Alexander Widiker ist auch vier Jahre nach seinem Karriere-Ende jedem Rugby-Fan hierzulande ein Begriff. Der mittlerweile 38-jährige Rekordnationalspieler der schwarzen Adler war über Jahre hinweg das Gesicht der deutschen Nationalmannschaft und leitet heute den Bundesstützpunkts Heidelberg. Nur wenige kennen seinen persönlichen Weg, der ihn aus der Ferne der kasachischen Steppe bis zu einem Profi-Rugby-Vertrag in Frankreich führte. Rugby war dabei der Schlüssel zu Widikers Integration in der neuen Heimat, so die Einschätzung des Mannes, den in Heidelberg alle nur Snakko rufen.
Sollte jemand auf die verwegene Idee kommen, sich aus Heidelberg in sein Auto zu setzen und nach Osten in Richtung Widikers Geburtsort aufzubrechen, käme er oder sie nach einer Woche Dauerfahrt in Kostanay an. Vier Grenzen, vier Zeitzonen und 4.500 km würde man an einem Ort ankommen, der wenig mit der malerischen Neckarstadt zu tun hat.
In der nordkasachischen Steppe ist es im Sommer drückend heiß, Temperaturen um die 40 Grad sind keine Seltenheit - genausowenig wie Minus-Temperaturen um die 30 Grad unter dem Gefrierpunkt im Winter. „Wir haben uns als Kinder immer gewundert, warum hier in Heidelberg kein Schnee liegt und warum der Sommer nicht so heiß ist“, so Alexander Widiker heute rückblickend.
Der DRV-XV-Rekordnationalspieler ist den entgegengesetzten Weg von Kostanay nach Heidelberg gegangen und war mit elf Jahren, als sogenannter Russlanddeutscher, in der Bundesrepublik angekommen - damals noch, ohne auch nur ein einziges Wort Deutsch zu sprechen. Widiker ist stolz über seine Herkunft, erläutert zugleich auch, welch schwieriger Weg es für ihn und seine Familie war.
Die Sprache als anfängliches Hindernis
Waren Widikers Eltern als Wolgadeutsche noch auf deutsch erzogen worden, so hatte Widiker selbst in den ersten Lebensahren in der Sowjetunion nur russisch gelernt. Auch um dem deutschen Stigma zu entgehen, das Generationen seiner Vorfahren weit weg von Deutschland widerfahren war.
Für den jungen Teenager Anfang der 90er-Jahre, der später einmal Deutschlands profiliertester Rugby-Nationalspieler werden sollte, waren es schwierige erste Jahre in einem für ihn fremden Land. Heute sieht Widiker seinen Weg im Rugbysport als den Schlüssel hin zur Integration in Deutschland.
Dabei waren selbst die ersten Einheiten bei seinem Stammklub SC Neuenheim alles andere als einfach, wie der heute 38-jährige gegenüber TR erläutert: „Ich habe ja damals nicht verstanden, was überhaupt auf dem dem Platz gerufen wurde - es war anfangs schwierig damit umzugehen.“
Rugby als entscheidender Schritt zur Integration
RBW-Veteran Marko Protega hatte an Widikers Schule Rugby angeboten - im Nachhinein ein Glücksfall für Widiker und noch viel mehr für den SCN und das deutsche Rugby insgesamt. Auch wenn es einiger Tritte in den Allerwertesten von der eigenen Mutter bedurfte, um ihn im Training zu halten, wie Widiker heute mit einem Lachen einräumt, war es der entscheidenden Schritt für den jungen Russland-Deutschen.
„Du kannst dich über den Sport oder die Bildung integrieren - bei mir war es der Sport.“ Widiker war mit elf Jahren aus Kostanay per Flugzeug nach Hannover und über das Zwischenlager Bramsche schlussendlich nach Heidelberg gekommen. Eigentlich sollte die Familie behördlich gefördert nach Sachsen gehen, aber durch Verwandte landete man schließlich in Heidelberg.
Rugby und der Sportclub Neuenheim sollten ihm helfen nicht nur physisch, sondern auch persönlich in Heidelberg anzukommen. „Der SCN hat mir unglaublich viel geholfen. Es war nicht einfach für die Trainer und meine Mitspieler damals - die anderen Jungs haben mich im ersten Jahr ja gar nicht verstanden. Als ich dann mit der Zeit Deutsch gelernt habe, bin ich irgendwann durchgestartet. Ich habe meinen Realschulabschluss und meinen Techniker gemacht und im Sport lief es auch immer besser.“
Widikers weiterer Weg im Rugby ist bekannt: Deutscher Meister mit dem SC Neuenheim, mehrere Jahre als Profi in Frankreich und insgesamt 65 Einsätze für die schwarzen Adler - mehr als jeder andere vor und nach ihm.
Widiker heutzutage im Dienste des DRV (rechts im Bild)
Den nächsten Widiker wird man nur über die Schulen finden
Auf die Frage, wo man denn den nächsten Snakko Widiker findet, ist sich der heutige Leiter des Bundesstützpunkts am Heidelberger OSP sicher: „Um die Kids zu erreichen musst du halt an die Schulen gehen - man muss penetrant sein und dran bleiben, um die Einwanderer abzuholen.“ Für viele Einwanderer-Kids sei der einfachste Weg in dem Kreis zu bleiben, den man kennt - mit den Jugendlichen Zeit zu verbringen, die die gleiche Sprache und Kultur haben.
„Ich habe Glück gehabt, diesen Weg gehen zu dürfen“, so Widiker resümierend. Heute arbeitet er daran, dass ihm viele weitere folgen werden. Eine mögliche Rugby-WM in Russland könnte für mehr Wahrnehmung des Sports in der russland-deutschen Community sorgen und zusätzliche Motivation sein, mit dem Rugby-Sport zu beginnen - so Widikers Einschätzung. Denn auch in dieser Community hat der ovale Ballsport noch viel Potenzial.
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