Ernüchternd war das Spiel Deutschland-Niederlande. Gleichwohl hat es wichtige Erkenntnisse aus deutscher Sicht gebracht. Foto (c) Kessler
Das Länderspiel gegen die Niederlande war aus deutscher Sicht in mehrfacher Hinsicht ernüchternd, gleichwohl ein ehrlicher Indikator des ovalen Leistungsniveaus hierzulande. Dazu machen dem Verband weiter die finanzielle Probleme zu schaffen - dennoch steht Rugby-Deutschland aktuell gemeinsam hinter seinem Verband und das ist wohl das positivste Zeichen der letzten Tage. Wir analysieren das Geschehen von Heidelberg, auf und abseits des Feldes, mit unseren drei Thesen.
1. Die Niederlage gegen die Niederlande war nicht peinlich, sondern entspricht dem Leitungsniveau des deutschen Rugbys aktuell
Manch einer trauert der vergebenen Chance auf die WM vor ziemlich genau einem Jahr noch immer hinterher. Sie war in Marseille im November 2018 zum Greifen nah und auch wir bei TR haben uns von der historischen Chance begeistern lassen. Genau diese Nostalgiker zählten auch am Samstag in den Kommentarspalten der sozialen Medien zu den größten Kritikern - „peinlich“ sei der Auftritt gewesen, war da zu lesen. Doch ein realistischer Blick auf das Rugby-Jahr 2018 aus deutscher Sicht dürfte weitaus weniger verklärend ausfallen, als die Rückblende einiger Rugby-Fans hierzulande heute. Glückliche Umstände um die Disqualifizierung Spaniens und Rumäniens hatten das deutsche Team überhaupt erst in den Repechage-Wettbewerb gespült.
Dazu trat in Marseille ein Team an, das nur bedingt das deutsche Rugby und erst recht nicht die Bundesliga repräsentierten. Wir wollen die Leidenschaft keines einzigen, der mit dem Adler auf der Brust angetreten ist, in Frage stellen. Doch der Leistungsschub des Teams war kein Resultat einer stetigen organischen Entwicklung an der Basis, sondern zu einem großen Teil das einer kräftigen Finanzspritze im Spitzenbereich. Sicherlich hat man in Marseille die beste deutsche Fünfzehner-Nationalmannschaft seit langem gesehen - doch die enormen Investitionen flossen leider nur in die Spitze, während man die Basis sträflich vernachlässigte. Nachhaltige Entwicklung sieht anders aus, wie man heute verbittert feststellt.
Die Holländer dagegen arbeiten seit nunmehr fünf Jahren an einem Akademie-System, das mittlerweile die ersten vielversprechenden Talente hervorbringt. Oranje-Kapitän Dirk Danen berichtete in der Heidelberger Pressekonferenz nach der Partie stolz davon, wie er mit Zweite-Reihe-Stürmer Koen Bloemen aufgelaufen sei - ein Spieler, den er selbst noch in der Jugend als einer der ersten Akademie-Spieler betreut habe. Die Holländer verzichteten am Wochenende fast gänzlich auf Auslands-Profis und fast der gesamte Kader hatte sein Rugby-Handwerk daheim erlernt. Nicht, dass es ein Makel wäre, wenn deutsche Nationalspieler den Umgang mit dem ovalen Leder in Südafrika oder sonstwo erlernen - nur langfristig ist dies keine verlässlich Basis, auf der man eine Nationalmannschaft aufbauen kann.
Das deutsche Team am Samstag spielte zum erst zweiten Mal in dieser Konstellation zusammen. Selbst viele der erfahreneren Spieler sind schlicht nur das Bundesliga-Niveau gewöhnt, weil die Perspektive für sie auf die DRV XV lange nicht existierte. Der frühe Ausfall von Verbinder Klewinghaus und Prop Dickinson waren dazu frühe Rückschläge, die das Team zumindest zuerst gut wegsteckte. Schlussendlich zeigten sich die Niederländer aber erfahrenerer, eingespielter und insgesamt überlegen. Die Niederlage war verdient und ist aktuell die bittere Rugby-Realität in Sachen Fünfzehner in Deutschland.
Gleichwohl darf man den Optimismus nicht verlieren. Von den grundsätzlichen Voraussetzungen her sind sich das deutsche und niederländische Rugby sich sehr ähnlich. Dieses Team hat eine gute Perspektive, sind sich die handelnden Personen einig. Schlussendlich wird es einige Jahre Aufbauarbeit benötigen - doch wo sich alle Beteiligten aktuell einig sind: Deutschland produziert durchaus genug Rugby-Talente, sie müssen nur ihre Chance erhalten sich zu beweisen. Dazu wird es in den kommenden Monaten und Jahren genug geben.
2. Rugby-Deutschland muss jetzt als Familie zusammenstehen
„Jetzt können wir zeigen, dass wir eine richtige Rugby-Familie sind!“ So Adler-Sturmtrainer Alexander Snakko Widiker. Der Fünfzehner-Rekordnationalspieler hat schon so manche Höhen und Tiefen mit diesem Team erlebt. Und in aktuell schwierigem Fahrwasser beim Verband in Sachen Finanzen betonte der ehemalige Erste-Reihe-Stürmer der Adler, wie sehr es nun gelte zusammenzustehen. Man werde als Rugby-Gemeinschaft nun die Fehler der Vergangenheit ausbaden müssen, so Widiker weiter. „Es ist wichtiger denn je zusammenzustehen“, so die Überzeugung des Mannes, den sie in Heidelberg nur alle Snakko rufen.
Das Finanz-Thema war in Heidelberg natürlich in aller Munde und die Sorge um die Zukunft des Verbandes und damit des Rugbysports hierzulande spürbar. Doch ebensosehr die Solidarität - 2731 Zuschauer hatten sich am Samstag im Heidelberger Wohnzimmer eingefunden. Keine Rekordzahl, aber weit mehr als doppelt so viele, wie beim alles entscheidenden Abstiegsspiel gegen Portugal in Frankfurt diesen Sommer, das bei weitaus angenehmeren äußeren Bedingungen stattgefunden hatte. „Die Leute wollten ihre Jungs sehen und stehen hinter diesem Team“, so die Einschätzung von DRV-Präsident Harald Hees. Die gute Kulisse ist aber nur ein Teil der Solidarität, die Rugby-Deutschland gerade zeigt.
In nur wenigen Tagen ist beim DRV seit dem nachdrücklichen Spendenaufruf eine fünfstellige Summe eingegangen, für die man sich beim DRV äußerst dankbar zeigt. „Die Spendenbereitschaft ist überwältigend und ich möchte mich bei jeder Spenderin und jedem Spender bedanken - der Verband kann aktuell jeden Euro gebrauchen“, so Präsident Hees im Gespräch mit TR. Denn die Finanzierungslücke im Haushalt ist, nachdem die mittlerweile abgetretene Führungsriege viel zu generös mit den bescheidenen Mitteln des Verbandes umgegangen war, beträchtlich. So wird Rugby-Deutschland in den nächsten Tagen und Wochen zusammenstehen müssen. (Hier findet gelangt ihr zur Spendenaktion des DRV-> Link)
3. Die Strukturen im deutschen Rugby müssen mittelfristig überdacht werden
Im Interview nach dem Abpfiff sprach Adler-Innen und Hannover-78-Urgestein Pascal Fischer einen aus seiner Sicht wunden Punkt an. „Der Verband sollte darüber nachdenken die Bundesliga wieder eingleisig zu machen“ - Fischers Einschätzung nach bereitet die Bundesliga-Nordstaffel aktuell nicht genügend auf das internationale Parkett vor. Ein Blick auf die Ergebnisse der Nord-Süd-Playoff-Duelle der letzten Jahre, bei denen die Nord-Vertreter meist chancenlos gegen die Süd-Konkurrenz dastanden, unterstreicht diese These.
Ob eine eingleisige Liga der richtige Weg ist, dieses Problem zu beheben, ist eine der Fragen, die man sich künftig stellen muss. Die Reisekosten, die auf die Teams zukommen würden, wären enorm. Aber vielleicht ist die Lösung auch die bereits mehrfach angedachten Regionalauswahlen einzuführen. Marseille-Gegner Kanada beispielsweise hat schon seit Jahren ein solches System als Zwischenschritt zur völligen Professionalisierung eingeführt. Nach der abgeschlossenen Klub-Saison spielen dort die besten Spieler des Landes in Regionalauswahlen gegeneinander an - diese Spiele fungieren dann quasi als Schaulaufen für die Nationalteams.
Auch wenn dieses System in Kanada nicht völlig unumstritten ist, wäre es ein Ansatz, den man in Deutschland diskutieren könnte. Die besten Spieler aus Hannover und Hamburg gemeinsam, gegen die der Hauptstadt-Klubs und dazu noch drei Vertreter aus dem Südwesten und Westen der Republik, könnten auf dem Feld ein höheres spielerisches Niveau bedeuten. Doch das ist zunächst Zukunftsmusik, da man im DRV aktuell alle Kräfte bündeln muss, um den finanziellen Engpass zu überstehen.
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