Drei TR-Thesen zu den World-Cup-Viertelfinalspielen
Geschrieben von TotalRugby Team
Dienstag, 22. Oktober 2019
Neuseelands Doppel-Sieben - einer der taktischen Neuerungen, die die All Blacks bisher unschlagbar erscheinen lassen. Foto (c) Perlich
Die ganz große Überraschung blieb an diesem Wochenende in den Viertelfinalpartien bei der WM aus. Dennoch war es ein großartiges Rugby-Wochenende, das vor allem durch Neuseelands Dominanz geprägt war. Wir blicken auf die ovale Action aus Japan zurück und bringen euch unsere drei Thesen zu den WM-Viertelfinalspielen.
Es scheint alles beim alten - die All Blacks wirken unschlagbar wie eh und je
Kein Team beim World Cup hat mehr Durchbrüche geschafft als die All Blacks. Kein Team hat kumuliert mehr Verteidiger geschlagen. Kein Team hat mehr Meter mit dem Ball gemacht und die All Blacks haben die zweitmeisten Punkte aller WM-Teilnehmer bisher erzielt - Südafrika gelangen trotz eines zusätzlichen Spiels nur 8 Zähler und ein Versuch mehr. Und wie die Neuseeländer im Viertelfinale scheinbar mühelos mit Irland fertig wurden und fast 50 Punkte erzielten, war beeindruckend.
Was für ein Unterschied ein einziges Jahr machen kann. Nach dem Sieg der Iren in Dublin im November 2018 schienen die Neuseeländer verwundbarer denn je, Irland schien das Gegenmittel zum neuseeländischen Power-Spiel gefunden zu haben. Am Samstag in Tokio war davon rein gar nichts mehr zu spüren. Das irische Spiel wirkte eindimensional und einfallslos, während die All Blacks mit dem Leder immer gefährlich wirkten. Sowohl im Sturm, als auch auf der Dreiviertelreihe.
Totales Rugby der All Blacks im Viertelfinale von Tokio
Wie schon seit Jahren sind dabei die All Blacks besonders beim Kontern brandgefährlich. Mit Beauden Barrett als Schluss, der sich in solchen Situationen noch besser mit seinem Speed ins Spiel einbringen kann, ist er für die All Blacks tatsächlich aktuell wertvoller, als im Trikot mit der Zehn. Der aktuelle Verbinder Mo’unga kickt dazu sicherer als Barrett es in seiner Zeit als Zehn tat. Dazu stellt Steve Hansen neuerdings mit Ardie Savea und Sam Cane zwei Siebener in der dritten Sturmreihe auf, auch um noch mehr Turnover zu provozieren, die den All Blacks wertvolle Konterchancen bieten.
Die Frage vor den Halbfinalspielen kann eigentlich nur lauten - sind diese All Blacks überhaupt zu stoppen, immerhin haben sie seit dem Viertelfinale 2007 kein einziges WM-Spiel mehr verloren. Und wenn sie zu stoppen sind, von wem? Ein Finale gegen Wales dürfte die All Blacks, die seit 1953 nicht mehr gegen die roten Drachen verloren haben, sicher nicht zum Zittern bringen. Wales hätte maximal krasse Außenseiterchancen. Es ist zehn Duelle und genau zehn Jahre her, dass Wales ein Spiel so knapp verloren hat, dass es einen Defensiv-Bonus gegeben hätte.
Da würde man den Engländern schon mehr Chancen einräumen, erst recht, wenn es am kommenden Wochenende in Yokohama regnet. Dann nämlich käme England mit seiner schier unbändigen Power im Sturm noch mehr zum Zuge. Die Engländer haben, wie die Neuseeländer auch, ein Spiel weniger in den Beinen und gegen zugegeben taktisch schwach spielende Australier im Viertelfinale ein vermeintlich leichtes Spiel gehabt. Im einzigen Aufeinandertreffen beider Teams in den letzten fünf Jahren gewannen die Neuseeländer mit 16-15 - das Mutterland des Rugbys ist auf jeden Fall alles andere als chancenlos gegen Neuseeland.
Doch das wohl gefährlichste Team für den Titelverteidiger dürften aktuell die Springboks sein und zwar trotz der 13-23 Niederlage im ersten Aufeinandertreffen in Yokohama am zweiten Tag des World Cups. Die vier Duelle zuvor waren allesamt mit weniger als einem Straftritt entschieden worden. Die Springboks können den All Blacks sowohl mit ihrem Monster-Sturm, dem schwersten bei dieser WM, als auch mit ihren pfeilschnellen Außen Kolbe und Mapimpi gefährlich werden. Sie könnten das ultimative Gegenmittel für die Neuseeland-Dominanz sein - für neutrale Rugby-Fans wäre ein Finale All Blacks - Springboks sicherlich ein absolutes Traum-Endspiel.
Wer soll den Weltmeiser am Titel-Hattrick hindern?
Japan ist die Überraschung der WM - jetzt brauchen die Brave Blossoms regelmäßig Spiele gegen die Top-Teams der Welt
Das Motto dieser WM in Japan lautet „once in a lifetime“ - damit ist natürlich die WM im Land der aufgehenden Sonne an sich gemeint und nicht die Erfolge des Gastgebers auf dem Rasen. Doch schon in den nächsten Wochen müssen Schritte unternommen werden, damit die vier Siege in der Gruppenphase der Japaner, sowie das respektable Ausscheiden am Ende gegen den zweimaligen Weltmeister Südafrika nicht ein einmaliger Ausreißer bleiben.
Denn bereits vor dem Beginn der WM hatte SANZAAR, der Zusammenschluss der Südhalbkugel-Verbände, der Super Rugby und die Rugby Championship organisiert, das völlig falsche Signal gesendet. Vor sechs Monaten, während der laufenden Saison, verkündete man, dass die japanischen Sunwolves nach 2020 nicht mehr Teil des Super-Rugby-Wettbewerbs seien werden. Angeblich aufgrund der Weigerung des japanischen Verbandes finanzielle Garantien für den Super-Rugby-Franchise abzugeben.
Ein weiter so wie bisher und die Eliminierung der sportlich nicht immer erfolgreichen, dafür beim Publikum beliebten Sunwolves, kann aber keine Option sein. Nach dem Südafrika-Triumph 2015 bei der letzten WM lauteten die darauffolgenden Heimspiele der Brave Blossoms wie folgt:
Japan 85-0 Südkorea (30. April 2016) Hongkong 3-38 Japan (7. Mai 2016) Südkorea 3-60 Japan (21. Mai 2016) Japan 59-17 Hongkong (28. Mai 2016) Kanada 22-26 Japan (11. Juni 2016) Japan 13-26 Schottland (18. Juni 2016) Japan 16-21 Schottland (25. Juni 2016)
Dabei stellte Japan gegen die asiatischen Nachbarn lediglich eine bessere B-XV auf und war dennoch hochüberlegen. Kein Wunder, dass diese Spiele im Land der aufgehenden Sonne nur als Sparring gesehen wurden und nur wenige tausend Zuschauer anzogen. Erst die Juni-Länderspiele des Jahres, also fast ein Jahr nach dem sensationellen Triumph über Südafrika in Brighton, brachten so etwas wie sportliche Spannung. Aber auch hier ging es um keinen Titel.
Was den Japanern fehlt, sind verlässliche regelmäßige Duell gegen die Top-Klubs der Welt. Die Georgier beißen sich seit Jahren dabei die Zähne aus, einen Platz bei den Six Nations zu erhalten oder zumindest eine Perspektive darauf. Dass die regelmäßigen Kantersiege in der Rugby Europe Championship keine Vorbereitung auf die Wallabies oder Wales sind, konnte man in der WM-Gruppenphase sehen.
Die Japaner waren das Lieblingsteam fast aller Fans bei dieser WM - sie brauchen auch künftig Gelegenheiten sich sportlich zu beweisen
Die Six Nations sowie die Rugby Championship sind privat organisiert und werden manchmal noch wie der „old boys club“ geführt, der den Rugbysport vor der Professionalisierung geprägt hat. Kein Wunder, dass der Vorschlag der World League mit Auf- und Abstieg zwischen den Divisionen von den alteingesessen Top-Teams abgelehnt wurde.
Doch Japan hat etwas, was den Georgiern beispielsweise fehlt - kommerzielles Potenzial. 60 Millionen kaufkräftige Japaner, die wie gegen Schottland gespannt am Fernseher sitzen und empfänglich für allerlei Werbung sind, sind der Traum eines jeden Würdenträgers. So dürfte es auch niemanden verwundern, dass World Rugby CEO Brett Gosper den Verantwortlichen der Rugby Championship nahegelegt hat, über die Aufnahme Japans ins Turnier nachzudenken und zwar „eher bald als mittelfristig“, wie der Australier gegenüber der versammelten Presse betonte.
Die WM-Übertragungen bei ProSieben Maxx machen Spaß und bringen die WM-Faszination nach Deutschland
Es gibt wieder Mal die üblichen Unkenrufen in den sozialen Medien über die Ran-Rugby-Übertragungen. Wenn man den Kommentar doch auf englisch stellen könnte, warum die immer alles erklären, die schweifen doch vom Thema ab - man ist es gewöhnt, deutsche Hardcore-Rugby-Fans definieren sich zum Teil auch darüber, dass sie gerne über den deutschen Kommentar meckern. Doch wenn man sich die Kommentarspalten auf Facebook und Twitter anschaut, gerade bei Ran selbst, ist das Feedback aber überwiegend positiv. Fachkundig, sympathisch und mit der richtigen Mischung aus Erklärung und Kommentar. Die Studio-Atmosphäre lädt quasi zum lockeren Plaudern über das Geschehen ein.
Dazu flankiert der Sender das Programm mit Werbung in den sozialen Medien und Querverweisen bei anderen Programmen. So trat Kommentator Jan Lüdeke im Frühstücksfernsehen mit dem deutsch-japanischen Sternekoch Tohru Nakamura auf und plauderte beim Zubereiten japanischer WM-Snacks in lockerer Atmosphäre über das Geschehen in der Heimat von Nakamuras Vater.
Kein Wunder, dass die Quoten beim Münchner Sender stimmen - bis zu 6% in der werberelevanten Zielgruppe erreichten die Übertragungen der Viertelfinals. Die Schnittmenge zum American Football bewegt dem Anschein nach auch viele Fans der US-Variante mit dem ovalen Leder zum Rugby. Sicherlich treibt dies auch die Bekanntheit des Rugbysports hierzulande in die Höhe, da beim Durchzappen auch Mal Zuschauer zufällig beim Programm landen, was etwa beim On-Demand-Stream von DAZN seltener der Fall sein dürfte.
Es bleibt zu hoffen, dass sich darauf eventuell weitere Übertragungen auf ProSieben Maxx ergeben. Die Rechte für die Rugby Championship beispielsweise sind ja hierzulande aktuell nicht vergeben - die Vormittags-Übertragungen aus Australien und Neuseeland würden sich auch nicht mit den Football-Übertragungen, die aktuell das Ran-Zugpferd sind, überschneiden. Vielleicht würde sich, wo DAZN zumindest in Sachen Rugby zuletzt stagniert, die Chance ergeben dem Streaming-Dienst die Rechte für die Six Nations abzukaufen. Es wäre ein Plus für den ovalen Ballsport hierzulande!
Typisch deutsch?
Ist die Kritik an den Kommentatoren berechtigt oder eher typisch deutsch? Ich finde die beiden machen das ziemlich spitze, so das auch absolute Laien die Geschehnisse auf dem Platz verfolgen können.
...
Kritik an den Kommentatoren ist völlig unangebracht. zur Erinnerung, es gab noch nie so viel Rugby im deutschen Fernsehen zu bewundern als heutzutage. Ich glaube vor ca. 10 Jahren waren es Minuten im ganzen Jahr. Mittlerweile in der Sportschau, ZDF Sportreportage, Frühstücksfernsehen und NTV. Und jetzt noch die großartigen Übertragungen bei PRO MAXXX. Es ist doch super das die Kommentatoren auf Kleinigkeiten und Hintergrundinformationen eingehen. Bestimmt sind viele Neulinge unter den Zuschauern und von daher ist das alles richtig was sie machen. Und wenn dann doch so einige selbsternannten Rugbyexperten aus Deutschland die Kommentare nicht gut finden, kann man den Ton ausmachen. Die Jungs im Studio kritisieren ist aber absolut falsch. Ihr macht das super. Daumen hoch von mir.
Wenn mir sonst nichts einfällt,
meckere ich eben über die Kommentatoren. Mein Bruder, seit über 40 Jahren passionierter Hockeyspieler, hört den Experten gerne zu, freut sich, so noch eine Menge über unseren Sport zu lernen. Die Art und Weise, wie die ran-Mannschaft ihre Botschaft vermittelt, ist Klasse, echtes Edutainment. Bitte noch viel mehr davon und danke.
Oktober 22, 2019
Kommentar schreiben
Du mußt angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
Letzte Aktualisierung ( Dienstag, 22. Oktober 2019 )