Rassismus und Rugby: Südafrikas komplizierte Geschichte
Geschrieben von TotalRugby Team
Dienstag, 16. Juni 2020
Errol Tobias war im 91. Jahr der Springbok-Geschichte der erste nicht-weiße Spieler.
Die Debatte um Rassismus dominiert seit über zwei Wochen den öffentlichen Diskurs in den USA, aber mehr und mehr auch in Deutschland. Wir bei TR wollen unseren Teil zu dieser Debatte beitragen und das Thema Rassismus und Rugby genauer beleuchten - in Deutschland wie international. Im ersten Teil unserer Reihe beschäftigen wir uns mit Südafrika und dessen lange wie ebenso komplizierte Geschichte in Sachen Rassismus und Rugby.
Südafrikas komplizierte Geschichte ist ebenso faszinierend, wie ein mahnendes Beispiel dafür, wie institutionalisierter Rassismus auf staatlicher Ebene den Sport beeinflusst. Die Mär vom unpolitischen Sport stellt sich spätestens als solche heraus, wenn man sich genauer mit dem Rugby in Südafrika beschäftigt.
Als Springbok-Kapitän Francois Pienaar 1995 im Johannesburger Ellis Park von Nelson Mandela, dem ersten frei gewählten Präsident des neuen Südafrika, die WM-Trophäe überreicht wurde, galt das im Land am Kap als Zeitpunkt der Versöhnung zwischen der jahrzehntelangen unterdrückten farbigen Minderheit und der bis dahin regierenden weißen Minderheit.
Doch mit dem WM-Triumph war die Aussöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen nicht etwa abgeschlossen, wie manch einer vermutete. Er war vielmehr ein allererster Schritt auf dem langen Weg der Versöhnung, auf dem der WM-Gewinn in Japan im letzten Jahr, als die Boks unter dem allerersten schwarzen Kapitän Siya Kolisi den Webb Ellis Cup zum dritten Mal gewannen, ein weiterer wichtiger Meilenstein war.
Siya Kolisi, Springbok-Kapitän, nach dem WM-Finale: Mehr als nur ein Rugbyspieler
Doch all dies kann die jahrzehntelange systematische Unterdrückung, die auch im Rugby ihren Ausdruck fand, nicht einfach vergessen machen. Die britische Kolonialzeit an der Südspitze Afrikas endete formal 1934, als Südafrika Souveränität erlangte und 1961, als als das Land zur Republik wurde und sich damit vollends vom Commonwealth lossagte.
Für den Großteil der Bevölkerung wurde die Situation mit der Unabhängigkeit von der britischen Krone aber nicht besser, im Gegenteil. Südafrikas regierende National Party formalisierte den sowieso schon im Land bestehenden latenten Rassismus im Gesetz und verabschiedete Ende der 1940er- und Anfang der 1950er-Jahre zahlreiche Bestimmungen, die von ihr als sogenannte Apartheid-Politik beschrieben wurden.
In der Darstellung der regierenden weißen Minderheit sollte Apartheid, wörtlich in etwa „getrenntes Dasein“, lediglich bedeuten, dass Rassentrennung herrscht, aber schlussendlich doch alle gleich seien. De facto wurde die schwarze Mehrheitsbevölkerung unterdrückt - demokratische Partizipation wurde ihr ebenso verwehrt, wie wirtschaftliche Möglichkeiten, oder vielfach gar die körperliche Unversehrtheit. Brutale Folter und gar Hinrichtungen von Regime-Gegnern waren an der Tagesordnung in Apartheid-Südafrika.
Dazu wurde Rassismus im Alltag systematisch von staatlicher Seite implementiert, mehr als nirgends sonst auf der Welt damals. Die Liste der Maßnahmen war lang: Zwangsumsiedlungen in Townships, Verbot von „Mischehen“, Verbote der Nutzung von zahlreichen öffentlichen Einrichtungen für Farbige, wie Strände, oder Nahverkehr, gar das Verbot der Betretung der Innenstadt Johannesburgs, sofern nicht ein entsprechender Passierschein vorlag - um nur einige Beispiele zu nennen.
Die Rolle des Rugbysports im südafrikanischen System der Apartheid
Der Rugbysport passte sich in Südafrika nicht nur den gesetzlichen Gegebenheiten an, er ging sogar voran. Die Nationalmannschaft war von 1891 bis 1981 komplett weiß und galt unter der farbigen und schwarzen Bevölkerung Südafrikas lange als ein Symbol der verhassten weißen Unterdrücker.
Ein getrennter Verband - das South African Coloured Rugby Football Board - wurde eigens für nicht-weiße Südafrikaner gegründet. Rugby galt zwar vielen Farbigen und Schwarzen als Sport der Weißen - dennoch formierten sich schon Ende des 19. Jahrhunderts unter ihnen eigene Klubs.
Springboks-Captain Siya Kolisi begann seine Rugby-Karriere beispielsweise bei den African Bombers, ein 1954 in einem Township von Port Elizabeth gegründeter Rugby-Klub für Schwarze und Farbige. Noch bis Ende der 1970er-Jahre war es diesen Klubs gesetzlich verboten gegen weiße Klubs zu spielen.
No Maori no Tour - bereits 1960 wurde in Neuseeland gegen Südafrikas Rassentrennung demonstriert.
Doch bereits damals schlossen sich weiße Anti-Apartheid-Aktivisten diesen Klubs an, entgegen der Rassentrennungsregeln. Daniel „Cheeky“ Watson war einer von ihnen - er wurde 1976 als talentierter 22-jähriger Außendreiviertel zum Auswahltraining der Springboks eingeladen, lehnte aber dankend ab, um sich nicht den Regeln des Apartheid-Staates unterwerfen zu müssen.
Stattdessen spielte Watson fortan für den Spring Rose Rugby Football Club, einem Verein in einem anderen schwarzen Township von Port Elizabeth. Bis zum Ende der Apartheid wurde Watson von Südafrikas weißer Bevölkerung angefeindet, sein Haus wurde zweimal niedergebrannt, aber seitdem für seine Rolle in der Überwindung der Rassentrennung von Südafrikas Präsident Ramaposa ausgezeichnet.
Die Rolle der Rugby-Welt und die langsame Transformation
Andere Verbände passten sich den südafrikanischen Gesetzen an: 1928 tourten die All Blacks in Südafrika und der neuseeländische Verband nominierte in vorauseilendem Gehorsam keinerlei Maori-stämmige Spieler. Dies sollte sich bis zur All-Blacks-Tour 1970 nicht ändern, als erstmals nicht-weiße Neuseeländer in Südafrika aufliefen - damals deklarierte die südafrikanische Regierung die Maori-Spieler als „honorary whites“, also Ehrenweiße, um ihnen die schlimmsten Apartheid-Maßnahmen zu ersparen.
Schon damals formierte sich in Neuseeland Widerstand - „No Maoris, no tour“ war das Motto der Anfangs kleinen Protestbewegung. Die allerletzte Tour der Boks nach Neuseeland 1981 wurde schließlich zum Politikum - Tausende Neuseeländer demonstrierten gegen die Gäste und bewirkten fast eine Absage der Spiele. Doch Neuseelands Regierung unter Robert Muldoon bezog offiziell die Position man solle Sport und Politik nicht vermischen.
Der internationale Druck nahm zu und nach 1981 sollte nichts mehr so sein, wie zuvor. International wurden die Boks mehr und mehr geächtet und durften folgerichtig 1987 und 1991 nicht an den ersten beiden Rugby World Cups teilnehmen. Das zeigte auch in Südafrika Wirkung - bereits zur Zeit der Tour 1981, als in Südafrika noch Rassentrennung per Gesetz herrschte, war ein Mann namens Errol Tobias im Kader.
Die Apartheid war noch nicht abgeschafft, aber Errol Tobias punktete 1984 bereits im Boks-Trikot
Er spielte im Jahr 81 schlussendlich nicht gegen die All Blacks und ging dennoch in die Geschichte ein. Er wurde kurz darauf der erste nicht-weiße Springbok - er hatte zuvor jahrelang im Trikot der getrennten farbigen Nationalmannschaft, genannt „Proteas“, brilliert. Im Trikot der Boks sollte er trotz seines Ausnahmetalents nur auf sechs Einsätze kommen, auch weil der damalige Team-Manager sich gegen den als Fremdkörper wahrgenommenen Tobias wehrte.
Englands damaliger Trainer Dick Greenwood resümierte 1984 nach einem Spiel gegen Südafrikas farbige Auswahl, welches das Mutterland mit viel Mühe 23:21 gewann: „Errol Tobias ist nicht farbig, er ist pures Gold!“ Tobias hatte 17 der 21 Punkte erzielt und brachte es dennoch nur auf sechs Einsätze für Südafrikas Springboks. Zahlreiche Apartheid-Gegner sahen ihn als Feigenblatt, als jemand der dem Apartheid-Regime ein anderes Gesicht gebe und dennoch war er schlussendlich ein Wegbereiter.
Denn Südafrikas Nationalteam reflektiert knapp vierzig Jahre später mehr denn je das Land, das es repräsentiert. Errol Tobias Neffe Chester Williams, der insgesamt erst dritte nicht-weiße in Bok-Farben, war 1995 beim WM-Triumph noch der einzige schwarze Spieler im Team. 2019 lief erstmals eine Bok-Mannschaft auf, die zu mehr als der Hälfte farbig oder schwarz war. Siya Kolisi ist der erste schwarze Kapitän der Boks und auch im WM-Finale waren sieben von 15 Startern schwarz oder farbig.
Niemand käme jedoch allen Ernstes auf die Idee, dass Rassismus heutzutage in Südafrika überwunden sei, trotz aller Fortschritte. England-Prop Ellis Genge äußerste erst vor wenigen Wochen, dass er, sowie einige weitere England-Spieler, auf der Tour nach Südafrika von dortigen Fans rassistisch beleidigt werden seien. Selbst Coach Eddie Jones sei nach einem Spiel angegangen worden. Südafrikas langer Weg aus der Apartheid ist bei weitem noch nicht absolviert.
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Schöner Artikel zu einem wichtigen Thema, wie gerade im letzten Abschnitt deutlich wird: Das Problem ist auch heute trotz aller Fortschritte nicht überwunden. Leider sind euch bei der Recherche zwei Fehler unterlaufen: Siya Kolisi ist nicht der erste, sondern der zweite schwarze Captain der Springboks (der erste war Chiliboy Ralepelle) und Chester Williams R.I.P. war nicht der Neffe des ersten nicht-weißen Boks Errol Tobias, sondern des zweiten nicht-weißen (und ersten schwarzen) Boks Avril Williams. Nicht dass die Fehler für die Message des Artikels Bedeutung hätten, natürlich.
Juni 17, 2020
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