Gewohntes Bild in der Bundesliga: Mahmoud Alrebdawi läuft der Konkurrenz davon. Foto (c) Kirschner
In der Rugby-Bundesliga ist Mahmoud Al Rebdawi mittlerweile ein vertrautes Gesicht. Der Außendreiviertel des Leipziger Rugby Clubs spielte bis zur Corona-bedingten Pause seine vierte Saison im Rugby-Oberhaus. Was den wenigstens Fans und Gegnern bewusst sein dürfte: Alrebdawi hat eine wahrhafte Odysee hinter sich und seine von den Wirren des Krieges verwüstete Heimat seit fast zehn Jahren nicht mehr gesehen.
Der gebürtige Syrer ist es gewohnt, vermeintlich zu hohe Hürden zu überwinden. In der Rugby-Bundesliga hat es der 1,69 m große Flügelflitzer mit fast ausnahmslos größeren Gegnern zu tun, dennoch zählt Al Rebdawi mit Speed, Durchsetzungsvermögen und nicht zuletzt eisernem Willen zu Leipzigs erfolgreichsten Versuche-Sammlern. Diese Herausforderung auf den Plätzen der Rugby-Republik wirken aber geradezu harmlos, im Vergleich zu dem, was der 29-jährige bereits durchgemacht hat.
Daran gewöhnt, auf vermeintlich übermächtige Gegner zu treffen: Al Rebdawi bei seinem ersten Bundesliga-Spiel in Hamburg
Bevor die Sachsen-Metropole Leipzig zu seiner „zweiten Heimat“ wurde musste Al Rebdawi eine jahrelange Odyssee absolvieren, auf der Rugby immer eine Rolle spielte. Die Liebe zum ovalen Ballsport fand der mittlerweile in Leipzig beheimatete Syrer in seiner Heimatstadt Damaskus. Dabei ist die Millionenmetropole im Levant alles andere als eine Rugby-Hochburg und auch in der Familie gibt es keine Rugby-Tradition - Al Rebdawi fand seinen Weg zum ovalen Leder über eine TV-Übertragung.
Springbok-Superstar Bryan Habana als Vorbild
„Ich habe damals ein WM-Spiel der Springboks gesehen und war von einem Versuch von Bryan Habana derart beeindruckt, dass ich es einmal selbst ausprobieren wollte“, so Al Rebdawi gegenüber TR. Der Weg zum Zenobians Rugby Club, Syriens ältestem, war dann kein weiter mehr. So begann die Rugby-Laufbahn des damals 17-jährigen kurz nach der WM in Frankreich, die die Springboks mit dem Titel beendeten. Doch keine drei Jahre später war für Al Rebdawi klar, dass er seine Heimat verlassen werden müsse.
Der arabische Frühling schwappte damals durch den nahen Osten und gerade in Syrien, wo der Assad-Clan seit 1971 in Person von Ex-Präsident Hafez und seinem seit dem Jahr 2000 regierenden Sohn Bashar Al-Assad an der Macht war, wuchs die Unzufriedenheit mit der Regierung zusehends. „Es lag schon länger in der Luft, aber mit den Protesten in Tunesien und Ägypten war es eine Frage der Zeit, es es eskalieren würde - die jungen Menschen in Syrien haben für ihre Freiheit demonstriert“, wie Al Rebdawi zurückblickend erklärt.
Die Machthaber in Damaskus um die Assad-Familie und die regierende Baath Partei tolerierten die Proteste aber nicht. Bashar Al-Assad, der nach offiziellen Angaben der Regierung 2007 mit 99,82% der Stimmen wiedergewählt wurde, ließ die Sicherheitsbehörden mit harter Hand durchgreifen. Gewaltsam aufgelöste Proteste, Verhaftungswellen, Folter und schließlich deshalb reihenweise desertierende Militärs - das Land begann zusehends im Chaos zu versinken. Al Rebdawi stand kurz vor seinem verpflichtenden Militärdienst und damit vor der Wahl: In Assads Armee zu dienen und höchstwahrscheinlich auf eigene Landsleute schießen zu müssen, oder das Land zu verlassen.
Vier Jahre ohne Heimat
Al Rebdawi entschied sich für Letzteres und wurde zu einem der laut UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR 5,6 Millionen Syrern, die aus dem mittlerweile knapp zehn Jahren im Bürgerkriegszustand befindlichen Land geflüchtet sind. Zunächst landete Al Rebdawi in Dubai, wo er aber nach nur anderthalb Jahren Probleme hatte seinen Aufenthaltstitel zu verlängern. Erst seit 2019 erkennen die Vereinigten Arabischen Emirate überhaupt Flüchtlinge aus Syrien an, zuvor hatte das Scheichtum seine Tore für Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland weitestgehend verschlossen gehalten.
Die nächste Anlaufstelle für Al Rebdawi war der Libanon - das Nachbarland Syriens zählte zu Beginn des Syrien-Konflikts lediglich fünf Millionen Einwohner, nahm aber über eine Million Syrer auf. Dementsprechend schwer gestaltete sich der Alltag, Al Rebdawi musste sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen, während Teile seiner Familie nur etwas mehr als hundert Kilometer entfernt jede Nacht von Artilleriefeuer wachgehalten wurden.
Al Rebdawi bei den Dubai 7s in den Farben seines Heimatklubs Zenobians
Die Flucht nach Europa
Da sich die Sicherheitslage im Libanon zusehends verschlechterte und die ökonomischen Perspektiven in Beirut nicht gegeben waren, wagte Al Rebdawi 2015 wie so viele andere Syrer den Sprung nach Europa. Er buchte einen Flug in die Türkei und fand sich wenige Tage später mit Tausenden anderen an der Ägäis-Küste wieder, den vermeintlich rettenden Hafen Griechenland im Blick.
Fünf Versuche benötigte Mahmoud Al Rebdawi, bis er erstmals Fuß auf europäischen Boden setzen konnte. Im allerersten Anlauf kenterte das kleine Schlauchboot, mit dem Al Rebdawi die Überfahrt wagte, weitere drei Mal wurden er und andere Flüchtlinge von den Grenzbehörden zurückgewiesen. Ein zwölftägiger Treck über die Balkanroute sollte folgen und obwohl sein Bruder bereits seit 2013 in Deutschland als Flüchtling anerkannt war, hieß das eigentlich Ziel zunächst das Vereinigte Königreich.
Aus praktischen Erwägungen, wie Al Rebdawi heute zurückblickend erklärt: „Ich konnte die Sprache bereits und habe mir ausgerechnet deshalb in England schnell Arbeit finden zu können.“ Doch dafür hätte er noch die Hürde Eurotunnel überwinden müssen und wäre aller Voraussicht nach im berüchtigten Flüchtlingscamp von Calais gelandet. Nach fast zwei kräftezehrenden Wochen und Berichten von anderen Syrern, die beim Versuch in Calais auf LKWs zu gelangen überrollt wurden, entschied sich Al Rebdawi in Deutschland zu bleiben.
Leipzig als sicherer Hafen
Die Stadt Leipzig, von Bekannten als ruhige Kleinstadt angepriesen, wurde schließlich zu dem sicheren Hafen, den Al Rebdawi seit 2011 suchte. Knappe fünf Jahre später ist sich der Syrer sicher, die richtige Wahl getroffen zu haben. Im mittlerweile dritten Jahr seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten, mit seiner deutschen Freundin zusammenlebend, mehr als nur passabel deutsch sprechend und als fester Teil der Leipziger Bundesliga-Mannschaft ist Al Rebdawi endlich angekommen.
Von Vorurteilen über Sachsen und deren vermeintlich ausländerfeindliche Haltung will er indes nichts wissen: „Ja, ich habe davon gehört, aber ich habe es hier seit 2015 anders erlebt - die Leute sind sehr freundlich und zuvorkommend, auch gegenüber Ausländern.“ Im Gegenteil, gerade mit dem Rugby-Club Leipzig hatte er direkt nach seiner Ankunft eine Anlaufstelle und Anschluss. Seine mittlerweile fortgeschrittenen Deutsch-Kenntnisse führt er mindestens ebensosehr auf das Klub-Leben, wie auf den Deutsch-Kurs zurück, den er 2016 absolviert hat.
RCL-Coach Andreas Kuntze beschreibt Al Rebdawi gegenüber TR als „wichtigen Bestandteil der Mannschaft“ und „Führungsspieler“. Sein Ehrgeiz im Training und auf dem Spielfeld, aber nicht zuletzt auch beim Spracherwerb habe ihm imponiert, so Kuntze gegenüber TR. Als Teil des Mannschaftsrates, zwischenzeitlicher Coach des Damen-Teams und Landestrainer der Sachsen-Auswahl der Frauen sei er gewissermaßen auch zum Gesicht des Vereins geworden.
Das Leben in Deutschland ist abgesehen von der für Al Rebdawi unangenehm empfundenen Bürokratie ein gutes. Selbst mit der deutschen Bierkultur und dem kalten Wetter hat sich Al Rebdawi angefreundet. „Zugegeben, oftmals singe ich nach den Spielen mit, ohne den Text genau zu kennen, aber man hört immer wieder Prost“, wie er lachend erzählt. Vom Winter in Sachsen hatte er sich mehr versprochen - „früher soll es hier Mal über einen Meter Schnee im Winter gegeben haben“.
Seine Zukunft sieht er in Deutschland und Leipzig, es sei denn, der Job erfordere es irgendwann umzuziehen. Seine eigentliche Heimat Syrien und damit große Teile seiner Familie wird Al Rebdawi auch künftig nicht besuchen können, selbst wenn der sich dem Ende zuneigende Bürgerkrieg vorbei sein sollte. Zumindest solange nicht, wie das Regime von Machthaber Bashar Al-Assad an der Macht bleibt.
Der Traum noch einmal für Syrien zu spielen
Aktuell bleiben ihm nur tägliche Gespräche auf Skype und die Familiengruppe auf WhatsApp. Der zunächst in Berlin lebende Bruder ist ihm mittlerweile nach Leipzig gefolgt. Und auch wenn die syrische Heimat aktuell weiter denn je entfernt scheint, bleibt Al Rebdawi zumindest ein Traum: Er will noch Mal für die syrische Rugby-Nationalmannschaft auflaufen. Es besteht auch bereits Kontakt, wie Al Rebdawi erklärt und natürlich kann er nur dann für sein Geburtsland auflaufen, wenn das Team im Ausland spielt.
Al Rebdawi sieht sich dafür aber gewappnet: In Dubai und dem Libanon spielte er jeweils in der dortigen Liga, doch die Bundesliga sei für ihn dennoch ein Sprung gewesen, wie er einräumt. „Es geht in Deutschland auf dem Platz physisch viel härter zur Sache, daran musste ich mich erst gewöhnen.“ Das syrische Team war letztes Jahr bei den Westasien-Meisterschaften in Indien aufgelaufen. Doch das ist Zukunftsmusik, gerade angesichts der Corona-Krise, wie er im Gespräch mit TR erklärt. Zunächst stünden andere Dinge im Vordergrund, wie seine Physiotherapie-Lehre, für die er direkt nach dem Gespräch mit TR eine Online-Vorlesung absolvieren muss.
Doch das ist zunächst ferne Zukunft, denn Al Rebdawi verabschiedet sich von TR, um einen Online-Kurs für seine Lehre zu machen.
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