TR-Review Six Nations: Frankreich und Irland souverän, England gewinnt Regenschlacht
Geschrieben von TotalRugby Team
Montag, 10. Februar 2020
Der Moment, der den Calcutta Cup entschied: Englands Ellis Genge platziert das Leder auf der Linie.
Nach dem zweiten Wochenende der Guiness Six Nations sind nur noch zwei Teams im Wettbewerb ungeschlagen. Die gegen England grandiosen Franzosen lieferten gegen Italien ein sehr gutes Spiel ab und siegten mit Offensiv-Bonus, auch wenn les Bleus zeitweise Schwächen offenbarten. Irland holte sich einen überraschend klaren Heimsieg gegen Wales und England konnte die von Orkan Chiara durcheinandergewirbelte Partie im Calcutta Cup gewinnen und hegt nun wieder leise Titelhoffnungen.
Frankreich 35:22 Italien
Ein am Ende souveräner Sieg der XV de France, die sich mit dem erwarteten Sieg über die Azzurri die Tabellenspitze bei den Six Nations gesichert hat. Die Franzosen zeigten sich ähnlich druckvoll und spielfreudig, wie bereits gegen die Engländer, eine Woche zuvor an gleicher Stelle. Immer wenn die Franzosen ihr Angriffsspiel über mehrere schnellere Phasen aufziehen konnten, hatte Italien Probleme das Tempo mitzugehen und es klafften irgendwann große Lücken in der Defensiv-Linie der Gäste.
Frankreichs Spielmacher-Duo, bestehend aus dem quirligen Gedrängehalb Antoine Dupont und dem mit seinen 20 Jahren bereits unglaublich reifen Romain Ntamack, wusste diese Räume zu nutzen. Der erste Versuch von les Bleus resultierte aus einem tollen Bodenroller-Kick Ntamacks, den Außen Teddy Thomas dankbar zum ersten Versuch verwerten konnte.
Weitaus weniger spektakulär war Frankreichs zweiter Versuch, den Kapitän Charles Ollivon aus kurzer Distanz per Pick&Go legte. Der Dritte Reihe-Stürmer von Toulon war mit lediglich mit der Erfahrung aus elf Spielen für Frankreich in dieses Turnier gegangen, hat sich aber nicht nur als Anführer einer jungen Mannschaft etablieren können, sondern führt mit drei Versuchen aus zwei Spielen auch die Statistik der besten Tryscorer an.
Doch auch die Azzurri hatten ihre Momenten und konnten nach 80 Minuten erhobenen Hauptes vom Feld des Stade de France ziehen. Passenderweise war es Matteo Minozzi, der nach Vorarbeit von Verbinder Allan per Offload aus dem Tackle und Hayward nur noch an der Eckfahne ablegen musste. Im gesamten Spielverlauf war der nur 1,75 m große Italien-Außen ein Unruheherd und schaffte es immer wieder, mehrere Defensiv-Spieler auf sich zu ziehen und seine Mitspieler in Szene zu setzen.
Nach einem Allan-Straftritt zum 10:13 aus Azzurri-Sicht schienen die Gäste gar kurzzeitig wahrhaftig im Spiel zu sein. Doch dieser Eindruck hielt nicht sonderlich lange, zu viele Chancen gingen den Italiener verloren, da sie den Ballbesitz einfach nicht lange genug halten konnten. Frankreichs Druck in der Defensive, mit einer schnell aufrückenden Linie, aber auch in den offenen Gedrängen, sorgte immer wieder für Ballverluste der Italiener.
Noch vor der Pause dann aber ein vorentscheidender Schlag: Nach zahllosen Sturmphasen der Franzosen in Italiens 22, die die Azzurri zunächst gut verteidigten dann der Geniestreich von Antoine Dupont - der Wirbelwind auf der Gedrängehalb-Position bediente Achter Aldritt mit einem gewagten Überpass, genau über die Köpfe zweier Italiener und in den Lauf Aldritts, der nur noch zum Versuch einlaufen musste.
Für Italien drohte das Spiel zum Desaster zu werden, als Frankreich nach 20 Minuten, in denen sich beide Teams neutralisierten, den so wichtigen Bonuspunkt holte. Ein kraftvolles Frankreich-Paket band den gesamten italienischen Sturm und als der Ball von Dupont schnell an Ntamack ging konnte dieser mit einer harten Linie an der 22 durch die Defensiv-Linie spritzen und neben den Stangen zum 28:10 ablegen. So genial Ntamack aber mit dem Ball unter dem Arm war, so wenig überzeugend war seine Kickleistung mit nur drei von sieben getroffenen Versuchen.
So konnte Italien noch Mal durch Prop Federico Zani auf 17:28 herankommen. Der kleingewachsene Zani konnte, nachdem sich der formidabel kämpfende Azzurri-Sturm bis kurz vor die Stangen gearbeitet hatte, das ovale Leder an die Polsterung der Stangen ablegen. Frankreich jedoch konnte immer dann das Tempo anziehen, wenn es nötig war. Der von der Bank gekommene Neuner Serrin nutzte einen Straftritt im Mittelfeld, um für die endgültige Entscheidung zu sorgen: Erst kratzte der Blondschopf den Ball schnell an, umkurvte dann den ersten Verteidiger und kickte den Ball clever an Italiens Schluss Hayward vorbei um selbst abzulegen.
Daran sollte auch der Schlusspunkt der Italiener nichts ändern, so schön er auch herausgespielt war. Über mehrere Rückhand-Offloads von Licata und Hayward arbeiteten sich die Azzurri bis ins Malfeld vor, wo Mattia Bellini zum Endstand ablegen konnte. Italien hatte unter Beweis gestellt durchaus mitspielen zu können, ohne jedoch Frankreich jemals in richtige Gefahr gebracht zu haben. Denn am Ende hatte die XV de France immer noch eine bessere Antwort parat. Das könnte vielleicht in zwei Wochen anders aussehen, wenn die Azzurri daheim Schottland empfangen. Frankreich steht dann der schwierige Auswärtstrip nach Cardiff bevor.
Schottland 6:13 England
So spektakulär die letzten beiden Calcutta-Cup-Duelle auch gewesen sein mögen, dieses Spiel war nichts für Liebhaber des feinen Rugbys. Von Orkan Chiara und dem den Sturm begleitenden sintflutartigen Regen, war es ein von den schrecklichen Bedingungen geprägtes Duell. England wollte über die 80 Minuten keinerlei Risiko eingehen und kickte 47 Mal, fast so häufig wie die Gäste den Pass wählten (66 Mal). Schottland versuchte weitaus mehr mit dem Ball, trotz der extrem schwierigen Bedingungen und wurde am Ende dafür nicht belohnt. Obwohl man in fast allen Statistiken klar vorne lag: Ballbesitz, Zeit in der gegnerischen Hälfte, Durchbrüche, lediglich Schottlands Fehler in der Gasse und im offenen Spiel brachten das Team um seine Chancen.
Bis in die Schlussphase hieß es auf der Anzeigetafel des Murrayfields 3:3. Farrell hatte den Vizeweltmeister in Durchgang eins in Führung gebracht. Schottland hatte mehrmals mutig zur Gasse gekickt, war jedoch jeweils daran gescheitert den befreienden Versuch zu legen. Stattdessen war es England, gute zehn Minuten vor dem Ende, das mit einem seiner 47 Kicks Erfolg hatte. Verbinder Ford hatte einen Bodenroller gute 35 Meter vor dem Malfeld Richtung Stangen gesetzt. Schottlands Schluss Hogg folgte dem Leder, in der Hoffnung, dass der Ball auf dem glitschigen Untergrund bis ins Malfeld rollt, um ihn dann totzulegen. Doch Hogg verschätzte sich und konnte das Leder unter dem Druck des heranrauschenden Farrells nur noch gerade so mit dem Körper totlegen, Schottlands Kapitän verursachte dabei ein Fünf-Meter-Gedränge, das schlussendlich entscheidend sein sollte.
Dieses nutzte Englands Gedrängehalb Youngs, um den heranrauschenden Owen Farrell auf einer harten Crash-Linie zu bedienen. Farrell wurde zwei Meter vor dem Malfeld zu Boden gebracht und von da war es der eingewechselte Prop Ellis Genge, der mit einem kraftvollen Pick&Go mit dem Leder bis auf die Linie kam. Das 13:3 war zu diesem späten Zeitpunkt und den weiterhin grausigen Bedingungen schon die Vorentscheidung. Der späte Anschluss zum 6:13 durch Schottlands Verbinder Hastings machte da keinen Unterschied mehr. Die Schotten kostete dieser dunkle Abend nicht nur nach zwei Jahren den Calcutta Cup, sondern auch viele Sympathien. Vor dem Spiel hatte ein schottischer Fan eine Plastikflasche mit Bier auf das englische Team geworfen und einen Betreuer getroffen. Dazu wurde am Wochenende ein Interview mit dem ausgebooteten Superstar Finn Russel veröffentlicht, welches den Schluss nahelegt, dass Russel unter dem jetzigen Trainer Townsend nicht mehr für das Nationalteam auflaufen wird. England dagegen ist wieder im Titelrennen, auch wenn man auf einen Ausrutscher der Franzosen in Edinburgh, oder bereits in zwei Wochen Cardiff hoffen muss, um eine Chance auf die Six-Nations-Krone zu haben.
Irland 24:14 Wales
Nach dem Auftaktwochenende der Six Nations ging Wales leicht favorisiert in dieses Duell. Immerhin hatten die Waliser gegen Italien offensiv weitaus mehr gezeigt, als die Iren gegen die Schotten. Tatsächlich versuchte es Wales mit dem vielgepriesenen Offload-Spiel des neuen Coaches Wayne Pivac - insgesamt 13 Offloads, mehr als doppelt so viele wie die Iren und tatsächlich machte Wales damit immer wieder Meter und erzielte einen tollen ersten Versuch. Gleichwohl verlor der Gast aber den Kampf im Sturm, wo Irland die Kollisionen dominierten und sich die Hoheit über die Rucks sicherte. Die Folge: 13 Turnover, besonders CJ Stander tat sich im Kampf um den Ball hervor und auch deshalb war das ovale Leder viel zu selten in walisischen Händen.
Wales verteidigte darüber hinaus insgesamt schwach. Elf Durchbrüche für die Iren waren einfach zu viel - gerade der noch zum Auftakt viel gepriesene Innen Nick Tompkins wurde beim ersten Versuch von Joran Larmour vorgeführt und offenbarte auf internationalem Niveau weitere Schwächen. Der zweite Versuch der Iren, durch den Kraftprotz Tadgh Furlong, sowie der dritte durch Van der Flier über ein Paket beruhten einzig und allein auf der Sturm-Power der Iren. Dass es die Iren auch über ihre schnellen Außen schaffen können, bewies der dritte Versuch durch den Musnter-Winger Andrew Conway, der nach etlichen Sturmphasen von einer schnellen Seitenverlagerung profitiere. Der Bonuspunkt war in Irlands Händen und daran sollte auch die späte Ergebniskosmetik der Waliser über Flanker Justin Tipuric nichts ändern.
Irlands Evolution schlägt Wales Revolution, könnte man meinen. Der neue Trainer der Iren, Andy Farrell, hatte viel Kritik einstecken müssen, da er Sexton und Murray im Amt ließ und am konservativen Spielstil festhielt. Doch zumindest vorerst stellt sich sein Ansatz als der bessere heraus. Wales wird gegen Frankreich daheim die Chance haben, wieder ins Titelrennen einzusteigen, während die Iren in London antreten müssen. Kein einfacher Gang für das Team von Andy Farrell und den Coach selbst, ist doch sein Sohn Kapitän der Engländer. Doch auch hier winkt eine Vorentscheidung im Titelkampf.