TR-Review: Exeter holt Europacup, das All-Blacks-Imperium schlägt zurück
Geschrieben von TotalRugby Team
Sonntag, 18. Oktober 2020
Triumph für Exeter: Die Chiefs holen erstmals den Heineken Champions Cup. Foto (c) EPCR
Zwei Mal Rugby auf allerhöchstem Niveau und zwei Mal kamen Rugby-Fans dies und jenseits des Äquators auf ihre Kosten. Im Champions-Cup-Finale krönten sich die Exeter Chiefs zum Europacupsieger, genau zehn Jahre nachdem sie erstmals in Englands Eliteklasse Premiership aufgestiegen waren. In einem hochklassigen Finale mit acht Versuchen entschieden Kleinigkeiten über den Ausgang des Endspiels. In Auckland fand am heutigen Morgen das zweite Bledisloe-Cup-Duell statt und hier war es eine eindeutige Angelegenheit: Die All Blacks verteidigten ihre Festung Eden Park ein weiteres Mal.
Finale European Rugby Champions Cup
Exeter Chiefs 31-27 Racing 92
Noch Mitte der 1990er-Jahre dümpelten die Exeter Chiefs in der vierten englischen Liga vor sich hin und waren einer von vielen Klubs, dessen beste Jahre scheinbar in der Vergangenheit lagen. Damals begannen die Chiefs ihren kontinuierlichen Aufstieg, der im Jahr 2010 mit dem Erreichen der ersten Liga Premiership den vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte.
Endlich wieder gegen Englands traditionelle Rugby-Großmächte wie Leicester, Bath und Harlequins antreten zu dürfen, war für die Rugby-verrückte Region im Südwesten bereits ein Triumph. Immerhin ist Exeter und die Grafschaft Devon eine absolute ovale Hochburg - hier hatten die All Blacks 1905 ihr allererstes Spiel auf britischem Boden absolviert und ihren heute legendären Spitznamen erhalten.
10 Jahre nach dem Aufstieg in die erste Liga nun der Europacupsieg
Gestern konnten sie ihren märchenhaften Aufstieg, auch durch die finanzielle Unterstützung des Unternehmers Tony Rowe gelang, mit dem Europapokal-Triumph krönen. Nur anderthalb Autostunden von der eigenen Heimat entfernt im Ashton-Gate-Stadion von Bristol setzte sich Englands Vizemeister gegen den Pariser Konkurrenten Racing durch - normalerweise wären Tausende Exeter-Fans die Autobahn M5 hinaufgepilgert, um ihre Jungs zu unterstützen.
Doch im Jahr 2020 sind Zuschauer und volle Stadien in weiten Teilen der Welt leider unvorstellbar und so konnte der Exeter-Anhang nur am Schirm verfolgen, wie das Team mit den beiden Schottland-Stars Stuart Hogg und Richie Gray wie die Feuerwehr loslegte. Der eisenharte Sturm hatte sich in den letzten Jahren schon einen Namen gemacht, als der wohl beste in Europa.
Exeter holte gleich in der Anfangsphase zum Doppelschlag aus: Erst per Paket nach 8 Minuten durch Hakler Cowan-Dickie, dann nach nur 15 Minuten per Pick-and-Go durch Achter Sam Simmonds - 14:0 nach einer gespielten Viertelstunde. Doch Racing war nicht nur zum gratulieren gekommen und schlug mit den eigenen Waffen nur wenige Zeigerumdrehungen später zurück. Schottland-Verbinder Finn Russel bediente Schluss Simon Zebo mit einem großartigen Pass über die blitzartig aufrückende Chiefs-Defensive - 5:14 nach 20 Minuten aus Sicht der Franzosen.
Nach weiteren 10 Minuten Racing-Sturmlauf dann der Anschluss - am Ende eines schnellen Rucks nur wenige Meter vor der Linie nahm Ex-Pumas-Außen Imhoff den Ball als Ersatz-Halb auf, täuschte einen Pass an und ging durch die Lücke zwischen zwei Stürmern. Racing war dran an den Chiefs und schien das Momentum auf seiner Seite zu haben. Noch vor der Pause war es aber wieder der brutal starke und effiziente Chiefs-Sturm, der sich mit Phase um Phase an die Linie vorarbeitete, bis schließlich Zweite-Reihe-Stürmer Hill mit dem Pausenpfiff den Versuch legte.
„Das hier ist kein Schönheits-Wettbewerb“ war der lapidare Kommentar des TV-Experten zur Halbzeitpause. Aus dieser kam Racing erneut mit mehr Spielwitz gekommen und erneut war es die schottisch-irische Kombination Russel-Zebo, die zum Erfolg führte. Der schottische Verbinder bediente den irischen Schluss, der zum dritten Pariser Versuch einlief. Die Erhöhung misslang erneut, so dass Racing beim Stand von 17-21 weiterhin hinten lag.
Zudem setzte sich Racing nur drei Minuten später selbst unter Druck. Verbinder Russel setzte an der eigenen 22 erneut zu einem seiner wilden doppelten Überpässe an, doch England-Außen Jack Nowell roch den Braten und fing den Ball gerade so ab, sein Offload an seinen England-Teamkollegen Slade war gleichbedeutend mit der 28:17 Führung.
Racing stand mit dem Rücken zur Wand und hatte erneut eine Antwort parat. Erst verpasste Hakler Camille Chat den Chiefs ein wenig ihrer eigenen Medizin und punktete per Paket, bevor Russel den Abstand per Penalty auf einen Zähler reduzierte - beim Stand von 27:28 ging es in die Schlussphase.
In dieser arbeiteten sich die Racing-Männer noch einmal bis direkt an die Linie heran, kassierten dort aber den entscheidenden Turnover durch Exeters Ersatz-Neuner Sam Hidalgo-Clyne. Im Gegenzug erarbeiteten sich die Chiefs noch einen Straftritt zum Endstand. Nach ein wenig Verwirrung, ob noch genug Zeit für den Wiederanpfiff war, pfiff Nigel Owens die Partie ab. Racing scheitert auch im dritten Europacupfinale, Exeter dagegen siegt bei der Premiere im wichtigsten Vereinsspiel Europas.
Den Chiefs könnte am kommenden Wochenende in Twickenham gar noch das Double gelingen, wenn sie im Premiership-Finale gegen Wasps antreten. Sofern das Spiel überhaupt stattfindet, nachdem sich eine Reihe von Wasps-Spielern mit dem neuartigen Coronavirus angesteckt hat.
80 Minuten beinharter Kampf, danach ein versöhnliches Bier, das ist Rugby
Bledisloe Cup Spiel II
Neuseeland 27-7 Australien
34 Jahre ohne Sieg im Eden Park, 19 Jahre seit dem letzten Sieg auf neuseeländischem Boden. Australiens Durststrecke gegen den Erzrivalen geht weiter, doch das hätte heute nicht unbedingt so sein müssen. Trotz eines unter dem Strich verdienten Neuseeland-Sieges hatten die Gäste ihre Chancen. Zur Pause war das Spiel beim Stand von 10:7 eng und zwischen der 50. und 55. Minute hatten die Wallabies gleich zwei ganz dicke Chancen auf 14-20 anzuschließen und mit Siegchancen in das Schlussviertel zu gehen.
Doch zuerst ließ sich Außen Koroibete, als es nach dem sicheren zweiten Versuch für Australien aussah, von Mo’unga im Malfeld hochhalten. Der beste australische Außen hatte trotz seines Versuches in der ersten Hälfte keinen guten Tag, nicht nur verlor er einige einfache Bälle, in dieser Situation ließ er sich vom weitaus schmächtigeren All-Blacks-Verbinder hochhalten. Direkt danach wurde Hakler Paenga-Amosa ein Versuch vom Video-Schiri weggenommen, weil sich der Australier vorm Ablegen des Balles auf dem Boden nach vorne gerobbt hatte.
Im direkten Gegenzug konterten die All Blacks und kamen durch Kapitän Caine zum vierten Versuch. Statt sechs Zähler Abstand, waren es nun satte 20 und das Spiel war mit mehr als 20 Minuten auf der Uhr de facto gelaufen. Australien erholte sich nicht von diesem Nackenschlag. Stattdessen feierte das Publikum seinen Lokalhelden Caleb Clarke. Nicht nur teilt der Sohn des ehemaligen All Blacks Eroni Clarke den Namen des Superman-Charakters Clark Kent, er spielte heute auch Superman-ähnlich.
Der erst 21-jährige ehemalige Siebener-Nationalspieler legte zwar in seinem ersten Einsatz von Beginn an keinen Versuch, war aber dennoch mit Abstand der beste Mann auf dem Feld, beobachtet vom stolzen Vater Eroni auf der Haupttribüne des Eden Park. Mit brutalem Speed und bei weit über 100 kg für einen Außen auch viel physischem Durchsetzungsvermögen bahnte sich Clarke seinen Weg durch Australiens Defensive wie ein Bowling-Ball durch wehrlose Kegel.
Die Video-Highlights des zweiten Bledisloe-Cup-Spiels
Sagenhafte sechzehn Tackle brach Clarke und machte mit dem Ball unter dem Arm 140 Meter. Jedes Mal wenn der samoanisch-stämmige Clarke zu einem seiner Läufe ansetzte stockte den 47.000 in Auckland der Atem. Vergleiche mit der Legende Lomu werden immer dann laut, wenn ein junger Außen ein derartiges Spiel abliefert. Auch wenn es noch zu früh ist, Clarke mit dem wohl besten Rugbyspieler aller Zeiten zu vergleichen, der im Übrigen Teamkollege seines Vaters bei den Blues und All Blacks war: Mit einer Leistung wie heute, steht ihm eine große Zukunft im schwarzen Trikot der All Blacks bevor.
Insgesamt zeigte sich der dreimalige Weltmeister stark verbessert gegenüber letzter Woche. Mehr Durchbrüche, mehr Offloads, bessere Standards und nicht zuletzt der bärenstarke Außen machten heute den Unterschied. So erzielte Neuseeland vier Versuche zu einen - Aaron Smith aus kurzer Distanz nach einem Vorstoß von Goodhue, Jodie Barrett nachdem er von Mo’unga freigespielt wurde, Ardie Savea nach einem großartigen Run von Clarke über den halben Platz und durch ein halbes Dutzend Tackles, sowie schließlich Cane nach einem Konter.
Für Australien ist nun erst Mal Wunden lecken angesagt, bevor in zwei Wochen im Olympiastadion von Sydney der Gegner erneut Neuseeland heißt. Die gute Nachricht ist: Mit einem Sieg bliebe den Wallabies noch immer die Chance den Bledisloe Cup nach 19 Jahren wieder in australische Hände zu bekommen, wenn auch dafür Siege in Sydney, sowie im November in Brisbane nötig sind. Die schlechte Nachricht lautet, dass Neuseeland im Laufe einer Saison im Regelfall mit jedem Spiel immer besser wird und insgesamt nur wenige Ausrutscher zeigt. Vor allem wenn Superman Clarke weiter in derartiger Form besticht.
Caleb Clarke ist der Shooting Star des Jahres 2020, wie er schon im Super Rugby unter Beweis stellte