Der Kampf um den Holzklotz und Anton Segners Chance: Neuseelands Provinz-Rugby nimmt Fahrt auf
Geschrieben von TotalRugby Team
Mittwoch, 30. September 2020
Taranaki mit den Barrett-Brüdern nach dem Gewinn des Ranfurly Shields.
Neuseelands Mitre-10-Cup geht übermorgen in seine dritte Woche. In diesem Wettbewerb spielten schon Ex-Wolfpack-Coach Chad Shepherd, oder die Manawatu-Brüder und bald könnte auch das deutsche Supertalent Anton Segner sein Debüt hier geben. Doch was genau ist der Cup und welche Rolle spielt er im neuseeländischen Rugby?
Provinz-Rugby klingt zunächst alles andere als sexy, das sah man auch in Neuseeland im Jahr 1995 so und beendete mit der Schaffung von Super Rugby 1996 eine großartige Ära. Mit dem Beginn des Profi-Zeitalters im Rugby und der ab dann fließenden Pay-TV-Millionen von Rupert Murdochs Sender Sky drängte man in der NZRU-Verbandszentrale von Wellington auf einen Neuanfang.
Dieser wurde mit dem brandneuen Super-Rugby-Wettbewerb gewagt, in dem fünf neugeschaffene neuseeländische Teams - die Blues, Chiefs, Hurricanes, Crusaders und Highlanders - mit Auswahl-Mannschaften der Tri-Nations-Rivalen Südafrika und Australien um die Südhemisphären-Krone kämpften.
Bis dahin war Neuseelands Provinz-Meisterschaft NPC (National Provincial Championship) die allerhöchste Spielklasse im Land der All Blacks - sie war 1976 als erster richtiger landesweiter und regelmäßiger Wettbewerb in Neuseeland überhaupt geschaffen worden und formte mehrere Generationen von All Blacks, unter anderem die Weltmeister von 1987. Seit Super Rugby spielt die NPC nur noch zweite Geige und verlor deshalb an Attraktivität.
Dabei war die NPC ein Meilenstein für die Entwicklung des neuseeländischen Rugbys. Davor waren die Teams aus den verschiedenen Landesteilen lediglich unregelmäßig aufeinander getroffen - unter anderem wegen der großen Distanzen zwischen den dünn besiedelten Regionen des 1973 gerade Mal drei Millionen Einwohner zählenden Landes.
Denn immerhin liegen zwischen dem nördlichsten Spielort Whangarei und Invercargill ganz im Süden ganze 1800 km Straße sowie eine dreistündige Fährfahrt über die Cook-Straße, welche Nord- und Südinsel trennt. Selbst heute braucht man noch minimum 30 Stunden mit dem Bus für diese Strecke.
Wenn neuseeländische Rugby-Nostalgiker also heute von der NPC reden, denken sie an die Glanzzeiten des Wettbewerbs, im dem sich in den 80ern und frühen 90ern Stars wie Jonah Lomu, Zinzan Brooke und Sean Fitzpatrick in ihren weiten Baumwoll-Trikots in den Farben ihrer Regionen vor vollen Rängen duellierten.
Das Duell Canterbury-Otago um den Ranfurly Shield 1994 - zu Glanzzeiten des Provinz-Wettbewerbs
Die 25 Rugby-Regionen Neuseelands in einem Wettbewerb, aufgeteilt in zwei Divisionen. Das Prinzip war einfach, jeder gegen jeden, keinerlei Playoffs, das Team mit der besten Bilanz gewinnt. Dabei handelte es sich, wie der Name schon verrät, nicht um Vereine. Diese duellieren sich noch heute jeweils nur innerhalb ihrer jeweiligen Provinz, ob Canterbury, Northland, oder Otago.
Erst nachdem die Klub-Saison abgeschlossen ist, spielten und spielen die besten Vereinsspieler einer Region für ihre Provinz. Das Prinzip gilt bis heute - auch wenn mit der Schaffung von Super Rugby, das parallel zur Klub-Saison läuft, sowie der Rugby Championship, die parallel zur NPC läuft, die All-Blacks-Asse im Regelfall weder für ihre Vereine, noch für ihre Provinzen auflaufen.
Die Provinz-Teams des Mitre 10 Cups
Premiership (1. Division)
Provinz
Spielort
Stadion
Bisherige Titel
Auckland
Auckland
Eden Park
17
Bay of Plenty
Rotarua
Rotarua International Stadium
1
Canterbury
Christchurch
Orangetheory Stadium
13
North Harbour
Auckland
North Harbour Stadium
0
Tasman
Nelson
Trafalgar Park
1
Waikato
Hamilton
FMG Stadium
2
Wellington
Wellington
Sky Stadium
4
Championship (2. Division)
Provinz
Spielort
Stadion
Bisherige Titel
Counties Manukau
Pukekohe
Navigation Homes Stadium
1
Hawke's Bay
Napier
McLean Park
0
Manawatu
Palmerston North
Central Energy Trust Arena
1
Northland
Whangarei
Okara Park
1
Otago
Dunedin
Forsyth Barr Stadium
2
Southland
Invercargill
Rugby Park Stadium
0
Taranaki
New Plymouth
TET Stadium
1
Die Spiele des Mitre 10 Cups gibt es im Streaming-Angebot von Rugbypass.com, das in Deutschland für 9,95$ erhältlich ist.
Der Holzklotz als ultimativer Preis
Auch wenn die NPC - aus Sponsoring-Gründen Air New Zealand Cup, dann ITM Cup und mittlerweile Mitre 10 Cup genannt - nicht mehr die größte Show im neuseeländischen Rugby ist, blieb in Neuseeland doch die Faszination des Ranfurly Shields erhalten - eine Trophäe, die heutzutage quasi als Teil der NPC vergeben wird.
Die umgangssprachlich „Log o’ Wood“ (Holzklotz) genannte schildförmige Trophäe aus Holz, dekoriert mit Silber-Ornamenten, wird seit 1904 unter den Provinz-Teams Neuseelands ausgespielt und ist damit älter als das Land selbst. Sie wurde damals vom Earl of Ranfurly, dem britischen Gouverneur der Kronkolonie Neuseeland gestiftet.
Der Ranfurly Shield ist im modernen Sport eine einzigartige Trophäe. Es gibt keine festgelegte Daten und kein Endspiel, an dem man sich den Titel sichern kann. Es gilt das Prinzip, dass der Log o’ Wood verteidigt werden muss und zwar in jedem Heimspiel. Wo das nächste Spiel um den Shield abgehalten wird und wer teilnimmt, wird also immer erst im aktuellen Spiel ermittelt.
1904 wurde Auckland die Trophäe übergeben als damals vermeintlich beste Mannschaft - dem Team aus der größten Stadt des Landes gelang aber nicht Mal eine einzige Verteidigung, der Holzklotz wanderte nach dem allerersten Spiel um den Ranfurly Shield direkt in die Hände von Wellington.
Familie Barrett mit dem begehrten Holzklotz
Jedoch sollte Auckland seine Ehre retten und Wellington den Shield genau ein Jahr später wieder abnehmen - die Haupstädter hatten den Shield in der Zwischenzeit vier Mal verteidigt. Wieder in den Händen Aucklands folgten 23 erfolgreiche Verteidigungen am Stück, die erste richtige Shield-Ära, von der bis heute noch einige folgen sollten. Insgesamt wurden bisher über 600 Shield-Matches ausgetragen.
Meist hält eine der großen vier Provinzen - Canterbury, Auckland Waikato oder Wellington - den Shield. Doch gerade die kleineren Regionen verfallen regelmäßig in ein Shield Fever, wenn der Holzklotz Mal in ihren Besitz kommt. Otago, ganz im Süden Neuseelands gelegen, konnte 2013 nach einer 56-jährigen Durststrecke und unzähligen bitteren Pleiten in Shield-Matches den Klotz endlich wieder nach Dunedin holen. Der Mannschaft wurde bereits am Flughafen ein Helden-Empfang bereitet.
Es sollte nicht helfen, dem Team gelang nicht eine einzige Verteidigung. Andere Teams haben aber bisher nicht ein einziges Mal ihre Hände am Log o’ Wood gehabt. Darunter auch die Tasman Mako, zu deren Kader Anton Segner seit letztem Monat zählt. Dabei sind die Mako nicht etwa sportlich zu schlecht - sie sind immerhin Titelverteidiger im Mitre-10-Cup, dessen Teil die Ranfurly-Shield-Matches sind.
Drei Siege in drei Spielen - die Tasman Mako sind auch in dieser Saison erfolgreich, wenn auch bisher ohne Anton Segner auf dem Rasen
Doch die Mako entstanden im Jahr 2006 als Fusion zweier kleinerer Unions und zählten erst seit den letzten sechs Jahren zu den absoluten Top-Teams. In der Zeit ergab sich für die Haie keine Möglichkeit die begehrte Trophäe ins idyllische Nelson zu bringen. Vielleicht könnte ja der Frankfurter Anton Segner einer der ersten Mako sein, die den Log o’ Wood in die Höhe stemmen.
NPC-Renaissance durch COVID
Fast wie in alten Zeiten liefen die ersten drei Runden des diesjährigen Mitre-10-Cups. Corona-bedingt findet die Rugby Championship erst im November statt - dementsprechend sah man die All-Blacks-Stars zum ersten Mal seit Jahren wieder in den Farben ihrer Provinz-Teams.
Zwei Mal Barrett für den Shield - Taranaki nimmt Canterbury den Ranfurly Shield ab
Gerade Taranaki mit den beiden Barrett-Brüdern profitierte enorm - Jordie und Beauden konnten vorletzte Woche gar in die Fußstapfen ihres Vaters Kevin treten, der 1996 den Ranfurly Shield gewann. Jedoch ist der Zauber auch fast so schnell wieder vorbei, wie er durch eine globale Pandemie unerwarteterweise begann. Mit dem in der nächsten Woche startenden Länderspielserie der All Blacks gegen Australien wurden die Nationalspieler Neuseelands von ihren Provinzteams abgezogen.
Auch wenn dies den Wettbewerb gewissermaßen entwertet, werden wieder einige jüngere Spieler Chancen zu bekommen sich im Mitre-10-Cup zu beweisen. Anton Segner könnte einer davon sein, sind doch gleich fünf Tasman-Spieler im All-Blacks-Kader, darunter mit Shannon Frizzell ein direkter Konkurrent um einen der Plätze in der dritten Sturmreihe. Es wäre der nächste Entwicklungsschritt für den Frankfurter im Land des dreimaligen Weltmeisters.