Unter dem Damoklesschwert Corona: Europacup wird verschoben, sind die Six Nations auf der Kippe?
Geschrieben von TotalRugby Team
Montag, 11. Januar 2021
Wird England in 3,5 Wochen die Titelverteidigung beim Sechs-Nationen-Turnier starten können?
Am heutigen Abend erreicht uns aus der EPCR-Zentrale die befürchtete Meldung: Der Europacup kann an den kommenden beiden Wochenenden nicht wie geplant stattfinden. Aus Furcht vor der neuen Virus-Variante hat Frankreichs Regierung seinen Teams die Teilnahme am Europacup untersagt. Da die Six Nations bereits in 3,5 Wochen starten, treibt die Verantwortlichen nun die Frage um: Steht auch Rugbys prestigeträchtigstes Turnier nach der WM unter dem Damoklesschwert Corona. Abhilfe könnte eine Blase im Disneyland Paris, oder mehr Impfungen schaffen.
DAZN wird in Deutschland der offizielle Übertragungspartner der Six Nations sein. So viel steht mittlerweile fest. Anders als im letzten Jahr, wird ProSieben Maxx nicht parallel dazu übertragen, da die Einschaltquoten im Free TV dafür zu enttäuschend gewesen seien, wie Moderator Jan Lüdeke kürzlich im Eierköpfe-Podcast erklärte.
Ob es überhaupt am 6. Februar pünktlich zu einem Auftakt des Traditionsturniers kommen wird, ist aktuell aber fraglicher denn je. Bereits seit gestern steht fest: Die Six Nations der Frauen werden Corona-bedingt nicht wie geplant stattfinden können. Frühestens im April hoffen die Organisatoren das Turnier auszurichten, das normalerweise parallel zum Herren-Turnier läuft.
Den Europacup hat heute Abend dasselbe Schicksal ereilt. Der Grund ist die neue sich rasend schnell verbreitende Coronavirus-Variante gesorgt, die gerade in Großbritannien für Rekordansteckungszahlen von bis zu 70.000 Fällen pro Tag sorgt. Am Freitag hatte das nationale britische Statistikinstitut verkündet, dass 2% der britischen Bevölkerung aktuell infiziert sei, in London gar 3%, also etwa jeder 30. Bewohner der Stadt.
Frankreich zieht die Reißleine, Europacup wird verschoben
Deswegen sah sich Frankreich nun genötigt, die Reißleine zu ziehen - den französischen Klubs wurde untersagt auf britischen Boden zu reisen, um nicht die neue Virusvariante im Gepäck heimzunehmen. Vorherige Gespräche zwischen dem Europapokalveranstalter EPCR und den französischen Behörden, sowie verschärfte Testregeln reichten nicht aus, um die beiden kommenden Spieltage zu retten, die an diesem und am nächsten Wochenende stattgefunden hätten.
Die Horrormeldung am heutigen Abend: Der Champions Cup muss verschoben werden
Der Champions und Challenge Cup werden damit aller Voraussicht erst im April weitergehen. Das Format war in der laufenden Spielzeit wegen der verkürzten Saison schon auf vier statt sechs Gruppenspiele pro Team eingedampft worden. Das dürfte nun nicht reichen, es sei denn, die Lions-Tour im Sommer wird abgesagt und man kann die Saison im Juni/Juli zu Ende spielen. Die Top-Coaches Rob Baxter (Exeter) und Pat Lam (Bristol) haben nun vorgeschlagen Premiership-Spiel an den freien Wochenenden vorzuziehen, um Platz im Kalender zu schaffen. Die andere Alternative wäre die Viertelfinalspiele komplett zu streichen.
Angesichts der Tatsache, dass die Six Nations in weniger als vier Wochen starten, werden die Fragezeichen auch hier immer größer. Zwar muss Frankreich erst im März erstmals auf britischem Boden antreten, doch für Italien steht das Gastspiel in London schon am zweiten Wochenende des Turniers an. Auch in Italien wird man vermeiden wollen, dass die neue Virusvariante wegen einer Sportveranstaltung ins Land geschleppt wird.
Six Nations in Corona-Blase in Frankreich?
Sollten sich die Infektionszahlen in Großbritannien bis dahin nicht signifikant verbessern, böten sich zwei Möglichkeiten an. Die erste wäre dem Vorbild NBA zu folgen - die US-amerikanische Profi-Liga hatte ihre Saison 2020 in einer sogenannte Bubble zu Ende gespielt. Der gesamte Liga-Zirkus, mit all seinen 30 Teams, Betreuern, Unparteiischen, Medienschaffenden, medizinischem Personal und so weiter hatte sich komplett auf das Gelände des geschlossenen Disney World Florida zurückgezogen.
Die Spiele fanden in unbenutzten Anlagen auf dem Gelände statt, die Spieler waren hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Während draußen das Virus tobte, ging drinnen die Show für die Fernsehkameras weiter. Trotz mehrerer Brüche der Regeln, wurde das Konzept im Nachhinein als Erfolg gewertet. In der Fußball-Champions-League wurde die K.O.-Phase des Turniers im Spätsommer bekanntermaßen in Lissabon ausgespielt, jedoch ohne die strengen Hygienemaßnahmen, da die Corona-Lage damals weitaus entspannter wäre.
Eine ähnliche Lösung wäre nun auch für die Six Nations denkbar und wird von den Six-Nations-Bossen laut Informationen von La Provence aktuell erörtert. Frankreich wäre dabei angesichts der mittlerweile wieder entspannteren Lage die realistischste Option. Immerhin hat man vor den Toren von Paris ebenso ein Disneyland stehen, das aktuell völlig unbenutzt ist. Acht Hotels stehen direkt auf dem Gelände, genug um alle Teams, sowie Verantwortliche und Medienschaffende von der Außenwelt getrennt unterzubringen.
Die Stadien von Racing (La Défense Arena) Stade Français (Stade Jean Bouin) und das Stade de France sind allesamt 35 bis 55 Autominuten vom Disney-Gelände entfernt, so dass man gar mehrere Spiele nacheinander abhalten könnte, ohne dabei den Rasen eines Stadions zu zerstören.
Verschiebung in den Frühjahr - dann vor (geimpften) Zuschauern?
So absurd diese Idee auch klingen mag - mit ihr könnte man eine pünktliche Durchführung des Turniers fast schon garantieren. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Verschiebung auf den Frühjahr. Das ist für Traditionalisten ein Horror und würde bei den TV-Partnern für Kopfzerbrechen sorgen, hätte aber einen großen Vorteil: Man könnte eventuell wieder vor Zuschauern spielen.
Rugby lebt auch von den Emotionen auf den Rängen: Wäre eine Verschiebung deshalb sinnvoll?
In Großbritannien wurden bereits 2,6 Millionen Menschen geimpft, bis Mitte Februar sollen es 15 Millionen sein. Bis Ende März wäre eine Verdopplung dieser Zahl nicht utopisch. Zwar wäre damit noch keine Herdenimmunität erreicht, aber ein Plan der gerade in Italien verabschiedet wurde, könnte dann zum Zuge kommen. Paolo dal Pino, Präsident der italienischen Fußball-Liga Serie A, hatte Anfang Januar bei der Regierung des Landes ein 300-Seiten-Papier eingereicht.
Einer der Vorschläge: Bereits geimpfte Personen sollten ohne Beschränkungen wieder in Stadien dürfen. In Großbritannien dürfte das im April für bereits etwa die Hälfte der Bevölkerung gelten. Ein solcher Schritt würde ethische Fragen aufwerfen, für in Finanznot geratene Verbände allerdings könnte dies einen dringend benötigten Geldsegen bedeuten.