Rugby ohne Gedränge, ist das überhaupt denkbar? Foto (c) Perlich
Das Welt-Rugby steht vor einer schwierigen Aufgabe - die sichere Rückkehr in den Spielbetrieb in einem Mannschaftssport zu organisieren, der wie keine andere Freiluftsportart körperliche Nähe erfordert. All dies während einer Pandemie, die zwar um den gesamten Globus Auswirkungen hat, aber bei der das Ausmaß der Folgen von Land zu Land ganz unterschiedlich ist. Überlegungen von World Rugbys Regelausschuss hinsichtlich der temporären Abschaffung von Gedränge und Paket haben nun für eine kontroverse Diskussion geführt.
Die Times of London sorgte am Wochenende mit einem Bericht für viel Aufsehen im ovalen Universum. World Rugby erwägt demnach, zumindest temporär den Verzicht auf Gedränge und Pakete zu ermöglichen. Einzelnen Mitgliedsverbänden werde diese Option eingeräumt, um jeweils gültigen strengeren Corona-Vorschriften nachzukommen.
Die Idee dahinter: Die Zeit während eines Rugbyspiels, in der Spieler sich in engstem Kontakt befinden, soll möglichst reduziert werden, um das Infektionsrisiko zu senken. Statt eines Gedränges würde demjenigen Team, das sonst den Einwurf in das Gedränge hätte, ein Freitritt zugesprochen. Pakete würden grundsätzlich untersagt und in Gassen dürfte nicht gegengesprungen werden.
Colin Grzanna, beim DRV als Cheftrainer Athletik und Medizin für die Corona-Maßnahmen zuständig, bestätigt heute gegenüber TR, dass es beim Weltverband derartige Überlegungen gebe und man darüber informiert worden sei.
Wer braucht dann eigentlich noch Props?
Denn eine der Konsequenzen der temporären Abschaffung von Gedränge und Paket wäre, dass vergleichsweise langsame Erste-Reihe-Stürmer spieltaktisch nicht mehr zwingend benötigt würden. Stattdessen dürften Coaches im Normalfall drei mobilere Spieler, etwa zwei Schluss/Außen und einen Flanker mehr einsetzen, um den Raum besser verteidigen zu können.
Um weiterhin Platz zum Angreifen zu haben, wäre eine parallele Reduktion der Spieler auf dem Feld sinnvoll, die Gerüchten zufolge auch diskutiert wird. Gleichwohl würde Rugby Union dann fast schon zu Rugby League mutieren - denn die League-Variante sieht 13 Spieler pro Team vor und hat Gedränge ohne Druck, sowie keinerlei Pakete und Gassen. Lediglich die offenen Gedränge würden die beiden Varianten dann noch unterscheiden. Kein Wunder, dass die Diskussion um die World-Rugby-Planspiele dementsprechend hitzig verläuft.
Mehrere Ex-Stars kritisierten die potenzielle Regel-Novelle. Darunter Munster- und Irland-Legende Allan Quinlan, der die Idee in einem irischen Podcast als „Müll“ abstempelte - der ehemalige Dritte-Reihe-Nationalstürmer sieht Paket und Gedränge als essenziell für den Rugbysport an: „Du kannst kein Rugby ohne Gedränge spielen“, so Quinlan wörtlich.
Unterschiedliche Corona-Lage, aber allerorts der Wille zur Rückkehr in den Spielbetrieb
So intensiv die nun lautwerdende Kritik, so verständlich sind die Gedankenspiele von World Rugby. Die beiden größten Probleme, mit denen der Weltverband konfrontiert ist: Allerorts sind die finanziellen Zwänge und die daraus resultierende Notwendigkeit bald wieder Spiele zu spielen und damit Einnahmen zu generieren groß - jedoch hat sich das Infektionsgeschehen in den verschiedenen Rugby-Hochburgen gänzlich anders entwickelt.
Während Neuseeland und Australien in ihrem Kampf gegen COVID-19 sehr erfolgreich waren und lediglich wenig bis gar keine Neuinfektionen mehr zu verzeichnen haben, stecken sich in Großbritannien aktuell noch immer 2.000 bis 3.000 Menschen täglich mit dem Virus an.
Dementsprechend schwer ist es, eine gleichlautende Lösung für alle Mitgliedsverbände zu finden. In Neuseeland wird dementsprechend schon in knapp drei Wochen unter normalen Umständen, allerdings zunächst ohne Publikum gespielt, während man in England wohl eher mit einer derartigen Lösung leben könnte. Eventuell wäre ein solches Konzept auch eine Möglichkeit in Deutschland unter vermeintlich sichereren Bedingungen wieder zu spielen.
Wie mit so vielen anderen Fragestellungen in dieser Corona-Pandemie bleibt aber auch hier die Frage: Inwiefern würde die Maßnahme das Infektionsrisiko tatsächlich senken? Denn auf gesicherte Daten und Analysen kann natürlich aktuell niemand verweisen, auch wenn augenscheinlich Gedränge und Paket zusammen mit dem Ruck wohl die größten Übertragungsherde sein dürften.
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