Felix Lammers war in Lodz mit einem Doppelpack einer der besten. Foto (c) Kessler
Eine blutjunge Mannschaft mit sieben Debütanten im Kader und gleich zwei Spielern unter 20 trat heute in Lodz an, um den viel beschworenen Neuanfang nach dem Abstieg aus der Rugby Europe Championship zu schaffen. Nach 80 Minuten von Lodz und einem souveränen Sieg kann man festhalten: Der Neuanfang unter Coach Mark Kuhlmann ist gelungen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und trotz des Ausfalls von Kapitän Jörn Schröder nach nur 120 Sekunden hat sich das deutsche Team souverän geschlagen.
Es war ein absoluter Schockmoment für die junge deutsche Mannschaft nach nicht ein Mal zwei Minuten. Kapitän Jörn Schröder hatte sich im Tackle den Oberschenkelmuskel gezerrt und humpelte bereits nach der ersten Spielsequenz vom Feld und wurde durch Felix Martel ersetzt. Einer stark verjüngten und weitestgehend unerfahrenen deutschen Mannschaft fehlte plötzlich der Anführer und obwohl Nikolai Klewinghaus zeitgleich zum 3-0 kickte, war es ein denkbar schlechter Start aus deutscher Sicht.
Vor dem Einlauf in das LKS-Stadion von Lodz
Insgesamt waren die ersten 20 Minuten die Phase, in der unsere jungen Adler zu kämpfen hatten - mit den eigenen Nerven, den starken polnischen Sturmläufen und für einige auch mit dem ungewohnt hohen Tempo. Coach Mark Kuhlmann in seinem ersten Spiel als Nationaltrainer machte diese schwierige Phase nach der Partie vor allem an der verständlichen anfänglichen Nervosität seiner Schützlinge fest. Flanker Justin Renc von Hannover 78, mit gerade Mal 19 Jahren einer der jüngsten im Team, sprach gegenüber TR nach dem Spiel von „Herzklopfen“, betonte aber ebenso, dass man wild entschlossen gewesen sei, sich vom polnischen Sturm nicht überrennen zu lassen.
Im Schnitt hatten die Gastgeber im Sturm gute 5-10 kg mehr auf den Rippen und tatsächlich machten sie Anfangs über Flanker Pacewicz und Achter Zeszutek immer wieder wertvolle Meter im Kontakt. Auch das Gedränge der Polen war zunächst überlegen - doch eine kleine Änderung in der Anordnung, wie Sturmtrainer und Erste-Reihe-Guru Alexander Widiker im Nachgang der Partie gegenüber TR erklärte, löste dieses Problem. Nachdem unsere Jungs zwei Mal in der 22 verteidigen und polnische Angriffe auf den letzten Metern vorm eigenen Malfeld stoppen mussten, fand das deutsche Team dann schließlich auch besser ins Spiel.
Der erste Versuch für unsere Adler war ein Produkt deutschen Drucks mit einer Prise Spielglück. Der souverän spielende Gedrängehalb Pierre Mathurin hatte einen Boxkick in die polnische Hälfte gesetzt. Zinzan Hees machte Druck auf den polnischen Fänger, der das Leder quasi in die Arme von Achter Schreieck verlor. Der RGH-Stürmer zeigte dann aus 30 Meter seinen Speed und lief unter den Stangen ein. Wenig später dann der nächste Streich - der gut zwischen taktischen Kicks und schnellen Spielzügen variierende Verbinder Nikolai Klewinghaus machte das Spiel mit einem Überpass schnell und bediente Felix Lammers an der Außenlinie an der polnischen Defensive vorbei. Dieser zog an und ließ dem polnischen Schluss Pogorzelski keine Chance und besorgte Deutschlands zweiten Versuch zum 18-3.
Die Stimmen aus dem deutschen Team
Wenig später dann machte erneut Lammers, der erst in diesem Februar sein Adler-Debüt gegeben hatte, seinen Doppelpack klar. Nach einem polnischen Ballverlust reagierte Lammers blitzschnell und konnte an der Eckfahne ins Malfeld der Polen eintauchen. Doch wer beim Stand von nunmehr 25-3 aus deutscher Sicht gedacht hätte, dass dieses Auswärtsspiel nunmehr ein Spaziergang werden würde, sah sich getäuscht. Noch vor der Pause ließ Polen mit seinem Sturm doch noch einmal die Muskeln spielen. Nach Straftritt kam der Gastgeber-Sturm per Paket über die Linie - Hakler Chrosciel musste nach starker Vorarbeit der schweren Jungs der Polen mit dem Ball nur noch über die Linie fallen.
Nach dem Intervall dann zunächst ein polnischer Sturmlauf und wütende Angriffe auf die deutsche Linie. Das deutsche Team hielt erst einmal stand und gerade als den Polen die Luft auszugehen schien, brach Krawiecki ganz links durch und schaffte es in die deutsche 22. Pierre Mathurin konnte den Hünen gerade noch so an der letzten Faser seines Trikots festhalten und zu Fall bringen. Doch unzählige Pick-and-Go-Phasen später hatten es die Gastger durch Flanker Jan Cal über die deutsche Linie geschafft.
Beim Stand von 15-25 aus Gastgebersicht kam das Publikum noch ein Mal und das Spiel stand kurzzeitig auf der Kippe. Erst recht, als Debütant Justin Renc für ein hartes Einsteigen ohne Arme ins Ruck mit Gelb zehn Minuten vom Feld musste. Doch genau in dieser Phase zahlte der beruhigende Einfluss von Verbinder Klewinghaus auf das Team aus. Der junge aber gleichwohl bereits erfahrene Spielmacher fand mit seinen Spielverlagerung immer wieder Platz hinter der polnischen Abwehr und entschied das Duell der Spielmacher gegen Polens Daniel Gdula klar für sich.
Erst erhöhte Klewinghaus auf 28-15 per Straftritt und endgültig eingetütet wurde der Sieg mit dem vierten deutschen Versuch, den Felix Lammers mustergültig vorbereitete. Der HRK-Außen krönte seine hervorragende Leistung in Defensive wie Offensive - Innen Wakefield hatte ihm einen grottigen Pass hinter den Rücken zugespielt. Unter Druck tanzte Lammers erst den anrauschenden Außen Stelmaszek aus und setzte dann zum unwiderstehlichen 50-Meter-Solo an und bediente den mitgelaufenen Paine, der ins Malfeld einlaufen konnte. Das 35-15 sollte, trotz weiterer sieben Minuten Spielzeit, der Endstand bleiben.
Allen Unkenrufen zum Trotz hatte sich das deutsche Team in der neuen Liga souverän behauptet und das mit minimaler Vorbereitungszeit und einer beschwerlichen Anreise per elfstündiger Busfahrt über Nacht. Man muss den Hut ziehen, gerade vor den zahlreichen Youngstern im Team nach diesem Auftritt. In der Tabelle erhält das deutsche Team zwar wegen der Bonuspunkt-Regelung von Rugby Europe nur vier Zähler, dennoch ist es ein Auftakt nach Maß, der dem Team vor dem Heimspiel gegen den Staffelfavoriten Niederlande Selbstbewusstsein geben wird. In drei Wochen vor heimischen Publikum im Rugby-Wohnzimmer wollen die jungen Wilden nachlegen und bauen dabei auf die Unterstützung des deutschen Publikums.
Historisch gesehen war der heutige Sieg der neunte im insgesamt 18. Aufeinandertreffen zwischen einer deutschen und polnischen Nationalmannschaft, die Bilanz ist damit völlig ausgeglichen. Der letzte Sieg auf polnischen Boden liegt genau 16 Jahre zurück, damals war gut die Hälfte des heutigen deutschen Teams nicht ein Mal in der Schule. Umso mehr kann man sich über den heutigen Sieg freuen - diese deutschen Jungs haben noch viele Spiele im Trikot mit dem Adler auf der Brust vor sich.
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