TR-Vorschau Six Nations: Kann Wales in Irland bestehen und gelingt England die Rache in Edinburgh?
Geschrieben von TotalRugby Team
Donnerstag, 6. Februar 2020
Kann Schottland am Samstag-Abend daheim den Calcutta Cup verteidigen? Foto (c) Ripke
Der zweite Spieltag der Guiness Six Nations steht vor der Tür (alle Spiele live auf ProSieben Maxx). Angeschlagene Engländer müssen sich im Hexenkessel Murrayfield beweisen und den ersten Sieg über die Bravehearts seit drei Jahren holen, sonst steht es schlecht um die Titelchancen. In Dublin wird derweil ausgespielt, ob Wales oder die Iren mit Frankreich um den Platz an der Sonne konkurrieren. Denn ein Sieg der XV de France am Sonntag gegen Italien gilt als ausgemacht.
Die Tabelle
Rang
Land
Spiele
Punkte
Differenz
1.
Wales
1
5
+42
2.
Frankreich
1
4
+7
3.
Irland
1
4
+7
4.
England
1
1
-7
5.
Schottland
1
1
-7
6.
Italien
1
0
-42
Irland - Wales Samstag 8. Februar 15:15 Uhr, Aviva Stadium Dublin (Live bei ProSieben Maxx/DAZN)
Irlands zweites von drei Heimspielen in diesem Jahr könnte richtungsweisend werden. Der Arbeitssieg gegen Schottland ist abgehakt. Vor allem wird man die heroische Defensive, die den Schotten im Auftaktspiel über die gesamte Spielzeit einen Versuch verwehrte, auch in Runde zwei beibehalten. Dabei muss das irische Offensivspiel aber zwingend besser werden. Denn immerhin kommt Grand-Slam-Sieger Wales zu Gast an die Landsdowne Road.
Irland-Coach Andy Farrell, der im Turnierverlauf noch auf seinen Sohn Owen treffen wird, sieht das Selbstbewusstsein seiner Jungs auf einem vorläufigen Höchststand. Da stören auch die beiden namhaften Ausfälle nicht - Debütant Calean, Irlands Supertalent auf der Acht, hatte gegen Schottland innerhalb von nur 180 Sekunden mit einer Gehirnerschütterung vom Feld gemusst. Innen Ringrose hatte selbiges Schicksal zur Pause erwischt. Dass mit Peter O’Mahony und Robbie Henshaw nun zwei erfahrene Irland-Veteranen ins Team rücken, zeugt von der Tiefe im irischen Kader.
„Mit Wales wissen wir, was auf uns zukommt“, so Coach Farrell im Vorfeld der Partie. Man werde schlicht versuchen brutaler als die Waliser zu sein, die Kollisionen zu gewinnen und an den Kontaktpunkten zu dominieren, dann käme das kreative Spiel wie von alleine. Irland kann immerhin auf die bessere Bilanz bauen, seit 2012 waren die roten Drachen zuletzt siegreich von der grünen Insel gezogen. Die damaligen Helden aus walisischer Sicht: Jonathan Davies und George North, die mit ihren Versuchen für den wichtigen Auswärtssieg auf dem Weg zum Grand Slam sorgten.
Der letzte walisische Sieg in Dublin liegt mittlerweile acht Jahre zurück: Damals bereits entscheidend beteiligt war George North
Beide sind noch immer wichtige Schlüsselspieler der Waliser. Während Jonathan Davies aktuell aber verletzt ausfällt, rückt George North nach dem Experiment auf der 13 gegen Italien nun wieder auf seine angestammte Außen-Position und soll auch am Samstag für Wales die Kohlen aus dem Feuer holen. Denn sein Coach Wayne Pivac will anders als sein Gegenüber Farrell bei seinem Team für mehr Spielfreude und einen neuen Offensiv-Geist setzen. Schon am vergangenen Wochenende sah man die Waliser mit Offloads und mehr Risiko. Ob das im vorhergesagten Nieselregen von Dublin von Erfolg gekrönt sein wird, bleibt abzusehen.
Ein Neuling, den der Neuseeländer Pivac ins Wales-Team gebracht hat, ist Nick Tompkins. Der Saracens-Innen hatte jahrelang vergeblich auf einen Anruf von Eddie Jones gewartet. Doch Dank seiner walisischen Vorfahren hatte Tompkins eine Alternative und konnte sich gegen Italien bereits von der Bank beweisen. Ein Versuch und einige großartige Läufe waren Beweis dafür, dass Tompkins auch für Wales ein ganz wichtiger Spieler werden kann, nachdem er zuletzt jahrelang für die Saracens Leistungsträger war.
Für seinen Coach Pivac und seine offensive Spielphilosophie wird das Duell in Dublin die erste richtige Feuerprobe. Nach Siegen über die Barbarians im November und Italien letzten Samstag wird Wales in Dublin eine eisenharte Defensive überwinden müssen, die am Samstag zahlreiche schottische Angriffswellen in der 22 abgewehrt hatte.
TotalRugby-Prognose: Irische Brutalität versus walisische Spielfreude, wohl nur der Sieger darf sich realistische Chancen auf den Titel ausrechnen. Am vergangenen Wochenende hatten beide Spielmacher, Dan Biggar mit seinem Pass durch die Beine und Jonny Sexton mit seinem Versuch, ihre brillanten Momente. Es könnte wieder so ein Moment sein, der die Partie am Ende entscheidet. Denn beide Teams haben sich in den letzten Jahren immer wieder harte Duelle geliefert, bei dem meist der Gastgeber als Sieger vom Feld zog - 2016 gab es ein seltenes Unentschieden, selbst dies ist eine Möglichkeit. Wir von TR sehen die Gäste am Ende knapp vorne - mit der tollen WM im Rücken und als Titelverteidiger kann sich das Team von Wayne Pivac in Dublin mit +4 Punkten durchsetzen.
Schottland - England Samstag 8. Februar 17:45 Uhr, Murrayfield Edinburgh (Live bei ProSieben Maxx/DAZN)
Schottland geht in dieses Heimspiel gegen England mit einer für die Bravehearts ungewohnten Ausgangslage: Als Titelverteidiger des Calcutta Cup. Diese Trophäe, einst ausgegeben vom Calcutta RFC, bekommt der Sieger des ältesten Duells in der Geschichte des internationalen Rugbys. Der letzte Sieg in Twickenham, der die Schotten als Titelverteidiger daheim antreten ließ, datiert aus dem Jahr 1983. Damals war keiner der heute Aktiven überhaupt geboren.
Im letzten Jahr gelang es den Schotten in einem in vielerlei Hinsicht rekordverdächtigen Spiel den Calcutta Cup per Unentschieden zu verteidigen. Das 38-38 war eine vogelwilde Partie, in der die Schotten zwischenzeitlich mit 31 Zählern hinten lagen. Sechs Versuche in Twickenham sollten folgen und Schottland sah schon wie der sichere Sieger aus, bis England tief in der Nachspielzeit noch das 38:38 Unentschieden, das höchste in der Geschichte des internationalen Rugbys, herausholte.
Man könnte also meinen die Schotten gehen mit breiter Brust in das Duell gegen die Engländer, gegen die sie zuletzt vor drei Jahren verloren haben. Dem ist aber nicht so - Schottland hatte eine desolate WM hinter sich, mit einer haushohen Pleite gegen Irland sowie einer weiteren Niederlage im Gruppen-Entscheidungsspiel gegen Japan. Dazu fehlt den Schotten ihr allerbester, Spielmacher Finn Russell. Nicht etwa wegen einer Verletzung, sondern wegen eines nächtlichen Trinkgelages im Trainingscamp vor dem Irland-Spiel.
Im Vorjahr lieferten sich die alten Rivalen ein verrücktes Duell, das am Ende 38:38 ausging
Sein Ersatz Adam Hastings, Sohn des legendären Gavin, hatte seine Sache gegen Irland solide gemacht. Dennoch könnten die Schotten die Brillanz Russels gebrauchen, der schon 2018 am überragenden Sieg der Bravehearts gegen England daheim maßgeblich beteiligt war. Schottlands Trainer Townsend, der Medienberichten zufolge bereits zuvor große Differenzen mit Russel wegen taktischer Fragen gehabt haben soll, will sich aber gar nicht erst auf Nachfragen zur Causa Russel einlassen. Stattdessen betont er, dass das Spiel gegen England für Schottland das wichtigste des Jahres bleibe und man Englands physische Dominanz gleichsam beantworten müsse, um eine Chance zu haben.
Bei den Engländern hat sich der als besonders eigenwillig geltende Coach Eddie Jones wieder Mal von seinen Kritikern nicht beeindrucken lassen. Nach der Enttäuschung von Paris waren viele Experten und Beobachter nicht mit der Aufstellung von Flanker Tom Curry auf der Acht einverstanden. Nicht nur hatte Curry Probleme den Ball am Ende des Gedränges zu kontrollieren, auch wurde an seiner Statt mit Courtney Lawes ein gelernter Zweite-Reihe-Stürmer als Flanker eingesetzt. Dennoch bleibt Curry auf der Acht.
Anderswo hat Jones aber kräftig rotieren lassen, was sicher auch dem Umstand geschuldet ist, dass England nur sechs Tage Erholung zwischen zwei Auswärtsspielen hat. Gedrängehalb Ben Youngs, mit 96 Partien einer der erfahrensten Engländer, wird auf die Bank degradiert. Doch England mangelt es auf der Neuner-Position und so kommt mit dem 33-jährigen gebürtigen Neuseeländer Willie Heinz nicht gerade ein Mann für die Zukunft. Das wiederum erwartet man sich im Mutterland von Ben Earle, Dritte-Reihe-Stürmer und neu auf der Bank und von Flanker Lewis Ludlam, der nach einem guten Auftritt von der Bank gegen Frankreich nun auf die Sechs rückt.
Wie England das Spiel gegen Schottland angehen will, ist derweil klar: „Wir wollen immer wieder über die Vorteilslinie kommen und Schottlands weites Spiel unterbinden“, so Eddie Jones im Vorfeld gegenüber der Presse. Nachdem gegen Frankreich bemängelt wurde, dass in Eddie Jones Welt kein Plan B besteht, muss es wieder Plan A richten. Den Gegner physisch dominieren und dessen Spiel zerstören. Gegen Neuseeland im Halbfinale der WM hat dies eindrucksvoll funktioniert, aber nach zwei Spielen gegen Südafrika im Finale und nun gegen Frankreich, in denen Englands Ideenlosigkeit offensichtlich geworden ist, hätte man mit einer Änderung rechnen können.
TotalRugby-Prognose: Trotz der Niederlage in Paris hat England, zumal in Abwesenheit von Finn Russel, eigentlich die deutlich besseren Karten vor dem 138. Aufeinandertreffen dieser beiden alten Rivalen. Doch sollten Englands Leistungsträger noch Mal eine derart fahrige Leistung, wie in Paris abliefern, könnte Schottland durchaus den Titel verteidigen. Gerade Owen Farrell, der gegen Frankreich umcharakteristisch viele Bälle fallen ließ, muss zu seinem üblichen Niveau finden. Dann kann Englands Sturm und das starke Gedränge, angeführt vom neu ins Team gekommenen Prop Mako Vunipola, Schottland von Beginn an das Leben schwer machen. Sollte Englands Sturm das Spiel an sich reißen, dürfte es kein Augenschmaus werden, wie die letzten beiden Duelle, sondern eine klare Angelegenheit für England: Wir sehen den Vizeweltmeister mit +11 vorne.
Frankreich - Italien Sonntag 9. Februar 16:00 Uhr, Stade de France Paris (Live bei ProSieben Maxx/DAZN)
Die Aufgabe aus Sicht der Franzosen ist klar: Einen Heimsieg gegen die Italiener holen und zwar mit Bonuspunkt. Das würde Frankreichs Position im diesjährigen Titelrennen stärken, auch wenn für les Bleus auf dem Weg zum Titel noch zwei schwere Auswärtsspiele in Edinburgh und Cardiff anstehen. Bereits unter der Woche deutete Coach Fabian Galthié an, bei seiner Aufstellung keine großen Experimente wagen zu wollen. Das fällt dem Frankreich-Coach sicherlich auch deshalb einfach, da das Team nach dem Italien-Duell eine einwöchige Verschnaufpause erhält.
Nach der grandiosen Vorstellung gegen England fordert Galthié von seinen Schützlingen, dass diese an ebenjene Leistung aus „le Crunch“ anknüpfen, sich dabei offensiv aber noch steigern. Die französische Verteidigungsleistung erstickte auch dank des neuen Defensiv-Coaches Shaun Edwards das englische Angriffsspiel nahezu komplett, abgesehen von zwei individuell brillanten Momenten von Jonny May. Offensiv sieht der ehemalige Neuner Frankreichs aber noch Potenzial. Gerade auch da die Gasse und das Gedränge Frankreich immer wieder wertvolle Chancen kosteten.
Sollten die Standards besser funktionieren, bekäme Frankreichs geniales Spielmacher-Duo aus Gedrängehalb Antoine Dupont und Verbinder Roman Ntamack mehr Bälle, mit denen die beiden Toulouser arbeiten könnten. Gerade Dupont, gegen England defensiv wie offensiv absolute Weltklasse, dürfte gegen eine löchrige Italien-Defensive viel Raum finden zu zaubern. Wie der mit 23 Jahren noch blutjunge Neuner vor Frankreichs zweitem Versuch gegen England durch den Sturm des Vizeweltmeisters tanzte, um dann im richtigen Moment auf seinen Kapitän Ollivon zum Versuch abzulegen, dürfte eine Warnung für die Azzurri sein und ein Vorgeschmack darauf, was man noch von Dupont erwarten kann.
Auch wenn das letzte Six-Nations-Duell beider Teams in Rom mit 25:14 alles andere als französischer Kantersieg war, rechnet doch niemand ersthaft mit einem Sieg der Azzurri. Es wäre der erst vierte im 43. Spiel beider Kontrahenten überhaupt und der allererste im Stade de France. Für die Italiener geht es in erster Linie das Gesicht zu wahren, nicht wie gegen Wales noch Mal ohne eigene Punkte zu verlieren und dann alle Kräfte mit Blick auf die dritte Spielrunde zu bündeln. Dann nämlich geht es für die Azzurri daheim gegen Schottland - die wohl beste Chance in diesem Jahr überhaupt einen Sieg einzufahren.
Der letzte Sieg eines italienischen Teams im Turnier liegt mittlerweile fünf Jahre zurück, damals konnte Italien in Edinburgh gegen Schottland für eine Sensation sorgen. Aus dem damaligen Team sind nur noch Luca Morisi und Tommaso Allan übrig, der restliche Kader ist Six-Nations-Siege im Blau Italiens schlicht nicht gewöhnt. Neu-Trainer Franco Smith, der bisher nur auf Interimsbasis beschäftigt ist, hat keine leichte Aufgabe vor der Brust. Er hat einen Kader, dem es auf einigen Positionen schlicht an der nötigen Klasse fehlt und ein Team, für das Niederlagen zur Norm geworden sind. Die einzige Hoffnung aus italienischer Sicht:Der Nachwuchs schlägt sich aktuell besser - die U-20 hat letztes Wochenende den walisischen Nachwuchs geschlagen und damit ein Ausrufezeichen gesetzt.
TotalRugby-Prognose: Wie schon gegen Wales, werden die Italiener auch in Paris chancenlos sein. Die Frage lautet lediglich: Wird Frankreich genauso bis in die Haarspitzen motiviert wie gegen England antreten, oder stellt sich wieder die alte Lethargie der XV de France ein. Mit der neuen Spielergeneration um Ntamack, Dupont und Neu-Kapitän Ollivon scheint dies fast ausgeschlossen. Wir von TR rechnen mit einem klaren Frankreich-Sieg mit +25 Zählern.