Frühestens in vier Monaten wird in der Bundesliga wieder um das ovale Leder gekämpft - die einzig richtige Entscheidung. Foto (c) Contin
Seit Samstag hat Rugby-Deutschland Gewissheit: Nach den Verbands- und Regionalligen, sowie den Fünfzehner- und Siebener-Wettbewerben der Frauen, wurde nun auch die Saison der beiden Bundesligen der Männer abgebrochen (TR berichtete) - erstmals seit 1947 wird es damit keinen deutschen Meister geben und der Spielbetrieb soll, sofern es die Corona-Lage zulässt, am ersten Septemberwochenende mit der neuen Saison zurückkehren. All dies geschah ohne große Nebengeräusche und konsensbasiert - der Rugbysport hierzulande hat sich damit nicht zum ersten Mal in der Corona-Krise verantwortungsbewusst gezeigt und die einzig richtige Entscheidung getroffen.
Die handelnden Personen, allen voran der DRV-Cheftrainer Athletik und Medizin Colin Grzanna, haben von Anfang an umsichtig gehandelt. Schon Anfang März wurde der Spiel-und Trainingsbetrieb landesweit unterbrochen, da wurde in der Fußball-Champions-League in Leipzig noch vor über 40.000 Zuschauern gespielt. Auf der DRV-Webseite wurden regelmäßig Updates über den Stand der Lage durch den studierten Mediziner Grzanna gegeben, der einst selbst Nationalspieler war.
Als allererster olympischer Mannschaftssport stellte das deutsche Rugby in Abstimmung mit Wissenschaftlern, dem DOSB, sowie World Rugby einen klar strukturierten Übergangs-Fahrplan für eine mögliche Wiederaufnahme des Trainings- und Spielbetriebs auf. Am Wochenende folgte nun die Entscheidung des Bundesligaausschusses, der der Empfehlung der überwiegenden Mehrheit der 44 Erst- und Zweitligisten folgte und einen Schlussstrich unter die laufende Saison setzte.
Eine historische Entscheidung, erstmals seit den kriegsbedingten Absagen in den 1940er-Jahren wird es keinen deutschen Meister geben - dennoch geschah all dies ohne jegliche Nebengeräusche und irgendwelche Versuche voreilig wieder mit dem Spielbetrieb anzufangen, um die Saison noch irgendwie zu retten.
Die Gesundheit der Spieler und deren Umfeld stand immer im Vordergrund
Bei allen Überlegungen stand für jeden ersichtlich das Wohl der Spieler und deren Umfeld im Vordergrund. Zwar haben junge Sportler, die im aktiven Spielbetrieb Woche für Woche die Rugbyplätze der Republik bevölkern, im Regelfall einen deutlich milderen Verlauf, oder erleben zum Teil gar keine Symptome. Jedoch gibt es auch unter jungen fitten Menschen schwere COVID-19-Krankheitsverläufe.
Erst letzte Woche wurde der 23-jährige Fußballprofi Junior Sambia aus der französischen Ligue 1 aus dem Krankenhaus entlassen. Der Montpelier-Spieler war als erster Fußballprofi in Frankreich positiv auf COVID 19 getestet worden und musste intensivmedizinisch behandelt werden. Sambia schwebte in Lebensgefahr, musste in ein künstliches Koma versetzt und tagelang beatmet werden. Zudem gibt es zahlreiche Berichte von ehemaligen COVID-Patienten, deren Lungenfunktion nach der Genesung eingeschränkt ist.
Gerade deshalb erscheint es dermaßen verantwortungslos, dass der deutsche Profi-Fußball sich mit seiner Lobby-Macht quasi einen Freifahrtsschein von der Politik hat geben lassen, um den Spielbetrieb als erste Profiliga Europas wieder aufnehmen zu können. Obwohl die Kontaktbeschränkungen für die Bevölkerung grundsätzlich noch mindestens bis zum 5. Juni gelten, wird das runde Leder bereits am kommenden Wochenende wieder in den vermeintlich leeren Stadien der Bundesliga rollen. Bei den sogenannten „Geisterspielen“ der 36 Erst- und Zweitligaklubs werden jeweils dennoch mehr als 300 Menschen anwesend sein.
Wie absurd dies trotz eines 41-seitigen Hygienekonzepts der DFL ist, zeigt nicht zuletzt der Fall von Salomon Kalou. Der Hertha-BSC-Profi hatte letzte Woche mit einem Facebook-Livevideo einen Einblick hinter die Kulissen beim Hauptstadtklub geboten, der darlegte, wie wenig die propagierten Hygieneregeln in der Praxis bedeuten. Kein Wunder, dass vorgestern der gesamte Kader des Zweitligisten Dynamo Dresden nach dem zweiten und dritten Corona-Fall binnen kürzester Zeit auf Anweisung des Gesundheitsamtes in Quarantäne musste.
Neuseelands Rugby als Vorbild
Wie man es besser macht, sieht man in Neuseeland. Das knapp fünf Millionen Einwohner zählende Land Down Under hat seit Anfang Mai pro Tag lediglich null bis drei neue Coronafälle pro Tag gehabt - der Ausbruch gilt als unter Kontrolle gebracht. Dennoch gibt sich der dortige Rugby-Verband NZRU noch einen Monat Zeit, bis zum Start eines zehnwöchigen Wettbewerbs der fünf neuseeländischen Super-Rugby-Teams untereinander am 13. Juni.
Dies war auch möglich, da die Profispieler Neuseelands Gehaltskürzungen um die Hälfte akzeptierten und die ausbleibenden Einnahmen ein nicht dermaßen tiefes Loch in die Kassen der NZRU riss. Auch dies steht im scharfen Kontrast zur Lage hierzulande - im Skandalvideo aus der Hertha-BSC-Kabine war Berlin-Profi Vedad Ibisevic deutlich zu vernehmen, der die elfprozentige Kürzung seines um die 300.000 € betragenden Monatsgehaltes als skandalös empfand. Währenddessen verteilten die All-Blacks-Stars Beauden Barrett, Patrick Tuipulotu und Wyatt Crocket in Auckland und Christchurch in den letzten Wochen Essensrationen an bedürftige Familien.
Rugby hat sich in der Krise insgesamt als verantwortungsbewusst gezeigt. Natürlich bestehen hierzulande nicht die finanziellen Zwänge, wie im Millionengeschäft Fußball. Doch auch in Deutschland wünschen sich tausende Aktive nichts sehnlicher, als auf den Rugbyplatz zurückzukehren und dem ovalen Leder nachzujagen. Aktuell gibt es aber Wichtigeres, allen voran die Gesundheit.
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