Die Neulinge: Deutschlands erfolgreichste Vereins-Neugründungen
Geschrieben von TotalRugby Team
Mittwoch, 27. Mai 2020
In den vergangenen Wochen haben uns ausführlich mit der DRV-Mitgliedererhebung auseinandergesetzt. Im vierten Teil unserer Analyse beschäftigen wir uns mit drei äußerst erfolgreichen Neulingen in der deutschen Rugby-Szene. Diese drei Vereine - einer in der Großstadt, einer im Umland und einer auf dem Land - haben dem DRV insgesamt rund 250 neue Mitglieder beschert. Wir haben uns mit den Verantwortlichen von allen drei Vereinen unterhalten.
ESV Freiman St George’s - Boomklub im Rugby-Bermudadreieck Münchens
Der ESV Freimann/St George’s aus dem Münchner Norden ist in vielerlei Hinsicht kein gewöhnlicher Klub. Wir von TR wurden auf den erst vor einigen Tagen durch einen Fehler in der offiziellen Mitgliedererhebung des DRV auf das dramatische Wachstum des erst im Herbst 2018 gegründeten Klubs aufmerksam. Mit genau 101 neuen Mitgliedern innerhalb eines Jahres ist der Neuling Deutschlands am schnellsten wachsender Klub - in absoluten Zahlen wie relativ gerechnet.
Der vom Deutsch-Iren Sebastian Saunders und vom Schotten Chris Edgar gegründete Klub lebt von seiner engen Verbindung mit der St. George’s International School, ist aber von der Schule organisatorisch unabhängig. Diese tritt lediglich als Sponsor auf und zahlreiche Schüler aus dem Umfeld trainieren beim Klub. Organisatorisch gesehen ist das Team eine Abteilung des Multisportvereins ESV Freimann, der auch den Heimplatz stellt.
„Viele halten uns immer für ein Schul-Team, dabei sind wir viel eher eine Mannschaft in der Tradition der britischen Alumni-Teams“, wie Edgar im Gespräch mit TR erklärt. Aktuell seien etwa ein Drittel der 145 registrierten Mitglieder St. George’s Schüler und zwei Drittel von außerhalb. Gerade durch die Verbindung zum ESV Freimann habe man neben den zahlreichen Expats aus dem St. George’s Umfeld auch viele deutsche Nachwuchs- und Herrenspieler gewinnen können.
Die beiden Vereinsgründer Saunders und Edgar im Interview nach dem Debütspiel des Klubs
Dabei dürfte kein Verein im Bundesgebiet mit einer derartigen Konkurrenzsituation konfrontiert sein. Die Heimat des nicht Mal zwei Jahre alten Vereins ist eine Viertelstunde Fußweg von der Heimat des Zweitligisten StuSta München entfernt, der selbst aktuell drei Herren-Teams und eine Frauen-Siebener-Mannschaft stellt. Der RC Unterföhring, der selbst zu den am schnellsten wachsenden Klubs der Bundesrepublik zählt, ist weniger als 5 km und keine 15 Minuten mit dem Auto entfernt.
Vereinsgründer Saunders, der als Lehrer an der St. George’s School arbeitet, war bis zur Gründung selbst beim RCU aktiv. „Wir können alle von diesem Wettbewerb untereinander nur profitieren“, so Saunders Einschätzung. Tatsächlich dauerte es nicht Mal ein Jahr nach der offiziellen Gründung, bis die Herren-Mannschaft am 14.9.2019 erstmals mit 22 Spielern in der Verbandsliga Bayern Süd auflief und im Debütspiel die Munich Monks mit 48:19 besiegte.
Mittelfristig soll sich das Herren-Team, das aktuell bereits einen Kader von 36 Spielern umfasst, zumindest in der Regionalliga etablieren. Dabei soll keine allzu große Abhängigkeit vom Nachwuchs der St. George’s School entstehen - man werde weiter im Umfeld des Klubs im Münchner Norden werben. Allein im Vereinsumfeld des ESV, der von Badminton bis Volleyball 18 Sportarten anbietet, habe man bereits zahlreiche Neulinge für den Sport begeistern können. Oftmals hätten gleich Eltern und Kinder mit dem Rugby angefangen, wie Edgar berichtet, der auch die erste Herrenmannschaft trainiert.
Lauf Dragons: Der fünfte Klub im Großraum Nürnberg
Von 0 auf 52 Mitglieder in nicht Mal einem einzigen Jahr, das ist die Erfolgsbilanz der Lauf Dragons, der neuen Rugby-Abteilung des TV Lauf. Die fränkische Stadt mit 26.000 Einwohnern hatte bis zum Jahr 2019 keinerlei Rugby-Historie zu verzeichnen. Um dem ovalen Leder nachzujagen, musste man sich gut 20 Minuten in die S-Bahn setzen, um ins benachbarte Nürnberg zu fahren. Letztes Jahr schickte sich Rugby-Bayern-Präsident Alexander Michl an, dies zu ändern.
Michl ist schon seit langem der Überzeugung, dass auf dem flachen Land noch viel Potenzial für Rugby besteht und hat so schon an mehreren Vereinsgründungen in Bayern mitgewirkt. Der Kontakt zum TV Lauf, dessen Abteilung die Dragons nun sind, sei der entscheidende Schritt gewesen. „Mit einem vernünftigen Konzept kann man bei interessierten Vereinen offene Türen einrennen“, wie Michl erläutert.
Zusammen mit einigen Mitstreitern aus Nürnberg und der Hilfe des „Get Into Rugby“ Programms habe sich vor allem die Kooperation mit dem lokalen Gymnasium ausgezahlt. Zahlreiche der über 1.000 Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums spielen mittlerweile aktiv im neugegründeten Verein. Vor allem die Frauen-Siebener-Mannschaft habe sich toll entwickelt und soll bald schon an Wettkämpfen teilnehmen, wie Michl gegenüber TR erklärt.
Das Herren-Spielen sollen demnächst in einer Spielgemeinschaft mit Bayreuths zweiter Mannschaft antreten. Eine Kooperation mit einem lokalen Fitness-Studio soll für weiteren Nachwuchs sorgen. Ohne Universität und Expats bedarf es einiger Kreativität, um die Zahl der Aktiven zu steigern. Das hat Michl verstanden, der ebenso betont, wie wichtige leidenschaftliche Klub-Gründer mit viel Zeit sind. Michls Vision: In einigen Jahren hofft der RBV-Vorsitzende Rugby-Klubs entlang des gesamten Mains, von Bayreuth bis Aschaffenburg, vorzufinden. Das Potenzial dazu bestehe zweifelsohne.
Im Januar lief erstmals ein Nachwuchsteam in den Farben der Lauf Dragons auf
Royal RFC Schaumburg: Rugby im familiären Umfeld auf der Schafsweide eines 700-Seelen-Dorfes
Trotz des wirklich sperrigen Namens FSG Pollhagen-Nordsehl/Lauenhagen machte der Klub aus dem Landkreis Schaumburg an der Grenze Niedersachsens zu Nordrhein-Westfalen einst überregional Schlagzeilen. Die innovative Form der Rasenpflege - der Verein ließ den Winter über Schafe auf dem Platz weiden - schaffte es unter anderem in zahlreiche Agrarpublikationen.
Genau dieser Platz ist seit zwei Jahren die Heimat des einzigen Rugbyteams der ländlich geprägten Region. Trotz der Nähe zum nur gut 50 km entfernten Hannover, war Rugby den wenigsten im Schaumburger Land, das den Namen durch die Burg Schaumburg trägt, ein Begriff. Genau das wollte der dort heimische Sven Maibaum ändern, wie er gegenüber TR heute erklärt. Maibaum war fünf Jahre lang für Hannover 78 aufgelaufen und hatte unter anderem als erst 19-jähriger 2015 dabei geholfen, bei einem Showturnier erstmals Rugby ins Schaumburger Land zu bringen.
Danach engagierte er sich jahrelang an den lokalen Schulen und nutzte seine Kontakte zu seinem ehemaligen Fußballklub Lauenhagen, der mittlerweile in der Fusion in einem neuen Klub mit dem bereits erwähnten sperrigen Namen aufgegangen war. In diesem wuchs nun eine Rugby-Gruppe und auf Vorschlag des Bürgermeisters der nur 787 Einwohner zählenden Gemeinde Nordsehl, nutzte die wachsende Gruppe den damals verwaisten Platzes, dessen Rasen einst die örtlichen Schafe für die Fußballer den Winter über kurz hielten.
Im Mai 2018 wurde mit der finanziellen Unterstützung des extra zu diesem Zweck initiierten Förderklubs die Rugby-Abteilung der FSG formell gegründet. In den zwei Jahren seitdem ist die Mitgliederzahl auf 54 gewachsen und mittlerweile wurde die Rugby-Abteilung als Royal RFC Schaumburg selbstständig. Die Ambitionen des noch immer sehr jungen Klubs sind hochgesteckt, wie Maibaum im Gespräch mit TR erklärt. Bis 2023 sollen 150 Kinder- und Jugendliche im Verein aktiv sein.
Dabei ist die Philosophie des RFC eine in Rugby-Deutschland relativ ungewöhnliche, wie Maibaum erläutert: „Unser Verein ist der Gegenentwurf zu anderen Vereinen, die erst den Erwachsenenbereich pushen und danach den Kinder- und Jugendbereich aufbauen. Wir haben einen familiären Klub, der von Jugendlichen für Jugendliche gegründet wurde und bei denen Damen sowie Herren gleichermaßen behandelt werden. Das mag einerseits daran liegen, dass die Teilnehmerzahlen beim Training sonst sehr niedrig sind, aber für uns funktioniert das gemeinsame Training sehr gut.“
Nicht viele neue Klubs können einen hauptamtlichen Sportdirektor vorweisen
Aus der intensiven Arbeit im Nachwuchsbereich werde sich zwangsläufig auch Erfolge bei den Senioren einstellen, ohne dass man dafür formell Ziele setzen müsse, so Maibaum weiter. Man konnte bereits eine FSJ-Leistende verpflichten und mit Alex Lidell einen hauptamtlichen Sportdirektor. Der ehemalige Pforzheim-Bundesligaspieler war 2018 für die schwarzen Adler gegen Russland aufgelaufen und soll nun die Nachwuchsarbeit des Vereins koordinieren.
Finanziert wird die Stelle des Sportdirektors mithilfe von Fördertöpfen und privaten Spenden. Mit der lokalen Sparkasse, einem Versicherungsbetrieb sowie einem Malerbetrieb wurde darüber hinaus in nur kurzer Zeit bereits mehrere Sponsoren gewonnen werden. Langfristig hofft Vereinsinitiator Maibaum, der mit seinen 25 Jahren wohl der jüngste Vereinsvorsitzende in Deutschland sein dürfte, nicht nur den Sport rund um die Schaumburg etablieren. Er wünscht sich auch mehr Konkurrenz in der Umgebung und eine nachhaltige Entwicklung, nachdem sich mehrere Teams in der Umgebung nach dem Abzug der British Army aufgelöst hatten.