Die Deutsche U19 kurz vor der Abreise nach Frankreich im März 1998
1 Stefan Huppertz, 2 Tim Coly, 3 Andy McGee, 4 Jochen Kerber, 5 Bodo Sieber, 6 Steffen Thier, 7 Robert Pichler, 8 Manuel Wilhelm, 9 Jeannot Moutsinga, 10 Friedrich Michau, 11 Waldemar Zimmermann, 12 Markus Knoblauch, 13 Till Behnke, 14 Matthias Pipa, 15 Raimund Wolf, 16 Alexander Wiedemann, 17 Wahrlieb Hackl, 18 Dennis Doering, 19 Ben Voigt 20, Daniel Schreiber 21, Markus Walger 22 Colin Grzanna, 23 Eduard Zerr
16 Herrennationalspieler hat dieses Team hervorgebracht, 4 von ihnen stehen auch heute noch im Kader der Deutschen Nationalmannschaft. Steffen Thier, Robert Pichler, Jeannot Moutsinga, Friedrich Michau, Waldemar Zimmermann, Markus Knoblauch, Jochen Kerber, Till Behnke, Matthias Pipa, Raimund Wolf, Daniel Schreiber und Markus Walger wären mit Sicherheit auch noch im Dunstkreis der Nationalmannschaft, hätte das Leben als Rugbyamateur oder schwere Verletzungen sie nicht dazu gezwungen, anderen Dingen eine größere Priorität einzuräumen als der Jagd nachdem Lederei. 1 Jahr hatten die beiden Trainer Wolfgang Zubrod und Carsten Segert investiert, um dieses Team zu formen, zahlreiche Lehrgänge auf der Mehrkampfanlage in Niedersachsens Hauptstadt Hannover waren dem Abenteuer TouLOSE (Die Polohemden dieser Tour waren mit diesem charmanten Stickfehler versehen) vorausgegangen. 1 Woche DFJW-Lehrgang in Vichy und eine weitere Woche gemeinsam mit den französischen Freunden in Niedersachsens Landeshauptstadt waren ebenso Teil der Vorbereitung, wie ein Trainingsspiel gegen die U19 Kanadas, welches äußerst knapp verloren wurde (Kanada beendete das Turnier in Toulouse auf dem 4. Platz, hinter Weltmeister Irland – mit Brian O’Driscoll, Argentinien und Frankreich u.a. mit Verbinder David Skrela), sowie siegreichen Trainingsspielen gegen die Bundesligamannschaften von Odin Hannover und dem Spitzenteam von Victoria Linden mit Leistungsträgern der Nationalmannschaft wie Dr. Dirk Kuhnen, Jens Himmer, Rainer Kumm, Michael Threin, Frank Nagel, Boris Borkowski, Ralf Hasenbein in seinen Reihen. 1 Woche vor Turnierstart befand man sich bereits auf Tour und konnte in der Höhe von Andorra den bis dato höchsten Sieg einer Deutschen Nationalmannschaft mit 108:0 gegen die Auswahl des Stadtstaates, sowie wenige Tage später einen weiteren Testspiel-Sieg gegen eine südfranzösische Auswahl verbuchen.
Das damalige Team bildete eine verschworene Einheit, wie ich es in meinem weiteren Rugbyleben nie wieder erlebt haben sollte. Die Zielsetzung für das Weltmeisterschaftsturnier war klar, der Aufstieg in die A-Gruppe sollte es sein. Drei Spiele galt es für das Erreichen dieses Ziels zu erringen. Der erste Gegner für das Deutsche Team hieß Georgien. Die große Unbekannte. Die meisten von uns hätten Georgien auf einer Landkarte nicht lokalisieren können, geschweige denn hatte man eine Vorstellung davon, mit was für einem Gegner man es zu tun bekommen sollte. Einige von uns spielten Mäuschen beim Abschlusstraining der georgischen 15 und waren beeindruckt ob der Körperlichkeit der ehemaligen Soviets. Wir waren uns nicht sicher, ob wir einer Herrenmannschaft oder einer U19 beim Training zugesehen hatten, doch voller Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gingen wir in diese Partie.
Die zwei Tage vor dem Spiel hatte der südfranzösische Himmel seine Schleusen geöffnet und das Spielfeld glich eher dem Zeltplatz des Woodstock Festivals als einem Rugbyrasen. Eine Tatsache, die den schweren georgischen Stürmern natürlich in die Karten spielen sollte. Trotzdem begannen wir die Partie druckvoll. Technisch und läuferisch waren wir den kräftigen Gegnern überlegen. Relativ schnell lagen wir durch einen sicher verwandelten Straftritt von Kapitän und Spielmacher Friedrich Michau mit 3:0 in Front. Die Georgen begannen zu drücken und hatten uns Mitte der zweiten Halbzeit sicher 10 Minuten vor dem eigenen Malfeld eingekesselt, Gedränge um Gedränge wurde ihnen zugesprochen, doch unsere 1. Sturmreihe trotze dem Schieben und Drücken ihrer Gegenüber mit Bravour, nach 5 oder 6 Gedrängeeinwürfen für den Gegner sprach der Schiedsrichter uns den Einwurf zu. Gedrängehalb Jeannot Moutsinga warf den Ball ins Gedränge, wir schoben an und der Ball lag vor meinen Füßen. Kurz nachdem unsere Nummer 9 den Pass zum tief im Malfeld stehenden Friedrich Michau gespielt hatte, keimte auf Seiten der georgischen Anhänger tosender Jubel auf, uns war es nicht gelungen den Ball zu kontrollieren, der georgische Flanker schaltete am schnellsten und warf sich auf den frei im Malfeld liegenden Ball. Die Erhöhung der Georgen misslang.
Die restlichen Spielminuten waren ein einziges Anrennen, die eingewechselten Colin Grzanna und Markus Walger stellten die georgische Verteidigung immer wieder vor äußerst schwere Aufgaben, doch am Ende hielt der Verteidigungsbund der Lelos. Der Traum war zerplatzt. Der Aufstieg in die A-Gruppe dahin. Im späteren Turnierverlauf sicherte sich Georgien mit zwei ungefährdeten Siegen den Aufstieg, wir konnten zwar die Auswahl der Niederlande sowie die Auswahl Paraguays vernichtend besiegen, doch unser Ziel konnten wir nicht mehr verwirklichen. Die Wege der georgischen Spieler und die Unseren trennten sich an diesem schicksalhaften Abend, den wir alle nie wieder vergessen sollten. Der Aufstieg und die gezeigten Leistungen sowie die wirtschaftliche Situation ihres Landes, bewog einen Großteil des georgischen Kaders dazu, in Frankreich zu bleiben. Auch einige unsere Spieler erhielten entsprechende Offerten, doch die Schulbildung hatte Vorrang, ein Leben als Rugbyprofi schien für uns zum damaligen Zeitpunkt unvorstellbar. Die georgischen Spieler, gestärkt durch die Ausbildung in französischen Spitzenteams, begannen sich erst im 7er Rugby einen Namen zu machen, später folgten Turniersiege in der Division 1, sowie als Höhepunkt die Teilnahme an zwei Weltmeisterschaften (2003 und 2007). Zahlreiche unserer Gegenspieler des Aprils 1998 bekamen die Chancen sich gegen Südafrika, England, Samoa, Irland, Frankreich und Argentinien zu messen. Sie bereiteten an diesem Abend den Weg für den Aufschwung des georgischen Rugbys. Für uns dauerte es 10 lange Jahre, bis wir – zumindest auf dem Papier – wieder in der gleichen Liga angekommen sein sollten, wie unsere Gegner von damals. Der Weg dahin war ein langer und oft ein frustrierender, unsere Gegner hießen: Schweden, Dänemark, Kroatien, Moldawien, Ukraine, Tschechien, Tunesien, Luxemburg, Serbien, Niederlande, Polen und eben nicht Frankreich oder gar Südafrika. Die Vorzeichen vor dem erneuten Aufeinandertreffen sind andere: David gegen Goliath, Profis gegen blutige Amateure, Vorjahressieger gegen Aufsteiger. Die so sehnlich herbei gewünschte Revanche wird ein schier unmögliches Unterfangen. Wie bereits oben erwähnt haben zahlreiche Weggefährten von damals die Rugbyschuhe bereits an den Nagel gehängt, oder betreiben den Sport nicht mehr mit so einer großen Intensität, dass sie am 7. Februar mit von der Partie sein können. Dazu kommt eine Vorbereitung, die auf Grund finanzieller und terminlicher Schwierigkeiten nicht gestattete, dass das Team gemeinsam trainieren konnte. Aber der Gegner scheint längst uneinholbar enteilt. Ich weiß nicht, ob sich die georgischen Profis noch an das Spiel im April 1998 erinnern können, WIR haben es nicht vergessen und WIR werden es niemals tun. Wenn der Schiedsrichter am 7. Februar im Fritz-Grunebaum-Sportpark um 14.00 Uhr in seine Pfeife bläst, gilt allen Unkenrufen zum trotz ein altes Gesetz: “Der Gegner spielt mit 15 Spielern, die haben 30 Arme und 30 Beine, genau wie wir.” – Es gibt für uns also keinen Grund nicht zu versuchen, dieses Spiel zu gewinnen und wenn uns das nicht gelingt, werden wir mit Sicherheit einen großen Kampf gekämpft haben, egal was die Anzeigetafel zeigt, ob der Unterschied 2 Punkte oder 80 Punkte beträgt, wir werden mit erhobenem Haupt das Feld verlassen können. Soviel steht fest:
“Wir spielen mit 15 Spielern, 30 Armen, 30 Beinen und ganz Rugbydeutschland im Herzen. Was soll uns passieren?”
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