Nora Baltruweit, vor ihrer Verletzung, im Einsatz für die Wasps gegen Harlequins.
Eine unglückliche Landung nach der Gasse, die Diagnose lautet Kreuzband- und Meniskusriss, die Folge: eine monatelange Zwangspause. Was für einen jeden Sportler ein absoluter Albtraum ist, erwischte Nora Baltruweit ausgerechnet in ihrem 50. Premiership-Spiel für die Wasps. Dass der Weg zurück auf den grünen Rugby-Rasen durch eine globale Pandemie noch einmal zusätzlich erschwert werden würde, konnte Deutschlands beste Rugby-Spielerin im Januar letzten Jahres noch nicht ahnen. Fast ein Jahr später macht die Aachenerin ihre ersten Schritte und blickt ein wenig optimistischer in die Zukunft.
Für Nora Baltruweit, Deutschlands erfolgreichste Rugby-Spielerin, sollte es ein besonderer Tag werden. Beim Auswärtsspiel letzten Januar, zu Gast beim nördlichsten Premiership-Team, den Sharks aus Durham, würde sie ihren 50. Einsatz in Englands Eliteklasse feiern. Doch anstatt den 45:7 Triumph ihrer Wasps und ihr eigenes Premiership-Jubiläum in der dritten Saison in England gebührend zu feiern, verließ sie das Spielfeld frühzeitig, schmerzverzerrt, sowie mit einem gerissenen vorderen Kreuzband und wie sich wenig später herausstellte, auch einem gerissenen Meniskus.
Dabei hätte der Totalschaden im Knie vielleicht noch verhindert werden können. Schon früh klagte die Zweite-Reihe-Stürmerin in besagtem Spiel über Schmerzen im Knie, sowie ein Gefühl der Instabilität. Doch die Physiotherapeutin des Teams vermochte trotz Tests in der Halbzeitpause nichts Ungewöhnliches feststellen. So biss Baltruweit auf die Zähne, bis sie schließlich im zweiten Durchgang bei einer Gasse nach der Landung endgültig raus musste.
Später spekulierte sie mit ihrem Chirurgen darüber, ob vorher noch etwas zu retten gewesen sei und dahingehend sei man sich einig gewesen. Für Baltruweit kam diese Erkenntnis freilich zu spät. Wasps beendete in der Folge auch die Zusammenarbeit mit der Physio-Praxis, die am Spieltag die Physiotherapeuten gestellt hatte, nachdem nicht nur in diesem Fall alle Alarmsignale ignoriert worden waren.
Ausgerechnet im 50. Premiership-Spiel zog sich Baltruweit die schwerste Verletzung ihrer Karriere zu
Verletzung zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt
Die 23-jährige Studentin, die früh den Sprung aus ihrer Aachener Heimat nach Neuseeland und schließlich London gewagt hatte, um Rugby auf allerhöchstem Niveau zu spielen, musste die erste längere Zwangspause ihrer Karriere einlegen. Die 23-jährige Sportstudentin hätte sich dabei kaum einen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können. Wenige Tage nach ihrer Operation ging ganz Großbritannien in einen harten Lockdown.
Dieser mit besonders harten Einschränkungen verbundene Lockdown dauerte über zwei Monate und wurde erst ab Ende Mai stufenweise gelockert. Die Bewohner Großbritanniens durften sich in diesem Zeitraum nur noch mit einer designierten Person außerhalb ihres eigenen Haushalts treffen. Selbst Physiotherapie-Praxen mussten schließen, was für Baltruweit zu diesem Zeitpunkt Ungemach bedeutete.
Holprige Reha-Phase wegen Corona-Einschränkungen
Zunächst verschob sich der erste OP-Nachsorge-Termin, bei dem die Fäden aus ihrem Knie gezogen werden sollten um eine Woche. Dann ließen sich Physiotherapie-Einheiten nur noch über Skype realisieren, ein schlechter Ersatz. Ein Aufbautraining in normalem Umfang war zunächst überhaupt nicht möglich - selbst Profi-Sport-Teams durften nicht in Fitness-Studios. Ergometer waren im Frühjahr in England heiß begehrte Mangelware und kaum noch erhältlich.
Was blieb war nur noch die Möglichkeit auf dem richtigen Rad im Freien zu trainieren. Trotz äußerster Vorsicht auf einem Parkplatz, ging dies prompt schief. „Ich hatte wohl den langsamsten Fahrradunfall, den man sich vorstellen kann“, so Baltruweit rückblickend gegenüber TR. Ein Kind war plötzlich hinter einem Auto hervorgesprintet und sorgte dafür, dass die Rugby-Nationalspielern nach vorne über den Lenker fiel. Die Folge waren eine Entzündung, mehr Schmerzen im Knie und ein weiterer Rückschlag auf dem Weg zur Erholung.
Baltruweit benötigte Cortisonspritzen im Knie, musste eine weitere Woche komplett aussetzen und konnte dann schließlich im Frühsommer endlich mit dem richtigen Aufbautraining beginnen. Durch das bestehende Narbengewebe besteht weiterhin die Gefahr neuerlicher Rückschläge. In der ersten Januar-Woche immerhin der erste richtige Erfolg: Nora Baltruweit absolvierte die allererste vorsichtige Jogging-Einheit. Kleine vorsichtige Schritte, fast ein Jahr nach der eigentlichen Verletzung, für die deutsche Zweite-Reihe-Stürmerin dennoch ein Meilenstein.
Einer von Baltruweits größten Erfolgen, war die Nominierung für das Aufgebot der Barbarians
Bis zur Rückkehr auf den Rugby-Rasen wird es noch dauern
Der Weg auf den Rugby-Rasen bleibt jedoch weiterhin ein langer. Ob noch eine Chance darauf besteht, in den neun ausstehenden regulären Saisonspielen oder den Playoffs aufzulaufen, vermag Baltruweit momentan nicht zu sagen. Ein Einstieg ins Training bis Saisonende sei durchaus wahrscheinlich, aber der Weg aufs Feld bleibt dabei ein steiniger. Auch deswegen habe sie die Saison bereits ein wenig „abgeschrieben“.
Aktuell hat ihre Verletzungsgeschichte zumindest einen Vorteil: Sie kann sich auf ihr Studium konzentrieren. „Bei meiner Bachelor-Arbeit hat es mir auf jeden Fall geholfen“, so Baltruweit rückblickend auf den Abschluss ihres „Strength and Conditioning“ Bachelors. Eventuelle Diskussionen mit dem Trainerteam habe sie sich so erspart.
Momentan arbeitet die Aachenerin an ihrem Master und wägt ihre zukünftigen Optionen ab - mit 23 könnte sie noch viele Jahre auf allerhöchstem Niveau Rugby spielen. Zwar werde die Frauen-Premiership immer professioneller, mehr und mehr Frauen können von ihrem Sport leben, oder sich zumindest ein gutes Zubrot verdienen. Doch noch immer spiele ein beträchtlicher Teil in Englands-Eliteliga ohne dafür einen einzigen Pfund zu bekommen. Dabei werden die Trainings- und Spiel-Anforderungen immer größer, die Spiele immer härter und anstrengender, so Baltruweits Einschätzung.
Die Schere zwischen armen und reichen Klubs, zwischen professionellen und semiprofessionellen, Teams werde immer größer. Dazu wird der Standort Großbritannien auch wegen des Brexits weniger attraktiv, wie Nora Baltruweit betont. Ihre Rugby-Karriere möchte sie dennoch weiterführen. Wie und in welcher Form sich das realisieren lässt, wird sich wohl erst im nächsten Jahr zeigen.
Baltruweits Wasps liegen in der laufenden Saison aktuell auf dem dritten Rang, auf Kurs Playoffs. Nach zwei Halbfinalteilnahmen 2018 und 2019 soll es dieses Jahr vielleicht einen Schritt weiter gehen. Auf Baltruweits langem Weg Richtung Comeback, könnte ein Finale im Sommer, eventuell gar mit Zuschauern, noch ein motivierender Faktor werden.
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