dem mit, was Manu Tuilagi auch kann: brutale Läufe, sensationelle Tackles - kurzum sehr viel Physis auf dem Feld. Obendrein hat Vakatawa noch den X-Faktor, der es ihm erlaubt ein Spiel ganz allein zu entscheiden. Sei es ein verrücktes Offload hinter dem Rücken des ihn tacklenden Gegenspielers, oder ein dynamischer Step nach einem angetäuschten Pass.
Bei Frankreich und seinem Klub Racing 92 weiß man, was man an Virimi Vakatawa hat. Umso schwerer wiegt nun der Ausfall des Superstar-Innen. In Diensten seines Pariser Klubs Racing hatte sich Vakatawa gegen Bordeaux einen Bänderanriss im Knie zugezogen, der ihn mindestens für die Hälfte des Turniers außer Gefecht setzen dürfte. Nachdem bereits Frankreich-Spielmacher Ntamack und Achter Aldritt ausgefallen waren, dürfte das Fehlen Vakatawas die Tiefe des Frankreich-Kaders noch zusätzlich testen.
14. Jonathan Joseph (nicht berücksichtigt)
Eigentlich gilt der Bath-Profi und 51-malige englische Nationalspieler als Liebling von Eddie Jones. Auch wenn JJ, wie er von England-Fans liebevoll genannt wird, Mal im Bath-Trikot nicht die allerbesten Leistungen ablieferte, fand er sich doch immer wieder auf den Kaderlisten des Nationaltrainers wieder. Der trickreiche Joseph, der eher über seine Spielstärke, als über seine Physis kommt, dankte es Jones bisher mit soliden bis sehr guten Leistungen.
Bereits bei der WM schien Joseph für Trainer Jones nicht mehr allererste Wahl. In den K.O.-Spielen kam Joseph im Viertelfinale, Halbfinale und schließlich im Endspiel jeweils nur noch von der Bank. Hatte er sich beim Autumn Nations Cup wieder in die Start-XV gespielt und drei von vier Spielen von Beginn an gemacht, schafft er es nun nicht Mal mehr in den 28er-Kader von Eddie Jones. Dass er den 29-jährigen, der sich sowohl auf Innen wie auf Außen wohl fühlt, ist sicherlich die größte Überraschung bei Jones Nominierung.
15. Matteo Minozzi (persönliche Gründe)
„Ich bin müde, fühle mich ausgelaugt, zwei weitere Monate in der COVID-Blase wären zu viel für mich“ - mit diesen Worten begründete Matteo Minozzi seinen freiwilligen Rückzieher aus dem Italien-Kader. Der erst 24-jährige Schluss war in den letzten beiden Jahren der wohl beste Azzurri-Spieler, umso schwerer trifft die Absage des blitzschnellen Hintermannschaftsspielers das Team von Trainer Franco Smith. Elf Versuche in 22 Spielen für Italien, in einer meist unterlegenen Mannschaften, sprechen für sich. Minozzi will sich vorerst auf seine Aufgaben bei den Wasps konzentrieren, wünscht seinen Landsmännern bei den Six Nations per Instagram aber viel Erfolg. Mit ihm würde ein erster italienischer Sieg seit fünf Jahren deutlich realistischer erscheinen. In unserer XV der fehlenden Stars bekommt der nur nur 1,75 m große Speedster das Fünfzehner-Trikot.
Mit elf Versuchen in 22 Spielen ist Matteo Minozzi einer der gefährlichsten Italien-Spieler