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Vier TR-Thesen zum internationalen Geschehen vom Wochenende
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Geschrieben von TotalRugby Team   
Montag, 16. November 2020

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Jubel und Verzweiflung: Das Rugby-Wochendende bot Fans des ovalen Leders so ziemlich alles.

So trübe der Corona-Herbst 2020 auch sein mag, das internationale Rugby vermag die Fans des ovalen Leders hierzulande zumindest zeitweise von der Pandemie ablenken. Auch wenn Frankreich-Fidschi am Wochenende dem Coronavirus zum Opfer fiel, wurden noch immer vier hochklassige Matches ausgetragen. Drei im neugeschaffenen Autumn Nations Cup und eines in der fürs Jahr 2020 wieder in Tri Nations umbenannten Rugby Championship. Speziell der Sensationssieg der Argentinier wirkte wie ein Erdbeben und schaffte es gar in Deutschland auf Nachrichtenseiten wie Spiegel Online und in die SZ.

Das Internationale Rugby ist spannender denn je

Wir hatten es bereits vorletzte Woche geschrieben (TR berichtete) und das vergangene Wochenende hat es noch einmal eindrucksvoll bestätigt: Das internationale Rugby ist an der Weltspitze spannender denn je. Kein Nationalteam kann derzeit wirklich für sich behaupten, das beste der Welt zu sein. Weltmeister Südafrika steht zwar weiterhin an der Spitze der offiziellen Weltrangliste, hat seit der WM kein einziges Spiel absolviert.

Die Begründung dafür, nämlich dass die Springboks zu wenig Spielpraxis für internationale Wettkämpfe gehabt hätten, wirkt nach dem überragenden Sieg der Argentinier über die All Blacks (TR berichtete) noch zweifelhafter. Los Pumas als Team, sowie ein Großteil des Kaders individuell, hatte nicht nur seit über einem Jahr keinerlei Wettkämpfe absolviert. Mehrere Quarantäne-Phasen raubten den Gauchos obendrein noch die Chance auf eine richtige Vorbereitung.

Neuseelands Rugby-Gemeinde befindet sich derweil in einer Art Sinnkrise, denn der Status als bestes Rugby-Team der Welt schien seit mehr als einem Jahrzehnt quasi zementiert und wurde Teil der nationalen Identität. Pleiten, wie im WM-Halbfinale gegen England, wurden meist als Ausrutscher abgetan. Seitdem die Weltrangliste von World Rugby im Jahr 2003 eingeführt wurde, fand man Neuseeland immer auf Rang eins oder zwei wieder - mit der Niederlage vom Samstag rutschen die All Blacks auf den dritten Platz und stehen damit schlechter da, als je zuvor.

Der Geniestreich von Nico Sanchez, der Argentinien auf die Siegerstraße brachte

Mit den jungen wilden Franzosen, die 2023 bei der Heim-WM nach drei Final-Niederlagen beim Rugby World Cup (1987, 1999, 2011) den Vize-Fluch endlich ablegen wollen, Six-Nations-Sieger England, sowie die Springboks und All Blacks dürfen sich, Stand heute, alle berechtige Hoffnungen auf den Titel in drei Jahren machen. Dahinter ist außerdem eine Reihe von Teams, die die Spitzengruppe schlagen kann - man denke nur an Irland, Argentinien, Australien und mit Abstrichen Wales und Schottland.

Das internationale Rugby kann dadurch nur spannender und interessanter werden. So sehr der Mythos All Blacks von der Dominanz des dreimaligen Weltmeisters lebt - die Überlegenheit der Neuseeländer war in der letzten Dekade zum Teil erdrückend, nicht umsonst war das Team aus Aotearoa über zehn Jahre an der Spitze der Weltrangliste. Für den ovalen Ballsport ist die Spannung definitiv ein Gewinn.

Argentinien gelingt die wohl größte Überraschung im Welt-Rugby

Der Daily Telegraph aus Sydney hatte bereits am Samstag mit seiner Schlagzeile eine Diskussion losgetreten. Der Sieg der Gauchos gegen die All Blacks sei die größte Überraschung im internationalen Rugby jemals. Wir bei TR sind dazu geneigt zuzustimmen. Klar, grundsätzlich sind die Argentinier eine etablierte Rugby-Nation und standen bereits zwei Mal im WM-Halbfinale. 2007 gewannen sie beim Rugby World Cup gar noch das kleine Finale und waren auf dem Papier die drittbeste Nationalmannschaft der Welt.

Dennoch: Seit dem WM-Halbfinaleinzug von 2015 war Argentinien sportlich stagniert und war sukzessive auf Rang 10 der Weltrangliste abgerutscht. In 29 Aufeinandertreffen zuvor hatte Argentinien keinen einzigen Sieg gegen Neuseeland holen können. Die Umstände machen diesen Sieg umso beeindruckender. Zwölf der fünfzehn Spieler in der Pumas-Start-XV hatten in über 13 Monaten kein einziges richtiges Spiel bestritten. Der argentinische Corona-Lockdown gilt als der längste weltweit und ist darüber hinaus noch sehr strikt. Ein Großteil des Teams konnte monatelang das eigene Haus nur zum Einkaufen verlassen.

Die Umstände des Pumas-Sieges sind es, die diesen Sieg noch beeindruckender machen

Dazu mussten die Argentinier nach ihrer Einreise nach Australien zwei Wochen im Hotel verharren. Ein Video, welches die ganze Pumas-Odyssee der letzten Monate zusammenfasst, wurde in den sozialen Medien millionenfach angeklickt. Kein Wunder, dass Argentinien als krasser Außenseiter vor der Partie galt. Wer vor dem Spiel einen Dollar auf Neuseeland setzte, hätte für einen Sieg 1,02 $ ausgezahlt bekommen, während man mit dem Tipp auf einen Argentinien-Sieg das fünfzehnfache und mehr rausholen konnte.

Die Underdog-Geschichte fasziniert die Rugby-Welt, aber vor allem die argentinischen Medien. Die größten Zeitungen des Landes, la Nación und Clarín, waren voll von Geschichten über die Rugby-Helden und mit Bildern von den ausgelassenen Feierlichkeiten danach. Clarín sprach von „einem der größten Sportmomente in der Geschichte des Landes". „Eine Utopie wird wahr“, so la Nación, eine Zeitung vergleichbar mit der Frankfurter Allgemeinen hierzulande. Balsam für die Seele der 44-Millionen-Einwohner-Nation, die trotz hartem Lockdown knapp 40.000 COVID-Tote und eine Wirtschaftskrise historischen Ausmaßes zu beklagen hat.

„Für die Ewigkeit" - Argentiniens Presse feiert seine Rugby-Helden

Inwiefern der Triumph der Argentinier vielleicht sogar der Beginn einer neuen Hochphase der Pumas ist, bleibt abzusehen. Argenien hatte gegen Neuseeland zwei Debütanten im Kader. Die überragende dritte Sturmreihe mit Kapitän Pablo Matera (27), Siebener Marcos Kremer (23) und Achter Rodrigo Bruni (27) kann so noch eine Weile zusammenspielen. Mit Facundo Isa (27) fehlte am Samstag gar der etatmäßige Achter. Einzig Verbinder Nico Sanchez, der am Samstag alle Punkte erzielte, geht mit 32 auf die letzte Phase seiner Karriere zu.

Wales am Boden

Am anderen Ende des Gefühlsspektrums findet man gerade Wales, dessen Rugby-Team und vor allem seine Fans wieder. Auch wenn es manch einer mittlerweile vergessen haben dürfte. Im WM-Halbfinale, mit weniger als fünf Minuten auf der Uhr, stand es zwischen Wales und Südafrika 16:16 unentschieden. Wales schied schließlich gegen den späteren Weltmeister durch einen Straftritt von Handre Pollard aus, vier Minuten vor Abpfiff. Wenn man die Leistung der Waliser am Freitag-Abend sieht, wirkt das WM-Halbfinale wie eine Erinnerung aus grauen Vorzeiten.

Dabei stand ein Großteil der Mannschaft, die am Freitag in Dublin ohne viel Gegenwehr unterging, auch gegen Südafrika in Yokohama auf dem Feld. Besser noch, mit Liam Williams und Taulupe Faletau waren gar zwei von Wales größten Stars zurück auf dem Feld, nachdem sie in Japan noch verletzungsbedingt gefehlt hatten. Was aber definitiv anders als im Vorjahr war, ist die Besetzung des Trainerpostens.

Kapitulation in Dublin: Die Vorstellung der Waliser gegen Irland war unterirdisch

Warren Gatland hatte sich nach über zwölf Jahren als Wales-Trainer in seine neuseeländische Heimat zurückgezogen. Genauso wie er mit seinen Chiefs im Super Rugby Aotearoa eine Horror-Serie erlebte, ergeht es nun seinem Ex-Team. Die 9-32 Niederlage gegen Irland war die sechste in Folge. Viel schlimmer noch: Wales unter Wayne Pivac fehlt es augenscheinlich an einer Spielidee, an einer Rugby-Identität.

War man unter Gatland noch als extrem defensivstarkes Team bekannt, das in der Offensive schnörkellos und uninspiriert, aber vor allem fehlerfrei agierte, ist Wales nun defensiv-schwach und offensiv noch uninspirierter. Seit dem Weggang von Defensiv-Coach Shaun Edwards ist die walisische Verteidigung nur noch ein Schatten ihrer selbst. Edwards Nachfolger Byron Hayward kostete dies letzte Woche bereits den Job.

Doch auch Headcoach Wayne Pivac steht unter extrem Druck. Eigentlich war der Neuseeländer angetreten, um Wales einen neuen offensiven Hurra-Stil zu verpassen. Statt mehr Versuche durch sein präferiertes Offload-Spiel zu erreichen, hat Pivac das Team augenscheinlich nur verunsichert. Schon jetzt fordern viele Pivacs Kopf. Sollte Wales auch gegen Georgien am kommendes Wochenende nicht gewinnen, könnte dies dem erst Anfang des Jahres installierten Pivac den Job kosten.

Mit Crusaders Coach Scott Robertson steht laut den walisischen Medien bereits der nächste Neuseeländer in den Startlöchern, um den Job zu übernehmen. Dessen Erfolgsbilanz im Super Rugby sucht seinesgleichen und schon länger ist Robertson wohl daran interessiert auf der internationalen Bühne zu coachen.

Italien trotz Niederlage verbessert, Georgien kann gegen England nicht viel zeigen

17-28 nach 80 gespielten Minuten, eine weitere Heimniederlage der Italiener gegen Schottland, soweit so normal. Doch die Azzurri konnte in Florenz gegen die Schotten nicht nur über 80 Minuten mithalten, in der ersten Hälfte waren sie gar das bessere Team. Der Versuch von Matteo Minnozzi, nach einem Durchbruch von Marco Zanon und einigen Offloads, war so ziemlich das Beste, das Italien seit Jahren auf dem Rugbyfeld angeboten hat. 

Eine Reihe von Neulingen, wie auch besagter Innen Zanon, beginnen sich im Team zu etablieren. Allen voran der 20-jährige Verbinder Paolo Garbisi, der im dritten Spiel in Folge startete und sein bestes Spiel absolvierte. Seit Jahren hatte Italien keine etablierte Zehn, mit dem jungen Garbisi scheint sich das aber geändert zu haben. Schon an diesem Wochenende könnte Italien gegen ein COVID-geschwächtes Fidschi-Team endlich Mal wieder einen Sieg einfahren.

Auch wenn Italien am Ende unterlag, spielerisch scheint sich das Team endlich nach vorne zu entwickeln

Für Georgien dagegen gab es bei der 0:40 Niederlage in Twickenham gegen England weniger Positives zu vermelden. Die Lelos waren dem englischen Team über 80 Minuten unterlegen - sie hatten keinerlei Antwort auf Englands Paket, mit dem der Vizeweltmeister mehrere Versuche erzielen konnte. Obendrein fiel es den Gästen schwer, selbst offensive Akzente zu setzen. Nur ganz selten hielten die Lelos über mehrere Phasen den Ball. Englands dritte Reihe um den profilierten Balldieb konnte den Georgiern immer wieder das Spielgerät entwenden.

Beim georgischen Trainerteam bittet man derzeit um Geduld und verspricht mit mehr gemeinsamer Trainingszeit besser zu werden. Die wohl beste Chance wird sich am kommenden Woche in Llanelli ergeben, wenn die Lelos gegen ein geschwächtes Wales antreten. Nachdem Georgiens vor gerade Mal die Jahren in Cardiff nur knapp an der Sensation vorbeigeschrammt war, wird dies die beste Chance auf eine Sensation sein.

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