Karriere mit der Trillerpfeife: Aus West-Berlin in die weite Welt des Rugby
Geschrieben von TotalRugby Team
Montag, 6. April 2020
Der Höhepunkt der etwas anderen Rugby-Karriere: Bernd Gabbei (2. v.l.) bei den olympischen Spielen in Rio.
Wohl kaum ein Deutscher hat im Welt-Rugby dermaßen viel erlebt - dennoch wird Bernd Gabbei nicht jedem Rugby-Anhänger hierzulande ein Begriff sein. Der Berliner hatte sich verletzungsbedingt früh auf die Karriere als Schiedsrichter fokussiert und dabei einige der größten Namen im Welt-Rugby gepfiffen. Wir haben die Corona-bedingt Spielpause genutzt, um uns ausführlich mit ihm zu unterhalten: Von den Anfängen seiner Karriere, über die Highlights, bis hin zur heutigen Situation im deutschen Rugby-Schiedsrichterwesen.
Die weltberühmte Copacabana ist bei guten Verkehrsverhältnissen lediglich eine halbe Autostunde von hier entfernt. Das Estádio do Deodoro am nordwestlichen Rande Rios hat dennoch nur wenig vom Glanz des weltberühmten Stadtstrands unter dem Zuckerhut und auch bei weitem nicht den Klang des Londoner Twickenham Stadiums - doch auch hier wurde vor nicht allzu langer Zeit Rugby-Geschichte geschrieben. Denn das temporär mit Stahlrohrtribünen errichtete Stadion war der Ort, an dem Rugby 2016 nach 92 langen Jahren seine langersehnte Rückkehr ins olympische Programm feierte.
Die deutsche Siebener-Nationalmannschaft hatte zwei Monate zuvor im Fürstentum Monaco beim Repechage-Turnier die Chance auf das Rio-Ticket in einem dramatischen Halbfinale gegen Samoa unglücklich verpasst. Dennoch war dein Deutscher mittendrin beim ovalen olympischen Comeback und zwar in entscheidender Rolle.
Bernd Gabbei ist Berliner Rugby-Veteran und hat wie sein Bruder Sven dazu beigetragen, dass der Name Gabbei im deutschen Rugby eine Hausnummer ist. Anders als Ex-Nationalspieler und TV-Kommentator Sven, ist Bernd eher als Unparteiischer und später als Funktionär bekannt geworden. In letzterer Rolle, war er auch als Manager der Unparteiischen in Rio tätig.
Die olympischen Spiele waren ohne Zweifel der absolute Höhepunkt einer Karriere im Rugby, die durch zwei Ereignisse einen für ovale Sport-Verhältnisse eher ungewöhnlichen Verlauf nehmen sollte. 1977 stand Gabbei mit gerade Mal 16 Jahren erstmals als Unparteiischer in West-Berlin auf dem Feld. Nur fünf Jahre später bedeutete eine schwere Knie-Verletzung, dass eine vielversprechende Spieler-Karriere mit Einsätzen in den U-Nationalmannschaften des DRV ein viel zu frühes Ende nehmen würde.
Das geteilte Berlin als ungewöhnliche Schiedsrichter-Schule
Für Gabbei war es aber der Auftakt in die zweite Rugby-Karriere, die ihn 34 Jahre später in offizieller Funktion zum weltgrößten Sportereignis brachte. Die Berliner Rugby-Szene war damals nicht zuletzt durch die politischen Umstände noch eine ganz andere - dominiert wurde das ovale Geschehen in der Exklave West-Berlin von den unzähligen Armee-Teams, die im Berlin des kalten Krieges stationiert waren. Darunter auch die Rugby-Teams der Armee-Eliteeinheiten, wie die Royal Welch Fusiliers, das schottische Black Watch Regiment, oder die Royal Air Force.
„Das spielerische Niveau war sehr sehr hoch, es gab 25 britische und nur fünf deutsche Mannschaften, alle haben in einer Liga und immer auf perfekt gepflegten Plätzen gespielt“, wie Gabbei dieser Tage im Gespräch mit TR erklärt. Diese Szene war eine herausfordernde Schule für den jungen deutschen Schiedsrichter, der Woche für Woche in den britischen Kasernen pfiff und sich wenig später auf Bundesliga-Plätzen der ganzen Republik wiederfand.
Der nächste Sprung auf das internationale Niveau erfolgte für damalige Verhältnisse relativ früh und bedingt durch einen Vorfall, der Gabbei viel Respekt von unabhängiger Seite einbringen sollte. Bei einem WM-Qualifikationsspiel 1993 in Berlin gegen Litauen, hatte es wie damals selbst auf internationalem Niveau üblich nur einen neutralen Unparteiischen gegeben, sowie jeweils einen Linienrichter von den beiden involvierten Verbänden.
Ein Foulspiel als unerwarteter Karriere-Turbo
Gabbei war der deutsche Linienrichter und schreckte vor den Augen eines IRB-Offiziellen (IRB war der damalige Name von World Rugby) nicht davor zurück, Spieler des „eigenen" Teams zu bestrafen. Klaus Himmer hatte sich, ohne dass der Hauptschiedsrichter dies gesehen hätte, im Ruck eine Unsportlichkeit erlaubt. Genau vor den Augen Gabbeis, der seine Fahne rausstreckte - der Vorfall wurde folglich mit der fälligen gelben Karte und dem Straftritt sanktioniert - soweit, so normal, könnte man meinen.
Gabbei im Spiel der Six Nations B Rumänien-Niederlande
Für den designierten Spielbeobachter auf der Tribüne jedoch war diese Szene durchaus bemerkenswert, gar einen Sonderbericht wert und sie sollte schließlich auch das Sprungbrett in der Schiedsrichter-Karriere Gabbeis werden. Noch im selben Jahr pfiff der Berliner sein erstes Länderspiel, Israel-Niederlande und wurde wenig später bei einem WM-Qualifikationssspiel der Waliser in Madrid als Assistent eingesetzt. Wales wurde damals angeführt vom legendären Kapitän Ieuan Evans, der heute einen Platz in der World Rugby Hall of Fame hat. Evans sollte nicht der einzige Superstar sein, den Gabbei in seiner aktiven Schiedsrichter-Karriere pfiff.
Unzählige Länderspiele als Unparteiischer sollten folgen. Darunter, so Gabbei selbst gegenüber TR, sei das größte Highlight der aktiven Schiedsrichter-Karriere die Siebener-WM 1997 in Hongkong gewesen. Mit Gabbei als Repräsentanten des DRV und als einziger Schiedsrichter, der nicht von einem der großen Verbände kam.
In einem Krimi von einem Endspiel im spektakulären Stadion von Hongkong, dass Fidschi mit 24-21 gewinnen sollte, standen mit Blitzboks-Kapitän Joost von der Westhuizen und Fidschis Waisele Serevi zwei absolute Superstars und spätere Hall-of-Famers auf dem Feld. Bernd Gabbei hatte an der Seitenlinie als Assistent den wohl besten Blick auf das legendäre Finale.
Das Finale der Siebener-WM als Karriere-Highlight
Eine dritte Karriere als Schiedsrichter-Manager
Nach dem Ende der aktiven Karriere als Schiedsrichter 2006, kam für Gabbei dann das unwiderstehliche Angebot, als Referee Development Manager beim Weltverband zu arbeiten. Aus einer geplanten Auszeit für die Dissertation wurde nichts - dafür konnte der Berliner zehn Jahre lang die Rugby-Welt aus einer ganz anderen Perspektive erleben.
Sein Aufgabenbereich war die Entwicklung der Unparteiischen der Länder aus der erweiterten Weltspitze, von Japan, über Fidschi bis Uruguay, sowie später die Entwicklung der weiblichen Referees, in der Sevens World Series und bei den Weltmeisterschaften 2010 und 2014. Diese kulminierte schließlich bei den Spielen in Rio.
Das sportliche Weltereignis war für Gabbei aus heutiger Sicht zunächst „das Abarbeiten von Routine“, oder schlicht „knallharte Tagesarbeit“. Jahrelange Vorbereitung auf sechs Tage in Rio, in denen die beiden olympischen Turniere im Deodoro-Stadion ausgetragen wurden. Lange Tage und Nächte und dennoch ein unvergessliches Erlebnis, an dessen Ende Fidschis Gold-Medaille stand - ein olympisches Märchen, das weit über Rugby-Kreise hinaus für Schlagzeilen sorgte.
Die Lage im deutschen Schiedsrichterwesen heute: Früher war nicht alles besser
Nach den olympischen Spielen ist Gabbei zurück in seinen alten Job beim Berliner Bildungssenat zurückgekehrt, den er schon vor der Karriere als Offizieller ausgeübt hatte. Für World Rugby ist er heute weitaus seltener in beratender Funktion tätig - mit Blick auf das Schiedsrichter-Wesen in Deutschland ist Gabbeis Urteil eindeutig: Auch früher sei nicht alles besser gewesen.
Ein ganzes unabhängiges Schiedsrichter-Gespann, wie es heute in der Bundesliga die Norm ist, hätte es in den 1990ern lediglich ab dem Halbfinale gegeben. Mittlerweile sei die Situation im Vergleich zu den 80ern und 90ern insofern besser, als dass sich heute mehr die Schiedsrichter-Rolle zutrauen. Jetzt gehe es darum diesen Nachwuchs-Unparteiischen den Weg in die Spitze zu ebnen. Für genau jene Nachwuchs-Schiedsrichter, die zuletzt in Deutschland mit dem Pfeifen angefangen haben, hat Gabbei eine Botschaft: „Praxis ist alles, Regeldetails kommen später, traut euch Entscheidungen zu!“