Es ist die Zeit der Jahresrückblicke und auch wir bei TR kommen an diesem Thema nicht vorbei: Denn das Jahr 2019 hatte in Sachen Rugby dermaßen viel zu bieten - angefangen mit einem großartigen Six-Nations-Turnier, einer noch besseren und stimmungsvollen WM und einer Achterbahn der Gefühle aus deutscher ovaler Sicht. Das schreit quasi nach einem Rückblick. Wir fassen für euch die Top-5-Momente des Rugby-Jahres aus unserer Sicht zusammen.
5. Der Six-Nations-Triumph der Waliser
Das Über-Team Irland, wer sonst? Weltspieler des Jahres 2018 Johnny Sexton würde die Neuseeland-Bezwinger zum nächsten Titel führen - so der Konsens bei den Experten. Als Anfang des Jahres die Six Nations immer näher rückten, galt lediglich England als möglicher Konkurrent für die Über-Iren - doch es sollte anders kommen, ganz anders. Irland wurde direkt zum Auftakt im heimischen Dublin an der Landsdowne Road von einer taktisch brutal effektiven englischen Mannschaft der Wind aus den Segeln genommen. Nur ein Jahr, nachdem die Iren in London den Grand Slam am St. Patricks’s Day holten, die Revanche des Mutterlands.
Doch es sollten auch nicht die Six Nations der Engländer werden. Wales spielte anfangs ohne Favoriten-Bürde und holte wenig glamouröse Siege gegen Frankreich und Italien auswärts. Mit einer überragenden Defensive ließen die Waliser schon im Frühjahr erkennen, dass sie bei der WM noch eine größere Rolle spielen sollten. Taktik-Fuchs Warren Gatland als Coach, der nach über zehn Jahren als Wales-Coach das letzte Mal als Trainer der Drachen in die Six Nations gehen sollte, führte Wales noch ein allerletztes Mal zum Titel.
Der Versuch von Josh Adams, der Wales auf Titel-Kurs brachte
Der Heim-Triumph über England - erzwungen mit einer großartigen Defensive und durch Außen Josh Adams, der mit dem wohl spektakulärstem Versuch des Turniers für die Entscheidung sorgte - sowie die 25-7 Demonstration im Grand-Slam-Entscheidungsspiel gegen Irland - Wales wurde souverän Six-Nations-Sieger mit fünf Siegen aus fünf Spielen - also dem Grand Slam.
Das Jahr war aus Sicht der deutschen Fünfzehner-Nationalmannschaft ein gebrauchtes. Nur wenige Wochen nach der knapp verpassten WM-Quali ging es im Februar in die EM: Fünf Niederlagen in der Rugby-Europe-Championship und dann der bittere Abstieg von Frankfurt in einem hochdramatischen Spiel gegen Portugal (TR-Bericht —> Link). Das Trainer-Team um Mike Ford und Mouritz Botha nahm seinen Hut und auch eine Reihe von Spielern verabschiedete sich von den schwarzen Adlern. Das deutsche Fünfzehner hatte wahrlich bessere Tage erlebt und nun war man auch offiziell auf dem Niveau der Niederlande, der Schweiz und Polens angekommen.
Doch dieser vermeintliche Absturz wurde zum Zeitpunkt für einen Neuanfang: Nur fünf Monate nach dem Tiefpunkt von Frankfurt gelang dem deutschen Team der Aufbruch. Mit dem Trainer-Duo Mark Kuhlmann/Alexander Widiker trat ein blutjunger deutscher Kader den Weg nach Lodz an, um eine Klasse tiefer beim einstigen Angstgegner Polen zu bestehen. Ausgerechnet in Lodz - da, wo die Siebener-Kollegen im Sommer den EM-Titel eingefahren hatten. Ein Drittel der Startaufstellung des neuformierten Teams bis dahin war noch nie für Deutschland aufgelaufen, doch trotz dieser Unerfahrenheit und dem frühen Ausfall von Kapitän Jörn Schröder konnten diese Jungs den DRV nicht nur würdig vertreten, sondern einen am Ende hochsouveränen 35-15 Auswärtssieg einfahren.
Ein Auftritt, der hoffen lässt. Der deutsche Rugby-Nachwuchs kann sich durchaus sehen lassen, wenn er die Chance dazu erhält. Die anschließende Niederlage gegen die Niederlage in Heidelberg sollte die Euphorie ein wenig dämpfen. Doch aus deutscher Sicht ist klar: Der Neuanfang mit dem eigenen Nachwuchs und Bundesliga-Spielern ist zu schaffen, auch wenn noch viel Arbeit vor dem deutschen Team liegt.
3. Japans Auftritt, als Gastgeber und WM-Überraschung
Wer hätte das vor dem Turnier-Auftakt gedacht? Dass sich die Japaner dermaßen für das ovale Leder begeistern können und dass ihr Team dazu noch dermaßen großartig aufspielt. Zum bersten gefüllte Stadien, großartige Atmosphäre auch in den Gastgeberstädten und insgesamt ein riesiges Rugby-Fest - vielleicht das größte jemals. Dazu ein von Coach Jamie Joseph gecoachtes japanisches Team, das mit einer Hurra-Spielweise die Herzen der gesamten Rugby-Welt eroberte. Die Siege über Irland, Samoa, Russland und Schottland mit bedingungslosem Offensiv-Rugby faszinierten Rugby-Fans von Australien bis Kanada.
Er steht mehr für den Hurra-Stil der Japaner: Außen Kenki Fukuoka
Wer hatte vor dem Turnier schon von Kenki Fukuoka und Kotaro Matsushima gehört - den beiden Japan-Außen, die mit ihren Offloads, Steps und schierem Speed selbst gegen die besten Teams der Welt auftrumpfen konnten. Oder von Yu Tamura, dem eleganten und taktisch cleveren Verbinder. Oder von Kazuki Himeno, der sich als Japans Achter als einer der besten Dritte-Reihe-Stürmer des Turniers präsentierte. Mehr als jeder zweite Japaner, über 60 Millionen insgesamt verfolgten die Heldentaten der Brave Blossoms gegen Schottland und schließlich auch das Viertelfinal-Aus gegen eine brutal effektive Springboks-Mannschaft. Und das in einem Land, wo üblicherweise Baseball auf Rang eins der Liste der Sportarten steht.
Nach dem Japan-Triumph über Südafrika bei der WM 2015 sprachen einige noch von einem Ausrutscher. Jetzt ist der gesamten Rugby-Welt klar: Japan ist alles andere, als eine Eintagsfliege. Für World Rugby muss es jetzt heißen, den Japanern regelmäßig Spiele gegen Top-Gegner zu verschaffen. Es wäre eine Schande, wenn der Weltverband den Hype im Land der aufgehenden Sonne wegen seiner verkrusteten Strukturen ausklingen ließe. Die Diskussionen über eine japanische Teilnahme an der Rugby Championship oder gar den Six Nations laufen.
2. Der Springboks-Triumph im WM-Finale über England
Power, Dynamik und vor allem sehr viel taktische Reife. Die Springboks haben bei der WM in Japan unter Beweis gestellt, ein würdiger Weltmeister zu sein. Dabei hatte der Lauf zum Titel mit einer Auftakt-Niederlage gegen Neuseeland begonnen. Doch das Team um Kapitän Siya Kolisi erholte sich nicht nur von der Niederlage gegen das zu Beginn der Turniers als Favoriten angesehene Team, es arbeitete sich bis zum Titel. Mit den blitzschnellen Außen Mapimpi und Kolbe hatten die Boks zwei überragende Finisher im Team. Doch mindestens genauso sehr ist dieser WM-Triumph dem berühmten Monster-Sturm um Eben Etzebeth, Tendai Mtawarira und den World-Rugby-Spieler des Jahres Pieter Steph du Toit zu verdanken. Dazu hatte das Team mit Faf de Klerk, dem Wirbelwind auf Neun, sowie Verbinder Handre Pollard, zwei Strategen auf den Spielmacher-Positionen.
Der Versuch von Außen Makasole Mapimpi, der das WM-Finale entschied
Die Marschroute der Südafrikaner war klar: Sie schnürten ihre Gegner mit ihrer physischen Dominanz ihrer schweren Jungs ein und hatten dann in den richtigen Moment ihre Finisher parat, um die entscheidenden Nadelstiche zu setzen. So gesehen war das Team von Coach Rassie Erasmus, der die Boks erst 18 Monate vor WM-Beginn in einem desolaten Zustand übernommen hatte, vielleicht nicht das spielerisch attraktivste Team. Doch die Losung war brutal effektiv, das musste nicht nur England im Finale erleben, auch die Waliser im Halbfinale und Publikums-Liebling Japan musste das schmerzlich erfahren. Wie es mit diesem Bok-Team weitergeht, steht derzeit noch in den Sternen - Trainer Erasmus spielt mit dem Gedanken, sich auf den Sportdirektor-Posten zurückzuziehen. Eine ähnliche Dominanz, wie Neuseeland sie in dieser Dekade hatte, scheint zunächst unrealistisch. Mit der Tour der British and Irish Lions nach Südafrika in anderthalb Jahren steht für den Weltmeister aber ein großes Event an, wie sich de Klerk, Colby und Co. beweisen wollen.
Es war ein historischer Erfolg, der unterstrich, wie weit das deutsche Team in nur wenigen Jahren gekommen war. Erst 2012 wurde das deutsche Team überhaupt erstklassig und zählte zu den zwölf besten Teams in Europa, als Teil der Grand Prix Series. Die ersten Jahre in Europas Siebener-Elite waren ein Kampf ums Überleben. Seitdem hat sich das Team, das sich seit den Hong Kong Sevens 2017 Wolfpack nennt, einen stetigen Aufschwung erlebt. Von bescheidenen Anfängen bis hin zum Europameister-Titel - die Platzierungen dieses Teams in der EM-Endabrechnung zeugen vom steinigen Aufschwung:
2012: Platz 11 2013: Platz 11 2014: Platz 10 2015: Platz 5 2016: Platz 4 2017: Platz 5 2018: Platz 2 2019: Europameister
Der Titel in Polen kam als direkte Antwort auf die verpasste Qualifikation für Olympia in Colomiers nur eine Woche zuvor. Dabei konnte unser deutsches Team nach dem vierten Platz in Moskau, wo Dauer-Rivale Irland mit 17-10 noch eine Nummer zu stark war, in Lodz endlich wieder Mal gegen die Boys in Green um Supersprinter Jordan Conroy siegen. 2018 noch hatte unser Wolfpack alle drei Final-Auftritte in der GP-Series gegen Irland verloren.
Im Juli in Lodz war es vor allem eine in der Defensive brillante Leistung, um die irische Offensive mit Kennedy und Conroy in Schach zu halten. Dazu zeigte sich der junge Ben Ellermann als brutal starker Ballträger. Als Phil Szczesny kurz vor Ende auf 17-7 stellte, war allen klar: Irland ist geschlagen und der Jubel war dementsprechend groß. Gegen Spanien im Finale schließlich, erfolgte die Krönung: Der 28-14 Sieg gegen die mittlerweile auf der World Series etablierten Spanier in einem weiteren packenden Spiel.
Dieser Sieg bescherte unseren Jungs auch Platz eins in der Gesamtwertung der EM, der allererste Titel in der Geschichte des DRV und Zeugnis dafür, welch großartige Entwicklung dieses Team genommen hat. Und nur um zu unterstreichen, dass er EM-Titel keine Eintagsfliege war, packte unser Wolfpack noch eine großartige Vorstellung bei den Oktoberfest 7s obendrauf. Dort hatten Tim Lichtenberg und Co. die Südafrikaner am Rande einer Niederlage. Es wird spannend zu sehen sein, ob sich der steile Aufwärtstrend unter dem neuen Trainer Damien McGrath fortsetzen lässt.