Revanche für die All Blacks oder historischer Triumph für Australien?
Geschrieben von TotalRugby Team
Freitag, 16. Oktober 2020
Ersetzt Rieko Ioane nach dessen Mega-Patzer: Anton Lienert-Brown. Foto (c) Perlich
All Blacks gegen Wallabies, die zweite. Nachdem sich die beiden Erzrivalen und Rugby-Großmächte vom anderen Ende der Welt am letzten Sonntag in Wellington ein packendes Duell für die Ewigkeit geliefert hatten (TR berichtete), kommt es diesen Sonntag in Neuseelands Rugby-Festung Eden Park zum zweiten Duell dieses Jahr. Im ausverkauften Nationalstadion will der dreimalige Weltmeister Revanche nehmen, für das aus All-Blacks-Sicht unzufriedene Unentschieden im ersten Spiel seit Corona. Australien dagegen will den 34 Jahre andauernden Fluch im Eden Park beenden. Schon morgen treffen Exeter und Racing im Champions-Cup-Finale aufeinander, im Duell der Gegensätze.
Neuseeland -Australien Sonntag, 18 Oktober, 5:00 Uhr (dt. Zeit), Live auf Rugbypass
Am Ende eines dramatischen Duells im Dauerregen von Wellington zeigte die Anzeigetafel 16 Zähler für beide Teams an. Ein Unentschieden, das hätte kaum dramatischer sein können. Ein Unentschieden, welches die Australier trotz Feldvorteilen als moralischen Sieg verbuchen dürften, hatten sie doch im Vorfeld als krasser Außenseiter gegolten. Ein Unentschieden, das angesichts der riesigen Erwartungshaltung der neuseeländischen Fans im All-Blacks-Camps als Niederlage gewertet werden dürfte, zumal man sich gegen Ende glücklich schätzen durfte, überhaupt mit dem Remis davongekommen zu sein.
Es wäre der erste Sieg Australiens auf neuseeländischem Boden seit 2001 gewesen, als das legendäre Team um Kapitän John Eales die All Blacks mit Jonah Lomu in Dunedin besiegten. 19 Jahre ohne Sieg in Neuseeland, lediglich Australiens Bilanz im Eden Park sieht noch düsterer aus. Dort hat seit 1986 hat kein Wallaby-Team mehr gewonnen und wenn es nach den All Blacks geht, soll sich daran auch an diesem Sonntag nichts ändern.
Denn die letzten fünf Spiele dort hatten die Wallabies im Schnitt mit 30 Punkten verloren, im internationalen Rugby sind das Welten. Auch im letzten Jahr mussten die Australier nach einem seltenen aber gleichwohl überragenden Heimsieg gegen Neuseeland mit 47:26 in der Woche darauf eine 36:0 Abfuhr in Auckland einstecken. Ganz zur Freude der neuseeländischen Fans im randvollen Rugby-Tempel der größten Stadt des Landes, die ungern gegen den großen Nachbarn verlieren.
Vor einem Jahr fertigte Neuseeland die Wallabies in Auckland mit 36:0 ab
Die Festung der All Blacks wird auch am Sonntag wieder mit gut 50.000 Zuschauern ausverkauft sein. Das All-Blacks-Team, das die Fans des dreimaligen Weltmeisters diesen Sonntag zu sehen bekommen, umfasst eine Reihe von Wechseln, die Neu-Coach Ian Foster für sein zweites Spiel als Coach heute verkündete.
In erster Linie wurde Rieko Ioane sein unverzeihbarer Fehler in der letzten Woche zum Verhängnis - der Innendreiviertel hatte einen Konter der All Blacks mit der letzten Aktion der ersten Hälfte über das halbe Feld im Malfeld der Australier abgeschlossen, jedoch nur vermeintlich. Denn Ioane ließ das Leder beim Ablegen zum Versuch fallen und machte seinem Team das Spiel damit ungemein schwerer.
Ioane wird vom erfahrenen Anton Lienert-Brown auf der zweiten Innen-Position ersetzt. Beauden Barrett kehrt für Damien McKenzie als Schluss in die Start-XV zurück, wo Neuseelands Siebener-Sensation Caleb Clarke den verletzten Außen George Bridge auf der kurzen Ecke ersetzt. Im Sturm kommen Zweite-Reihe-Stürmer Tupou Vaa’i für Whitelock und Dane Coles für Cody Taylor neu ins Team.
Bei den Wallabies kommen lediglich Flanker Ned Hanigan und Hakler Brandon Paenga-Amosa neu ins Team. Dave Rennie hat, anders als sein Gegenüber, in seinem zweiten Spiel wenig Grund am Gerüst des Teams zu rütteln. Vor allem das Duo aus Neuner Nic White und Verbinder James O’Connor hatte in Wellington geglänzt und beide Wallabies-Versuche vorbereitet.
Die hochdramatische Schlussphase des Spiels am letzten Sonntag in Wellington
Für die Australier dürfte lediglich mehr Effektivität auf der To-Do-Liste stehen - die Wallabies hatten weitaus mehr Ausflüge in die Neuseland-22 gebraucht, um zu Zählern zu kommen. Erneut wird das australische Team dafür sorgen müssen, dass der Kreativkopf der Neuseeländer, Verbinder Richie Mo’unga, sprichwörtlich kein Bein auf den Boden bekommt. Die aggressiv aufrückende Wallabies-Defensive hatte ihn über weite Strecken komplett aus dem Spiel genommen, lediglich in den allerletzten Minuten fand er mehr Platz gegen eine müder werdenden Australien-Verteidigung.
Neuseeland wiederum wird besser mit Australiens Kicking-Spiel klarkommen müssen. Nic Whites gut platzierte Boxkicks landeten immer wieder in den Händen der Wallabies, mit Schluss McKenzie fehlte es den All Blacks an der nötigen Lufthoheit bei schwierigen Bedingungen. Dass in Auckland trockene Bedingungen bei frühlingshaften 17 Grad vorhergesagt sind, dürfte den Neuseeländern in die Karten spielen. Mit viel Wut im Bauch werden sie die Australien-Defensive sicher direkt zu Beginn testen.
Für die Wallabies dürfte es auch zum Charaktertest werden: Erstarren sie wie so oft vor der gewaltigen Kulisse Eden Park, oder bieten sie dem dreimaligen Weltmeister Paroli. Selbst dann dürfte Australien Außenseiter sein, dennoch könnte so der Bledisloe Cup zum ersten Mal nach 19 Jahren wieder in Wallabies-Hände wandern. Denn im Corona-Jahr 2020, in dem Südafrika kein einziges Spiel bestreiten wird, treffen die All Blacks noch weitere zwei Mal auf Australien - dann in Sydney vor australischem Publikum.
European Champions Cup Finale: Wer besiegt den Final-Fluch?
Exeter Chiefs - Racing 92 Samstag 17. Oktober, 17:45
Das Champions-Cup-Finale ist der krönende Abschluss der Saison im Europacup und wird normalerweise im Mai ausgetragen. 2020 ist aber alles andere, als ein normales Jahr und so wird der wichtigste Club-Wettbewerb im Welt-Rugby erst morgen abgeschlossen, im Oktober. Nachdem Leinster und Titelverteidiger Saracens den Titel in den letzten vier Jahren unter sich ausgemacht haben, wird es dieses Jahr einen neuen Gewinner geben.
Auch wenn die Partie ohne den üblichen Pomp auskommen muss - im Ashton Gate Stadion von Bristol werden keine Zuschauer erlaubt sein - geht es für die beiden Finalisten doch um die europäische Krone im Rugby und den ersten internationalen Triumph. Exeter steht erstmals im Europacup-Finale, während Racing zwei Mal im Endspiel stand, aber 2018 Leinster und 2016 Saracens unterlegen war.
Im Halbfinale schaltete Racing Titelverteidiger Racing mit viel Spielfreude aus
Das Spiel in Bristol wird auch ein Aufeinandertreffen der Rugby-Philosophien sein. Ist Exeter für sein brutales und erbarmungsloses Sturmspiel, sowie die unbedingte Taktik-Treue und Team-Disziplin, ist der Glamour-Klub Racing mit dem Spielmacher-Genie Finn Russel auf der Zehn eher für die spektakulären Spielzüge und die Improvisation bekannt.
Ob sich die Franzosen auf den schnörkellosen aber effektiven Stil von Exeter einstellen können, wird spannend zu sehen sein. Aber auch Exeter kann im offenen Spiel mit viel Speed kontern - Außen Jack Nowell und Schluss Stuart Hogg dürften sich ein faszinierendes Duell mit Simon Zebo und Juan Imhoff liefern.
Rückblick 2016: Vor dem Top-14-Finale stoßen Racings Spieler mit einem Glas Champagner an, wohlgemerkt VOR dem Anpfiff
Mit wem man es am Ende als deutscher Rugby-Fan hält, ist auch eine Frage des Geschmacks. Der schwerreiche Pariser Klub Racing schickt sein Star-Ensemble bei großen Finalspielen gerne im Sakko und mit einem Glas Champagner aufs Feld - eine Tradition, die es ins moderne Rugby geschafft hat und im krassen Kontrast zum bodenständigen Exeter wirkt. Die Männer aus dem äußersten Südwesten kommen aus einer der wohl Rugby-verrücktesten Städte in England und haben sich mit vielen eigenen Talenten und mittlerweile auch ein paar eingekauften Stars aus den Niederungen der zweiten Liga bis ins Finale des Europacups hochgearbeitet.
In Deutschland ist das Spiel lediglich über die Webseite des Europapokal-Organisators EPCR zum Preis von 2,99€ im Pay per View zu sehen, da DAZN die Rechte am Champions Cup nicht mehr hat und bisher niemand anderes zugeschlagen hat. Das wird viele nicht daran hindern über Umwege das wichtigste Spiel im europäischen Klub-Rugby zu verfolgen.