Südafrikas Eben Etzebeth und Englands Maro Itoje liefern sich ein Duell in der Luft: Bekommen wir dies bald bei den Six Nations zu sehen? Foto (c) Perlich
Bahnt sich da etwa eine Sensation an? Laut einem Bericht der Daily Mail könnten die Springboks nach der kommenden WM im Jahr 2023 in Frankreich Teil eines erweiterten Six-Nations-Turniers werden und zwar nicht auf Kosten Italiens, sondern als Erweiterungsteam. Kommerziell sicherlich eine riesige Chance, aber gerade für die Georgier, die seit Jahren auf eine Aufnahme in Europas Eliteklasse hoffen, ein Schlag ins Gesicht.
In der langen und bewegten Geschichte des Turniers wäre es wohl mit Abstand die größte Veränderung. Einst wurde das Turnier 1883 als Home Nations Championship aus der Taufe gehoben - dem Turnier der damals vier Nationen, die das Vereinigte Königreich bildeten. 1910 wurde das Turnier dann mit Frankreich auf fünf Teilnehmer erweitert und als Italien dann im Jahr 2000 dazukam, erreichte man die jetzige Teilnehmerzahl und den Namen Six Nations. Eine Erweiterung wäre also nicht ohne Präzedenzfall, jedoch erschien jede bisherige Erweiterung aus sportlicher und geographischer Sicht sinnvoll - im Fall Springboks erscheint dies zumindest diskutabel.
Beide Parteien befinden sich seit Wochen in Verhandlungen
Der Bericht der Sportsmail, die beispielsweise auch den Saracens-Gehaltsskandal aufgedeckt hatte, beruft sich auf Insider-Quellen. Demnach befinden sich beide Parteien bereits seit Wochen in mittlerweile fortgeschrittenen Verhandlungen. Ein Seven-Nations-Turnier mit dem dreimaligen Weltmeister dürfte kommerziell definitiv Sinn machen. Da sich die Six-Nations-Limited aktuell in Verhandlungen mit dem Risiko-Kapitalgeber CVC über eine hunderte Millionen schwere Finanzspritze befindet, nachdem CVC bereits Anteile an der Premiership und der Pro 14 erworben hat (TR berichtete), könnte die Motivation auf der Seite der Turnier-Macher auch sein, den Preis für diesen Deal in die Höhe zu treiben.
Denn die Verhandlungen stocken aktuell wohl deshalb, weil einige Teilnehmer-Verbände darauf bestehen, das Turnier im Free TV zu behalten. CVC dagegen habe ein starkes Interesse daran, das Turnier in Großbritannien hinter der Pay-TV-Schranke verschwinden zu lassen. Ein solcher Schritt würde den kommerziellen Wert signifikant steigern. Die Südafrikaner ins Boot zu holen, wäre eventuell eine Option die Six Nations attraktiver zu machen, ohne den Wettbewerb komplett im Pay TV verschwinden zu lassen, so die Spekulation der Mail.
Nicht nur würde das Turnier um ein Wochenende verlängert, man würde auch eine völlig neue Fan-Gruppe erschließen. Laut Zensus-Daten leben aktuell über eine halbe Millionen Menschen südafrikanischer Abstammung im Vereinigten Königreich. Wenn immer die Boks in Twickenham spielen, ist dies offensichtlich: Das Grün des Weltmeisters ist im gesamten Stadion verteilt, der distinktive Akzent Südafrikas ist allerorts hörbar. Wenn das Team vom Kap der guten Hoffnung nun öfter in Europa spielen würde, würde dies die Fans des Weltmeisters in der Nordhemisphäre, sowie 60 Millionen Südafrikaner daheim in ihren Bann ziehen.
Logistisch gesehen wäre die Teilnahme Südafrikas kein Problem, wie bereits die Teilnahme der Southern Kings und Cheetahs in der Pro 14 unter Beweis stellt. Die Flugzeit zwischen Johannesburg und Sydney, sowie von Johannesburg nach London ist fast exakt dieselbe. Ein unschätzbarer Vorteil bestünde darin, dass die Zeitverschiebung von Südafrika nach Paris nur eine, nach London und Dublin nur zwei Stunden im Winter beträgt, während sie nach Sydney neun und nach Auckland elf Stunden beträgt. Einzig die klimatische Umstellung wäre ein Faktor, da sich Südafrika während des Turniers im Spätsommer befindet, in dem Temperaturen weit über 30 Grad keine Seltenheit sind.
Die Rugby Championship wiederum, deren Teilnehmerland Südafrika seit der Gründung 1996 als Tri Nations ist, würde den größten TV-Markt und damit auch TV-Gelder vom südafrikanischen Anbieter Supersport verlieren. Aktuell sind die Übertragungen aus Südafrika jedoch für Neuseeländer und Australier lediglich in den frühen Morgenstunden zu sehen, wenig attraktiv aus Sicht der Programm-Macher. Zudem sieht man die Boks mit ihrem sturmlastigen Spiel eher als Vertreter der konservativen Rugby-Philosophie Europas.
Japan als Südafrika-Ersatz in der Rugby Championship?
Da aktuell Japans Brave Blossoms vehement an die Tür der Rugby Championship klopfen, dürfte man in Sydney und Auckland eventuell gar froh über die Möglichkeit sein, den WM-Gastgeber in die Rugby Championship aufzunehmen, selbst wenn dies auf Kosten des Weltmeisters geschieht. Japan ist von Australien und Neuseeland aus schneller zu erreichen und von Down Under nur zwei Zeitzonen entfernt - das Land der aufgehenden Sonne wäre somit logistisch einfacher zu handhaben und als drittgrößte Wirtschaftsmacht der Erde, mit vielen neuen Rugby-Fans, sicherlich auch kommerziell attraktiver.
Sollte sich dieses Szenario wirklich bewahrheiten, würde man sowohl Down Under, als auch in Südafrika und im Six-Nations-Hauptquartier wohl von einer Win-Win-Situation sprechen. Lediglich die ambitionierten europäischen Nationen der zweiten Reihe, allen voran die Georgier, die seit Jahren auf eine Aufnahme in die Eliteklasse hoffen, dürften eine solche Rochade als Affront begreifen. Bisher hatte man den Lelos „nein Danke“ auf ihre Bitten entgegnet, die Six Nations seien eine geschlossene Gesellschaft. Die Lücke zwischen den etablierten Nationen und der zweiten Reihe würde so nur weiter wachsen.
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